"Rollis" erleben Glücksmomente
Landstuhl. „Auf den ersten Blick geht es vielen von ihnen schlechter als den meisten Menschen. Doch wenn sie auf dem Betzenberg beim Fußballspiel mitfiebern und die Spieler sogar zu ihnen kommen, reden oder Autogramme schreiben, dann kann man das Leuchten in ihren Augen sehen“, erklärt Erich Huber. Der 72-Jährige ist seit acht Jahren beim 1. FC Kaiserslautern für Menschen mit Handicap zuständig. Mit seiner offiziellen Amtsbeschreibung, Behindertenbeauftragter, kann er sich nicht so recht anfreunden. Besser findet er die Begriffe: „Rollis“ oder „Hilfsbedürftige".
Von Erik Stegner
Bei jedem Heim- und Auswärtsspiel ist Huber dabei und hat in den letzten Jahren schon unzählige Kilometer hinter sich gebracht. Durch seine Erfahrungen und Erlebnisse ist er mit der schwierigen Situation der Rollstuhlfahrer vertraut und weiß, was sie auf sich nehmen, um live vor Ort Fußball zu erleben. Huber: „Menschen ohne Behinderung setzen sich ins Auto, laufen ins Stadion und fahren unmittelbar nach dem Schlusspfiff wieder heim. Rollstuhlfahrer haben auf dem Hin- und Rückweg mit meist ungeeigneten Gegebenheiten zu kämpfen und sind auf die Hilfe anderer Leute angewiesen.“
"Ohne Manneskraft geht nichts"
In den großen und modernen Stadien wird bei der Planung an Barrierefreiheit gedacht. Anders sieht es in älteren Arenen aus. „Da gibt es auch schon mal mehrere Ebenen, ohne Fahrstuhl zu überwinden. Ohne vereinte Manneskraft geht da nichts.“ Weitere Unzulänglichkeiten warten am Spielfeldrand, wo die Größe der Stellplätze meist nicht den sperrigen Maßen der Rollstühle entspricht. Zu hohe Spielfeldwerbebanden und unzureichende Abstände zu den Tribünen sorgen für weitere Probleme, berichtet Huber.
Der 1. FC Kaiserslautern ist und war seiner Meinung nach in Bezug auf Rollstuhlfahrer im Stadion einer der Vorreiter im bezahlten Fußball. „Der ehemalige FCK-Präsident Norbert Thines hat schon in den 80er Jahren dafür gesorgt, dass eine bestimmte Anzahl an Plätzen für behinderte Menschen reserviert wird – und das ist bis heute so geblieben“, erklärt Huber.
100 an der Zahl sind das aktuell auf dem Betzenberg: „Dazu muss man wissen, dass darin jeweils ein Parkplatzticket, eine Eintrittsermäßigung sowie eine Begleitperson enthalten sind. Wirtschaftliche Gründe stehen beim FCK im Hintergrund, andere Vereine handhaben das anders“, weiß Huber.
Trotz Strapazen ins Stadion
Trotz aller Strapazen wird Woche für Woche ins Stadion gepilgert. Meistens in voller FCK-Montur, so wie die Fans in der Westkurve auch. „Und wie auf den Rängen und Tribünen hat auch jeder der Rollis seinen eigenen Charakter. Zu sagen: Der sitzt im Rollstuhl, daher verhält und denkt er so, ist viel zu einfach. Jeder Mensch hat seine Vorlieben und Eigenarten und jeder erlebt seine eigenen Glücksmomente“, erklärt Huber.
Noch heute blickt er mit leuchtenden Augen auf die große Auswärtsaktion des Landstuhler Fanclubs Fairplay zurück, die es sogar in die Bild-Zeitung schaffte. Im Konvoi ging es mit 20 Kleinbussen zum Spiel nach Frankfurt – „die Rollis inklusive“. Die Zahlen und Fakten dazu hat Huber in seinem Fanmagazin „Rückpass" veröffentlicht: 250 Personen wurden demnach ins damalige Waldstadion gebracht; 25 Autos waren beteiligt; 60 freiwillige Helfer leisteten 600 Einsatzstunden; 150 Verpflegungstaschen wurden gefüllt und verteilt; 200 T-Shirts und 80 Schals gab es als Erinnerungsgeschenk obendrauf.
Zum ersten Mal gings 1963 gegen den FKP
Erich Huber selbst, lebt für und mit den Roten Teufeln. „Ich bin in Kaiserslautern mit Blick auf den Betze geboren. Als ich aus dem Fenster schaute, wusste ich: Das ist mein Verein“, berichtet er stolz. Die Bilder und Erinnerungsstücke in seinem Haus unterstreichen diese Sätze: Vom letzten Autogramm von FCK-Held und Weltmeister Fritz Walter über das lebensgroße Abbild von Karl-Heinz Feldkamp; das Meisterschaftsfoto von Otto Rehhagel (da war ich mit auf dem Rathausbalkon) bis zum Originaltrikot von Hans-Werner Briegel und vielem mehr. „1963 habe ich das erste Spiel gesehen, da ging es um die Südwestmeisterschaft gegen den FK Pirmasens und wir haben gewonnen“, erzählt Huber stolz.
1992 wurde der Fanclub Fairplay in Landstuhl gegründet. Ein Jahr später traten der gelernte Bäckermeister und seine Frau Helga ein. 1995 wurde Erich zunächst Pressewart, seit 1996 teilen sich die Hubers den Vorsitz. Einer der Jahreshöhepunkte ist die „Rolli-Autogrammstunde“, über deren 19. Ausgabe wir im Wochenblatt im November berichteten. „Seit Otto Rehhagels Zeiten arbeiten wir da ganz eng mit dem FCK zusammen. Da ist es keine Frage, ob wir das machen, sondern zu welchem Datum“, freut sich Huber.
MS-Erkrankung war Schlüsselmoment
Ein Schlüsselmoment für ihn, um sich für Rollstuhlfahrer zu engagieren, war 1994, als die an Multiple Sklerose (MS) erkrankte Frau eines Fairplay-Clubmitglieds unbedingt mit zum Auswärtsspiel nach Bremen wollte – und es trotz aller Widrigkeiten durch gemeinsame Hilfe schaffte. „Da kam ich zum ersten Mal so richtig mit einem behinderten Menschen in Kontakt und hatte vor ihrer enormen Willenskraft sehr großen Respekt.“ Im Fanclub Fairplay genießt der Bezug zu Menschen mit Handicap seit Jahrzehnten einen hohen Stellenwert. Neben der Organisation der Autogrammstunden gibt es als weiteres Ritual und zur Wertschätzung an Weihnachten Geschenke.
Autor:Erik Stegner aus Landstuhl |
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