Ein Blick für die Kunst
Erblindete Seniorin weiterhin kunstschaffend
Draußen ist es trübes Wetter. Der Deutschland - Dezember macht seinem Ruf mal wieder alle Ehre. Zwei Lichtquellen erhellen das Zimmer der Bewohnerin Frau Jenke und trotzen damit dem Wetter. Die Nachttischlampe neben dem Bett ist immer der erste Handgriff, wenn man mit Frau Jenke das Zimmer betritt. Jetzt im Dezember bittet sie uns auch oft darum, den Lichterkranz auf ihrer Kommode am Fenster anzuknipsen.
"Haben Sie morgen Zeit?", frage ich bevor ich das Zimmer wieder verlasse und schaue in das lächelnde Gesicht einer Frau in ihren Achtzigern: "Ich bin da. Sie können jederzeit vorbei kommen.". Frau Jenke sitzt auf ihrem Bett und hält die Briefumschläge in der Hand. Da sie selbst nicht zum Einkaufen kommt, aber unbedingt selbstgemachte Weihnachtskarten versenden will, hat sie uns gebeten ihr doch bitte Kuverts zu besorgen. Ohne die Info, dass Frau Jenke nichts mehr sieht, denkt man sich nichts dabei. Doch als blinde Frau Weihnachtskarten zu basteln, zu beschriften und ein kuvertieren, mit Adressen zu versehen... puh einfach stelle ich mir das ehrlich gesagt nicht vor!
"Gut dann komme ich morgen vorbei.", versichere ich ihr und notiere mir zurück am Schreibtisch ein paar Fragen, die ich unbedingt loswerden will. Ein Gespräch mit dieser inspirierenden Frau möchte ich schon länger mal verschriftlichen. Seit ich Sie kenne, hatten wir schon so einige schöne Momente zusammen. Immer wieder beeindruckte sie mich auf verschiedene Art und Weise. Ihre Kreativität ist etwas, dass Frau Jenke auszeichnet. Viel mehr sie ausmalt, erfüllt.
Jeden Monat findet im Seniorenzentrum eine Malgruppe mit einer externen Malerin, Frau Staudenmaier, statt. Hierzu werden die Bewohner und Bewohnerinnen von unseren Betreuungskräften eingeladen. Wir staunten nicht schlecht, als damals unsere neue Bewohnerin davon erfuhr und selbstbewusst sagte: „Ich komme mit zum Malen“. Denn auch wenn mit einer Behinderung das Leben nicht weniger lebenswert ist, ist es an vielen Stellen für Menschen mit Behinderung schwieriger als eben Ohne. Frau Jenke war erblindet. Und das "von einem Tag auf den Anderen". Schon immer sehr kreativ gewesen, zieht sich ihr Wunsch nach Kunst, weiterhin kunstschaffend zu sein, durch ihr Leben wie ein roter Pinselstrich durch Mohnblumenfelder.
Ich treffe sie am Freitag, 20.Dezember zum Gespräch. Frau Jenke setzt sich in ihren Sessel. Ich rücke den Stuhl neben sie und erkläre ihr den Ablauf: Unser Gespräch werde ich mit einem Audiorecorder aufzeichnen, nach der Abschrift wird es gelöscht. Die Betreuungskraft Frau H. setzt sich auf die Bettkante: "Ich würde gern noch ein paar Minuten zuhören.", sagt sie. Frau Jenke ist mit allem einverstanden und legt die Hände in den Schoß. Ich drücke den Aufnahmeknopf.
Waldschmitt:
"Dann geht's los Frau Jenke. Fangen wir an, mit meiner ersten Frage.
Frau Jenke, sie sind hier einer unserer kreativen Köpfe im Haus. Wann begann bei Ihnen das Interesse an Kreativität und wie hat sich das in Ihrem Leben dann weiterentwickelt?"
Jenke:
"Oh, das Interesse. Fing schon in der Jugendzeit an und geht bis heute."
W: "In welchem Alter war das ungefähr?"
J: "Fing mit Basteln an, im Kindergarten, und zuhause weiter. Und in der Schulzeit und... und dann ging's immer so weiter. Immer Interesse für irgendwie eine Sache."
W: "Und wann haben Sie mit Malen begonnen? Weil das ist ja auch was, was Ihnen sehr liegt."
