Abiturienten aus Baumholder entdecken das Handwerk für sich
Probieren geht über Studieren
Baumholder. Erst die Schulbank drücken, dann in der Uni büffeln: Vielen jungen Menschen mit Hochschulreife ist dieser Weg vorgezeichnet. Gymnasien bereiten sie eher auf eine wissenschaftliche Karriere als auf praktische Berufe vor. Die Folgen sind überfüllte Hörsäle, steigende Studienabbrüche und fehlende Fachkräfte.
Auch Cedric Schranz und Max Winkler aus Baumholder waren nach dem Abitur und der Fachhochschulreife erstmal orientierungslos. Ein Jahr Work & Travel hatte Cedric die Entscheidung zwischen Studium und Ausbildung nicht erleichtert. „Wenn du mit der Schule fertig bist, weißt du oft nicht, wo deine Begabungen liegen“, schildert Cedric die Situation nach dem Schulabschluss. Max Winkler kann seinen Freund nachvollziehen: „Die Schulfächer haben nicht zu meinen Talenten gepasst.“
„Wenn die Schule die Einbahnstraße zum Studium ist, müssen wir uns über Fachkräftemangel in Deutschland nicht wundern“, mahnt Kurt Krautscheid, Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der Handwerkskammern Rheinland-Pfalz, an. Er versucht, den jungen Bildungsnachwuchs in Rheinland-Pfalz für das Handwerk zu begeistern. Lehrstellenbörse und Berufsorientierung sollten Versäumnisse in den Schulen wett machen.
Um seiner Ratlosigkeit zu entfliehen, hatte der 21-jährige Cedric eine Aushilfstätigkeit gesucht und ist aufs Dach gestiegen: Beim Dachdeckermeister Sascha Horbach in Baumholder konnte er sich etwas dazu verdienen. Was als Überbrückung gedacht war, entpuppte sich als beruflicher Volltreffer: „Nach einem Tag auf dem Dach war ich nicht nur erschöpft, sondern glücklich“, erklärt Cedric.
„Ein Dach zu decken, habe ich im Gymnasium nicht gelernt. Kein Lehrer oder Schulfach hätte mich auf die Idee gebracht“, muss Cedric gestehen. Von seinem neu entdeckten Berufswunsch war nicht nur er begeistert, sondern er begeisterte auch seinen Freund Max dafür
. Der wollte sowieso immer schon was mit seinen Händen machen, wusste aber leider nicht was.
Kurzum fing er auch bei Sascha Horbach als Aushilfe an. Beide sind nun nicht mehr Aushilfen, sondern dank Abitur sofort im zweiten Lehrjahr eingestiegen. Max ist sehr erleichtert, aktuell nicht Student sein zu müssen: „Während der Corona-Krise zu Hause allein vor dem Laptop zu lernen, das wäre nichts für mich gewesen“, zeigt der 19-Jährige ein Stückweit Mitleid mit seinen Altersgenossen.
Fast wären beide an ihrem Traumberuf vorbei geschrammt, weil die Schule ihnen nur theoretische Inhalte vermittelte. „Das letzte Berufspraktikum hatten wir in der neunten Klasse. Danach ist alles in Richtung Studium ausgerichtet.
Man kommt erst gar nicht in die Berührung mit dem Handwerk. Da sollte eindeutig mehr getan werden, gerade in der Oberstufe“, fordern die beiden Auszubildenden deshalb einstimmig. Nur der Zufall wollte es, dass sie ihren Traumberuf trotzdem gefunden haben.
Wer dies nicht dem Zufall überlassen will, kann sich über die Ausbildungsberatung der Handwerkskammern über aktuelle Lehrstellenangebote und seine Berufsmöglichkeiten informieren. ps
Autor:Anja Stemler aus Kusel-Altenglan |
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