Seit zehn Jahren zeigt der Kindergarten „Pusteblume“, wie Inklusion gelingt
Gelebte Vielfalt

Welches Tier sich wohl hinter dieser Karte verbirgt? Helen findet es heraus. | Foto: Dennis Christmann/Lebenshilfe Südliche Weinstraße
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Bad Bergzabern. Wo ist die Ente? Behutsam deckt Helen die Karte auf. Zu sehen ist ein kleines graues Tier mit Fell und Schwanz. „Das ist die Maus“, sagt Sirkka Sattelmair, Erzieherin in der Ameisengruppe. Nun ist Sireen dran. „Das ist die Ente.“ Ein Lächeln breitet sich auf dem Gesicht unter der rosafarbenen Strickmütze aus. Sireen legt die beiden Karten mit dem gleichen Tiermotiv auf ihren Stapel. Helen freut sich mit ihr.

Spiel und regelmäßige Wiederholung tragen dazu bei, dass die 95 Jungen und Mädchen im Inklusionskindergarten „Pusteblume“ in Bad Bergzabern unter anderem einen wertschätzenden Umgang miteinander lernen. Seit zehn Jahren betreibt die Lebenshilfe Südliche Weinstraße diese Einrichtung, in der Kinder mit und ohne Behinderung gemeinsam aufwachsen. Die meisten von ihnen sind in Deutschland geboren, ihre Eltern kommen jedoch aus etwa 15 verschiedenen Ländern.

„Gelebte Vielfalt und gelungene Inklusion werden hier spürbar“, betont Vorstand Marina Hoffmann. „Jeder Mensch hat seine persönlichen Stärken. Diese rücken wir in den Mittelpunkt – und das, was uns verbindet.“ Ob gemeinsamer Stuhlkreis, Freispiel, Waldprojekte oder gemeinsames Essen: „Alle Angebote sind so konzipiert, dass jeder mitmachen kann“, berichtet Johanna Erhart. Sie leitet die „Pusteblume“. In den zurückliegenden zehn Jahren ist der Inklusionskindergarten von drei auf fünf Gruppen gewachsen. In einer Gruppe mit kleiner Altersmischung stehen 15 Plätze für Kinder zwischen einem und vier Jahren zur Verfügung, in den beiden geöffneten Gruppen jeweils 25 Plätze für Kinder zwischen zwei und sieben Jahren, in den zwei Fördergruppen je 15 Plätze. In den Fördergruppen können jeweils fünf Kinder zwischen zwei und sieben Jahren mit besonderem Förderbedarf betreut werden. „In mehreren Fällen begleiten Integrationshelfer unseres Fachdiensts für Assistenz und Teilhabe die Kinder im Kita-Alltag“, erläutert Marina Hoffmann.

„Die Kinder akzeptieren einander so, wie sie sind“, weiß Sirkka Sattelmair aus Erfahrung. „Dass die Kinder – wie die Puppen in den Gruppenräumen – verschieden helle Haut haben oder in ganz unterschiedlichen Situationen Unterstützung benötigen, ist völlig normal. Sie alle sind junge Menschen und entdecken ihre Umwelt gemeinsam.“ Geteilte Erfahrungen durch Experimente, Spiele oder Lieder stärken den Zusammenhalt. Neugier und der Wunsch, von anderen zu lernen, sind dabei wichtige Triebfedern: Wie schmecken OIiven? Welche Kleidung tragen Menschen in Syrien? Warum feiern wir welche Feste? Die Einflüsse aus verschiedenen Kulturen bereichern den Kita-Alltag und fördern eine Atmosphäre der Offenheit.

Dabei spielen auch die Eltern eine wichtige Rolle. „Da nicht alle die deutsche Sprache gleich gut verstehen, übersetzen wir unter anderem die Elternbriefe – vor allem ins Englische und Arabische“, führt Kita-Leitung Johanna Erhart aus. Ebenfalls wichtig sind ihr Formate wie das Elterncafé. Dabei kommen Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen zusammen, um sich auszutauschen. Viele bringen kulinarische Spezialitäten des Landes mit, aus dem sie nach Deutschland gekommen sind. „Wenn die Eltern miteinander ins Gespräch kommen, wächst Vertrauen. Das strahlt auch auf die Kinder aus“, ergänzt Sirkka Sattelmair.

Gegenseitiges Verständnis und eine solide Vertrauensbasis sind gerade angesichts der Corona-Pandemie wichtig, deren Folgen seit mehr als einem Jahr den Kita-Alltag prägen. „Während der Phase der Notbetreuung und des Regelbetriebs bei dringendem Bedarf kamen die meisten anwesenden Kinder gut mit der Situation klar. Sie genossen die volle Aufmerksamkeit der Erzieher und eine mitunter besonders intensive Förderung“, erinnert sich Johanna Erhart. „Da die Gruppen auch nach der Rückkehr zum Regelbetrieb streng getrennt bleiben müssen, werden aber weiterhin Spielpartner und Freunde vermisst.“ Für das Kita-Team, dem Personen aus unterschiedlichen Kulturkreisen angehören, war gerade die Anfangszeit der Pandemie sehr schwierig. Viel Planung und Organisation waren nötig, um nach der zeitweiligen Schließung aller Kindertagesstätten in Rheinland-Pfalz immer neue gesetzliche Vorgaben umzusetzen – von Hygienemaßnahmen über das Fiebermessen bis hin zu Besuchszeiten. „Inzwischen hat sich Routine eingestellt und alle kommen gut zurecht“, so Johanna Erhart. „Umso mehr wünschen wir uns aber wieder einen verlässlichen Alltag.“

Dass es zur Normalität noch ein weiter Weg sein dürfte, spürt das „Pusteblume“-Team im nur wenige Kilometer vom Elsass entfernten Bad Bergzabern Tag für Tag. Der Sprache des Nachbarlandes kommt hier eine große Bedeutung zu. Vor der Corona-Pandemie wechselte eine Sprachförderkraft für Französisch zwischen den Gruppen, was besonders bei den Eltern sprachbegabter Kinder sehr beliebt war. Ähnliches gilt für weitere Maßnahmen, welche bislang interkulturelle Fachkräfte und Sprachförderkräfte in diesem Inklusionskindergarten der Lebenshilfe Südliche Weinstraße in Abstimmung mit einer Logopädin erfolgreich umsetzen konnten. „Wir hoffen sehr, nach dem Inkrafttreten neuer Regelungen durch das Kita-Zukunftsgesetz zum 1. Juli, die sich unter anderem auf die Finanzierung auswirken, möglichst viele dieser Angebote aufrechterhalten zu können“, betont Vorstand Marina Hoffmann. „Je früher Inklusion beginnt, desto besser gelingt sie.“

Zurück in der Ameisengruppe: Nach Helen und Sireen ist jetzt Abdalkader an der Reihe, der an seinem Geburtstag eine gepunktete Fliege trägt. Einen Augenblick zögert der nun Dreijährige, dann deckt er die zweite Karte auf und strahlt über das ganze Gesicht: „Das ist der Fisch!“

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Autor:

Dennis Christmann aus Offenbach

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