J: "Äh...(J. überlegt), mit Malen habe ich schon früh angefangen. Wir hatten in der Familie eine Malerin, die Schwester meiner Mutter hatte Kunst studiert. Und ging dann Richtung Lehramt und war Lehrerin für Dekoration und sowas. Und dann habe ich da schon viel geholfen und viel mitgemacht. Zuhause wurde viel darauf geachtet, dass man auch was bastelte oder auch was schmückte. Und alles."
W: "Wurde dann auch gefördert, von den Eltern?"
J (lacht): "Ja und wie!"
W: "Das merkt man, dass Sie da schon früh mit in Berührung gekommen sind."
J: "Zum Beispiel: Karneval. Da wurden die Möbel zusammen gerückt und es wurde aus Glanzpapier, aus allen möglichen Papierarten wurden Blumen rausgeschmückt, Ornamente rausgeschmückt, Tiere rausgeschmückt, und dann wurden die mit Stecknadeln an die Wand gedippt und dann wurde gefeiert."
W: "Und alles selbst und handgemacht."
J (nickt): "Alles selbst und handgemacht. (...) Und so wurde ich dann angelernt."
W: "Gibt es denn kreativen Arbeiten sind Ihnen besonders im Gedächtnis geblieben? Irgendwelche Bilder vielleicht oder Motive, so Basteleien, wie Sie eben genannt haben."
J: "Naja, Gott... (J. überlegt). Es wurde ja zuhause immer irgendwie gemalt. In Öl wurden Bilder gemalt oder so, und Bilder in Aquarell gemalt. Dann hat man geholfen oder war dabei, hat selbst was ausprobiert. So bin ich dazu gekommen, und dann gab es eine Zeit lang, da gar nichts passierte, und wie die Kinder klein waren, fing ich wieder an."
W: "Gab es denn bestimmte Vorbilder oder Persönlichkeiten, die Sie in Ihrer Kunst positiv geprägt haben? Sie haben jetzt erzählt. von ihrer Tante, die dann Kunst studiert hatte. Gab es vielleicht irgendwie auch Jemand Bekanntes, einen Maler oder eine Malerin, die sie eben inspiriert hat?"
J: "Das war meine Tante. Die hatte die ganze Familie inspiriert. (...) Das ging natürlich als Jugendlicher, mit den Eltern in Ausstellungen und Galerien und Bilderausstellungen, guckte sich natürlich auch Verschiedenes an. Da hatte man dann schon Anregung." (...)
W: "Dann war noch eine Frage, die hat ein Mitarbeiter gestellt: Ihre Blindheit veränderte ja doch einiges im Lebensverlauf. Es gibt ja viele Barrieren im Alltag, die Sehende wie (Name der Betreuungskraft) und ich tatsächlich "übersehen". Wie schaffen Sie es sich zu orientieren oder was wünschen Sie sich im Umgang mit Ihrer Blindheit?"
J: "Im Grunde wünsche ich mir, dass ich wieder sehen könnte. Aber okay, das ist ja leider passé."
W: "Wann wurden Sie blind? Möchten Sie dazu was sagen, oder möchten Sie das eher aussparen?"
J: "Zwei Jahre vor dem Tod meines Mannes bin ich blind geworden. Ungefähr vor vier Jahren."
W: "Das ist ja noch gar nicht so lange..."
J: "Noch gar nicht so lange."
W: "Und das war von heute auf morgen, hatten Sie mal erzählt?"
J: "Äh ja, ich habe Glaukom (Anmerkung: "Bei einem Grünen Star (auch Glaukom) kommt es zu Schädigungen am Sehnerv aufgrund eines erhöhten Augeninnendrucks. Dabei umfasst der Begriff Glaukom unterschiedliche Augenerkrankungen, die mit einer Sehnervschädigung einhergehen." Quellehinweis: https://www.onmeda.de/krankheiten/gruener-star-id200173/). Und das wusste ich. Und ein Auge hatte ich schon verloren, nach Operationen. Und das Andere hat sich dann peu a peu schlechter entwickelt.
Und eines Tages, hab ich noch Donnerstags, das weiß ich noch, Kreuzworträtsel noch gemacht. Große Seite aus der Rheinpfalz.
Und dann am nächsten Morgen mache ich die Augen auf und kann nichts mehr sehen."
W: "Das ist schon hart. Stelle ich mir schon sehr hart vor."
J: "Da dachte ich noch, okay das geht vorbei. War aber dann am übernächsten Tag doch nicht vorbei. Dann bin ich zum Augenarzt gegangen und dann hat er gesagt: Das ist passé. (...). Und das war eine furchtbare Umstellung."
