Interview zur Behandlung von Adipositas am Nardini Klinikum
„Übergewichtige werden oft diskriminiert“
Landstuhl. Menschen, die unter Adipositas, einer krankhaften Form von Übergewicht, leiden, haben oft einen langen und steinigen Behandlungsweg vor sich. Daher hat das Nardini Klinikum das Konzept BMI 40+ ins Leben gerufen. Darüber, was es genau mit diesem Konzept auf sich hat, berichten Dr. Peter Jung und Dr. Dirk Bleymehl von der chirurgischen Abteilung in einem Interview.
Von Stephanie Walter
???: Was steckt hinter dem Namen des Konzeptes BMI 40+ ?
Bleymehl: Beim BMI handelt es sich um den Body-Mass-Index, also den Körpermasseindex, der das Gewicht einer Person zu seiner Größe in Relation setzt. Bei einem BMI über 40 liegt ein behandlungsbedürftiges Übergewicht im Stadium III vor. Der Körper kämpft dabei nicht nur gegen das Übergewicht, sondern auch mit verschiedenen Begleiterkrankungen wie Diabetes, Herzkreislauf- oder Gelenkerkrankungen.
???: Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es für die Patienten?
Jung: Bei einer Adipositas Grad III (BMI > 40) wenden wir eine konservative Therapie an. Der Patient erhält also eine Bewegungs- und Ernährungstherapie. Auch die Psycho- und Verhaltenstherapie gehören zum Behandlungsspektrum. Wichtig ist, dass der Patient umfassend beraten wird, sowohl vor der Behandlung als auch danach, denn wer unter Adipositas leidet, muss ein Leben lang auf sein Gewicht achten. Hier arbeitet das Nardini Klinikum sehr eng mit allen Fachbereichen und auch mit dem Adipositaszentrum im Medizinischen Versorgungszentrum Westpfalz (MVZ) zusammen. Es wurde vor eineinhalb Jahren gegründet und dort werden die Patienten nach den Leitlinien und aktuellsten Studien mit einer individuellen Therapie behandelt.
???: Was passiert, wenn es der Patient nicht schafft, sein Gewicht zu reduzieren?
Bleymehl: Liegt der BMI über 40 und war eine konsequente Therapie nicht erfolgreich, sollte
eine operative Maßnahme mit Magenverkleinerung in Betracht gezogen werden. Bei BMI > 50 ist die Operation die einzig noch sinnvoll vorhandene Therapie, um das Gewicht zu reduzieren und das reduzierte Gewicht auf Dauer zu halten. In diesem Fall wird der Magen verkleinert und die Aufnahmestrecke im Dünndarm für Nahrung verkürzt. Der Krankenhausaufenthalt beträgt etwa drei bis vier Tage. Der Patient kann nach dem Eingriff weniger Essen und hat weniger Hunger. So verliert er 50 bis 70 Prozent seines Ausgangsgewichtes. Die OP ist in diesem Fall sehr wichtig, denn die Begleiterkrankungen verschwinden nach dem Eingriff.
???: Wo genau liegen die Probleme, wenn sich ein Patient dafür entscheidet, seine Adipositas behandeln zu lassen?
Jung: Menschen mit Adipositas werden oft diskriminiert, und zwar nicht nur gesellschaftlich, sondern auch, was die Kostenübernahme durch die Krankenkassen betrifft. Seit Anfang des Jahres gibt es eine S3-Leitlinie, die genau vorgibt, wie man mit den Patienten umgeht und diese behandelt. Leider halten sich die Krankenkassen derzeit nicht an die Richtlinien, was es den Patienten schwer macht, an ihre Behandlung zu kommen. Zudem müssen sie selbst sehr viel Geld investieren. Außerdem bestehen die Krankenkassen auch bei Personen mit einem BMI von über 50 auf ein multimodales Programm. Diese Bewegungs- und Ernährungstherapie können Patienten mit diesem Gewicht jedoch gar nicht mehr leisten, weder körperlich noch finanziell. Hier wollen wir jetzt ansetzen, denn Patienten mit Übergewicht werden häufig allein gelassen.
???: Dann kommt es sicher auch zu Problemen bei der Antragsstellung.
Bleymehl: Genau. Die Patienten sind im Kampf mit den Krankenkassen oft komplett hilflos. Wir beraten deshalb nicht nur bei der Antragstellung, sondern auch in dem Fall, wenn der Patient eine Ablehnung erhält. Das ist besonders wichtig, damit auch alle Fristen eingehalten werden.
???: Gibt es diese Probleme mit der Kostenübernahme in ganz Deutschland?
Jung: Ja und hier gibt es auch große Unterschiede zu anderen Ländern. Während in Finnland 131 Personen und in Frankreich 100 Personen pro 100.000 Einwohner operiert werden, sind es in Deutschland lediglich 15 bis 20. Sogar unter den Bundesländern gibt es riesige Unterschiede, so werden in Rheinland-Pfalz nur fünf Personen pro 100.000 Einwohnern operiert. Wir sehen hier ein großes Defizit im Gesundheitssystem. Die Diskriminierung und die Probleme, die für die Patienten entstehen, sind einfach nicht hinnehmbar.
???: Die S3-Leitlinie ist ja noch relativ jung. Ist künftig mit einer Verbesserung der Kostenübernahme für die Patienten zu rechnen?
Bleymehl: Ja, zum Glück tut sich hier sehr viel und das ist auch bitter nötig. Die Adipositas ist ein sehr komplexes Thema und mit einer Behandlung kann eine ganz neue Lebensqualität geschaffen werden. Wer Fragen hat, kann sich jederzeit an unser Sekretariat oder das MVZ wenden. Wir beraten bei allen Fragen und haben Anfang des Jahres auch Infoveranstaltungen geplant. sw
Autor:Stephanie Walter aus Wochenblatt Kaiserslautern |
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