W: "Das glaube ich Ihnen. Vor allem, Blindheit ja, ist ja eine Behinderung oder wird als solche benannt. Ich finde, viele Leute die selbstverständlich sehen können, hören können, sprechen können... man vergisst welche Barrieren es im Alltag geben kann."
J: "Ich wurde dann immer gefragt, von den Freunden. Andere meinten, hören wäre schlecht. Ich meinte dann: "Nein, Hören ist auch schlecht. Aber nichts Sehen können ist viel schlechter." Das konnte man sich gar nicht vorstellen. Aber wenn Sie dann alle im Zimmer sind... ich kann ja jetzt Hören. Ich kann die Geräusche orten. Aber ich weiß nie mehr, wie die Person aussieht. Ich weiß nie mehr, wie das farblich aussieht. Und wo, die Entfernung kriege ich mittlerweile hin. Und ich weiß wo was steht, weil ich jeden Schritt quasi gezählt habe. Wie viel Schritte ich zum Schrank muss, oder zum Tisch. Das lernt man mit der Zeit. (...) Es bleibt ja nichts Anderes. Du musst es. (...) Ich habe ja noch gekocht, den Haushalt geführt. Bis auf sauber machen, weil ich das ja nicht mehr sehen konnte. Das hat mein Mann gemacht. Mein Mann hat auch eingekauft für mich. Er hat das besorgt. Und wenn ich das hatte, wusste ich genau wo ich das hinstelle im Schrank oder im Kühlschrank oder sonst irgendwo. Und da musste es aber auch sein. Da durfte keiner dazwischen gehen, da hatte ich es nicht mehr gefunden. (...). Und das lernt man mit der Zeit und muss man sich einprägen."
W: "Und das machen Sie sehr gut. Und dann trotzdem, dass das Künstlerische nicht gebremst wird... das finde ich total-"
J: "Na ich habe als die Kinder dann auch größer wurden, habe ich dann auch immer noch Kurse belegt. Mit Seidenmalerei, Aquarellmalerei oder wir hatten einen festen Freundeskreis, mit einer Floristenmeisterin. Blumengestecke für jede Gelegenheit. Und solche Sachen habe ich dann immer gemacht. Und mein Mann hatte nichts dagegen, der freute sich dann, wenn ich schön beschäftigt war. (lacht)."
W: "Und das war dann aber vor Ihrer Blindheit?"
J: "Das war vor meiner Blindheit."
W: "Ich denke, Sie haben sich dann vorher einfach auch schon ganz viel... angeeignet."
J: "Immer aktiv. Und immer was gemacht, ja."
Betreuungskraft: "Die Fähigkeiten und Techniken die halten. (...). Die Motorik sitzt noch so gut."
J: "Ja, ich habe ja auch Aquarellbilder gemalt, mehrere hier. Ich bin... wenn ich dann nachts nicht schlafen konnte... habe ich mir das überlegt. Was machst du, wie kriegst du das hin, welche Farben nimmst du dann. Das hatte ich schon im Kopf. Und das habe ich versucht, nachher auf's Papier zu bringen. Und ich glaube, das ist ganz gelungen."
W: "Ich glaube das ist einfach... weil Sie auch ein sehr intelligenter Mensch einfach sind, der sehr viel Fantasie im Kopf hat und der das dann umsetzen zu weiß."
BK: "Ich glaube das ist ein ausgeprägtes Vorstellungsvermögen. Wenn ich dran denke, wie wir die Gestecke gemacht haben, aus den Plastikblumen. Ich habe Ihnen gesagt, welche wir da haben und dann habe ich förmlich gesehen, wie ihr Kopf rattert-"
J (lacht).
BK: "und das könnte man, und wie brauche ich das, und man könnte links den Efeu..."
J: "Ja das ist, wenn man mit Blumen gearbeitet hat, wenn man mit Frischpflanzen gearbeitet hat. Ich habe immer Blumen zuhause auf dem Balkon gehabt. War immer ein toller Anblick. (...) Und wenn man gerne in der Natur war. Das hatten wir ja auch gemacht. Wir hatten ja auch ein gemeinsames Hobby. Das war Segeln. Und da waren wir sehr viel auf dem Wasser und in der Natur."
W: "Viel auch gesehen, von der Welt."
J: "Das haben wir ja auch. Große Reisen gemacht. Jedes Jahre eine große Reise. Nachdem mein Mann pensioniert war. Und das haben wir genossen. Und haben uns natürlich verschieden Kunstrichtungen ja auch eingeprägt. In den verschiedenen Ländern. In Asien das alles angeguckt. Da profitiere ich jetzt Gott sei Dank von. Muss ich ganz ehrlich sagen.
W: "Ein großer Erinnerungsschatz. An Eindrücken, und Bildern."
J: "Und von den Reisen, die ich gemacht habe, habe ich immer Fotoalben wunderschön gemacht. Und habe die dann geschmückt innen drin, mit Ornamenten aus dem Land, oder chinesische Malerei da mit reingearbeitet und alles mögliche."
W: "Auch um die Kultur dann auch nochmal ein Stück weit aufzugreifen."
J: "Ja."
BK: "Und aus den Fotos dann Karten gemacht, Geburtstagskarten, Collagen gestaltet-"
J: "Collagen gestaltet, und ich habe auch gerne fotografiert. Und in der Natur fotografiert. Habe ich da Glückwunsch Karten, sowas, von gemacht. Ja... so bin ich also immer etwas aktiv gewesen. Wie gesagt, habe ich häufig abends da gesessen und habe das gemacht. Und mein Mann hat seine Sachen gemacht. Und so haben wir uns dann ergänzt."
W: "Richtig schön."
J: "Und dann hatten wir einen sehr großen Freundeskreis. Mein Mann durch sein Studium, in Heidelberg. Und dann war er in einer "Studentenverbindung", und da hatten wir auch dadurch sehr viel Kontakt. Zu Ehemaligen und zu neuen Studenten. Und dann wurden wir immer eingespannt. (...). Und im Freundeskreis waren Musiker dabei. Wenn wir uns trafen, gab es immer kleine Konzerte."
W (lacht): "Da bin ich auch Fan von. Kultur ist immer gut."
J: "Ja. (...) Meine Mutter hatte Gesang studiert, spielte Akkordeon, spielte Orgel, spielte Klavier. Und dann hatten wir noch eine Laute. Und so wurde dann auch ordentlich musiziert bei uns zuhause.
W: "Da wäre ich gerne dabei gewesen."
(...)
J: " Wie gesagt, man feiert ja als Jugendlicher Partys. Ich hatte mich engagiert in der "Carl - Duisberg - Gesellschaft (Anmerkung: "Der gemeinnützige Verein unterstützt junge Menschen, die sich in ihrer beruflichen Ausbildung befinden dabei, in der EU oder weltweit betriebliche Erfahrungen zu sammeln. Neben der zusätzliche beruflichen Qualifikation vermittelt ein ausbildungs- oder berufsbezogener Auslandsaufenthalt Know How in internationaler Handlungskompetenz." Quellenhinweis: http://cdg-carlduisberg.com/). Carl Duisberg war ein Chemiker. Der hat eine Stiftung gemacht, dass ausländische Studenten und Prakitkanten hier in Deutschland studieren können und das Studium finanziert kriegen. Und diese Betreuung, für diese Studenten, gab es in Bremen eine Carl - Duisberg Gesellschaft, und da waren dann freie Mitarbeiter dabei und da habe ich dann mitgewirkt. Wir hatten dann ja auch Partys. Es waren Dänen, Finnen, es waren Norweger, Franzosen, Spanier... aus Hong Kong, Inder, aus Südamerika Chile, aus Peru. Die dann zur gleichen Zeit irgendwo im Handel beschäftigt waren. Auf einer Handelsschule, oder auf einer Akademie würde man heute sagen. Und die trafen sich dann, in Gruppenabenden, Festtagen, und wir feierten ab und zu ja auch Partys. Sogenannte "Sockenparties", (J. grinst). Tatsächlich zogen wir alle unsere Schuhe aus, damit es nicht zu laut wurde. Und dann brachte jeder aus seinem Land ein Gericht mit, was man da gerne aß, und dann gab es ein kaltes Buffet. (...). Wir wohnten außerhalb von Bremen. Und da hörte dann um zwölf Uhr der Busbetrieb auf. Und man hört ja dann nicht um elf Uhr auf, um in seinen Stadtteil zu fahren, man feiert natürlich durch."
W (lacht): "Bis der nächste Bus kommt."
J: "Der nächste Bus kam am nächsten Morgen um sechs Uhr. (...). Und dann haben wir die ganze Nacht durchgefeiert. Ordentlich. und so gegen drei, halb Vier kam meine Mutter und die hatte dann einen großen Topf mit Suppe gemacht und dann gab es heiße Suppe und dann setzte sie sich ans Klavier. Und dann musste jeder aus seinem Land ein Volkslied vortragen. (...) morgens um Vier. Und sie hörte sich das an und konnte im nächsten Moment auswendig spielen. Und kannst Du dir ja vorstellen, was da los war. (...) und dann die ihr Gitarren mitgebracht hatten, von den Südamerikanern oder auch den Spaniern, die hatten dann meistens auch ihre Instrumenten mitgebracht. Die spielten dann Gitarre, Mutter spielte Klavier, wir haben dann gesungen. Und dann ging das bis kurz vor sechs und dann machten sie sich fertig und um sechs fuhr dann die erste Straßenbahn." (Lachen alle).
Die Betreuungskraft verabschiedet sich.
W: "So war ihr Werdegang der Kreativität, so hat sich das entwickelt mit der Zeit. (...) Ja, das ist wirklich sehr besonders bei Ihnen. Behalten Sie sich das bei-
J: "Ich hatte auch ein Instrument gelernt, aber das habe ich nie geliebt das Instrument. Das war Geige."
W: "Das war nicht ihrs."
J: "Das war nicht mein Instrument. Aber wie gesagt, dadurch dass wir das Klavier da hatten. Und auch mein Bruder spielte noch Trompete. Mein Vater spielte Klavier, meine Tante spielet Klavier. So war das immer, immer... im Freundeskreis immer Musik."
W: "So das ganze soziale Netz hat das auch mitgeprägt, bei Ihnen."
J: "Der Freundeskreis von meinen Eltern, da war auch ein Musikdirektor in Aschaffenburg, vor dem Krieg. Und da wurde dann auch schon Musik gemacht. Und ich kam dann hier mit den Studenten... da wurde dann auch wieder musiziert und mitgesungen. (....) Immer was mitgemacht."
W: "Und jetzt sind Sie hier und malen immer noch und basteln immer noch, und geben Tipps."
J:
"Ich möchte ja nicht nur Sitzen und Däumchen drehen."
W: "Ja ich finde das ja auch für die anderen Bewohner und Bewohnerinnen sehr toll."
J: "Ich bin das gewohnt gewesen. Und irgendwie, fehlt mir eine ganze Menge, das ich das nicht mehr machen kann. (...). Und durch den Heidelberger Bund, bin ich natürlich auch sehr viel gefordert gewesen, mit meinen Mann. (...). Als Sport hatten wir dann Beide unseren Segelsport. Mein Mann noch Tennis. Das war nicht ganz mein Fall. (...). Und dann habe ich Kinder, die keine Musik machen wollten. Sie haben das mitgebracht, wie ich immer gebastelt habe. Und haben das auch bewundert."
W: "Aber selber nicht so das Interesse gehabt."
J: "Andere Interessen. (...). So bin ich immer bisschen aktiv drangeblieben."
W: "Ja richtig toll. Das macht glaube ich auch viel Ihrer Persönlichkeit aus. Dieses Kreative, dieses Künstlerische, Kunstschaffende zu sein."
J: "Und hast u sonst noch Fragen?"
W: "Das wars. Sie haben ja ganz, ganz viel erzählt jetzt. (J. lacht). Da habe ich was zu tun, das alles aufzuschreiben, aber ich freue mich sehr darüber." (J. beginnt erneut zu erzählen.)
J: "Aber auf der anderen Seite, als ich in der Carl Duisberg Gesellschaft war, das kann ich dir ja auch erzählen. Da hast du ja auch, äh wie sagt man da jetzt heute hier (J. überlegt). Es waren ja alles Ausländer, es waren ja alles ausländische Praktikanten."
W: "Menschen mit Migrationsgeschichte?"
J: "Und zum Teil ja auch mit anderen "Hautfarben" (Anmerkung: Man spricht heute von weißen und nicht - weißen Menschen.). Und an für sich ist Bremen eine Stadt gewesen, wo ich aufgewachsen bin, die ja sehr mit Ausländern und mit Schifffahrt und allem zu tun hat. Also sehr weltoffen ist. Aber es gab damals schon, Leute die das nicht gerne sahen."
W: "Diskriminierung."
J (nickt): "Und ich stand mit Praktikanten, die dunkelhäutig waren, an der Straßenbahn Haltestelle und wollte mit denen wo hin fahren. Und man spuckte vor mir aus, und fragte mich, wie ich mich mit "denen" den nur abgeben könnte."
W: "Das ist schrecklich."
J: "Und ich musste mich dann entschuldigen, für das Verhalten eines "Deutschen". Und das hatte mich erschüttert, muss ich ganz ehrlich sagen. (...). Das zu erleben, als junger Mensch. Das hat mich irgendwie schockiert."
W: "Das glaube ich Ihnen. Ich finde es auch immer noch... es ist ja heute leider immer noch Thema..."
J: "Und das ist heute noch ein Thema und das war 1960..."
W: "Und wir haben jetzt über sechzig Jahre später. Und trotzdem ist Diskriminierung und Rassismus so präsent. Und so viele Menschen haben es da wirklich sehr viel schwerer, als Menschen mit weißer Haut."
J: "Ich habe in der Schulzeit. Da war ein Heim, wo schwererziehbare Kinder untergebracht wurden. Und die suchten hier Leutchen, Jemanden, der mit denen Schulaufgaben macht. Und dann habe ich dort Schulaufgaben gemacht, und dann gingen welche zur Berufsschule und wollten Buchführung lernen. Dann habe ich mit denen Buchführung gemacht, weil es Spaß machte. Und dann hatte ich da auch ein paar dabei..."
W: "die Migrationsgeschichte haben?"
J: "Ja, Kinder von... nicht - weiße Kinder, und die erzählten mir dann auch damals auch schon ihr Leid, was sie in der Schule hatten."
W: "Ja ich kenne das auch aus dem Bekannten- und Freundeskreis. Wie schlimm das immer noch ist. Mit wie viel Ablehnung und Respektlosigkeit einem begegnet wird. Sehr viel Benachteiligung die mit einhergeht. Kann man nicht verstehen."
J: "Kann man wirklich nicht verstehen."
W: "Wir sind alle Menschen. Alle wichtig. Alle besonders."
J: "In der Carl - Duisberg Gesellschaft, die ganzen Nationen, egal wo sie herkamen, wie wir alle zusammen hielten, alle zusammen feierten, jeder gab sein Bestes. Das war so eine tolle Gemeinschaft."
W: "Einfach diese Vielfalt. Und das als was Positives sehen."
J: "Das waren ganz, ganz tolle Jahre, die ich da mitgemacht habe."
W: "Das sind sehr schöne Erinnerungen, die Sie da haben."
J: "Die Inder dann, die ihren Turban trugen, das waren ja die Kasten. Wenn man in der Stadt mit Jemanden da durchgeht, und der hat einen Turban auf (J. lacht), da wurde man schon angeguckt."
W: "Ja klar, das fehlt ins Auge. Auch die Mode ist ja anders, aus anderen Ländern."
J: "Und der war groß. Riesig. Und hatte seinen weißen Turban immer aus. Da war er schon stadtbekannt. (...) Ja und so ist das."
W: "Vielen Dank Frau Jenke, dass Sie Ihre ganzen Eindrücke mit mir geteilt haben. Mir erzählt haben. Da freuen sich viele Leser und Leserinnen etwas zu erfahren. Von einer Künstlerin aus dem SZBI. Vielen Dank."
Ich beende die Audioaufnahme. Es ist ganz schön viel an Text zusammengekommen. An wichtigen Themen. Ein Rückblick, wie die Kunst immer wieder den Lebensverlauf geprägt hat. Wie wichtig es ist, sich zu bewegen, raus zu gehen, aneinander zu begegnen, Menschen kennen zu lernen. Kunst ist Kreativ sein, Musik machen, inspirieren. Ist aber auch: füreinander da sein, in andere Kulturen schauen, Lebenslinien kreuzen lassen, zusammen sein.
Nach Abschluss des Interviews saßen wir noch so zu Zweit eine Stunde zusammen. Ich lauschte von ihren Reisen und wir sprachen darüber, was am Ende des Lebens zählt: Die Erlebnisse, die man teilt oder für sich sammeln kann. "Spar ein Jahr auf etwas, eine Reise oder so, was du sehen willst und mache es das nächste Jahr", sagte mir Frau, "Verschieb' es nicht auf später, das ist das wovon man am Ende profitiert.".
Ich glaube im Grunde wissen wir alle, dass am Lebensende nicht zählt, wie viel Geld wir auf dem Konto haben, wie viel wir besitzen. Es zählen die Begegnungen, Momente, Erlebnisse, es zählt, was einen glücklich gemacht hat. Das macht das Leben reich.
Fotos: Melanie Waldschmitt
Bilder: Frau Jenke
Autor:Melanie Waldschmitt aus Böhl-Iggelheim |
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