Auktion: Rudi Baerwind (1910-1982) am 24.06.2022
Sammlernachlaß bei Henry's Auktionshaus
„Wer nicht genügend Erfahrung besitzt, um in der abstrakten Kunst das Gute vom Schlechten zu unterscheiden, hat kein Recht, sich über dieses Thema zu verbreiten.“ (Clement Greenberg: Die Identität der Kunst, Hamburg 2009, S. 312). Nach diesem Diktum des amerikanischen Kunstkritikers Clement Greenberg von 1961, das sich an die scharfe und größtenteils unqualifizierte Kritik gegenüber dem Abstrakten Expressionismus richtete, bietet die kommende Auktion Moderne Kunst des Auktionshauses HENRY's in Mutterstadt eine hervorragende Möglichkeit, das Betrachterauge überwiegend gute Werke des Mannheimer Künstlers Rudi Baerwind (1910 Mannheim – 1982 ebenda) schauen zu lassen. Eine sinnstiftende "Erfahrung der Erfahrung" (Clement Greenberg: Die Identität der Kunst, Hamburg 2009, S. 311) vor allem gegenüber dem abstrakten Teil der Werke nötigt dem Betrachter jedoch ein entsprechendes Maß an Bescheidenheit und Geduld ab. Über ein Dutzend Werke unterschiedlicher künstlerischer Techniken (Druckgrafik, Zeichnungen, Ölgemälde) und Sujets zwischen abstrakt-Figurativem und tachistisch-Gegenstandslosem bietet die Auktion am 24.06.2022 als Teilergebnis eines Sammlungsnachlaßes. Nur selten kommt der Sammler oder Liebhaber zu einem solch verdichteten Angebot an Werken Rudi Baerwinds – abgesehen von musealen oder wenigen öffentlich zugänglichen Sammlungen wie in den Foyers des Mannheimer Theresienkrankenhauses oder des Mannheimer Landgerichts. Die 18 zu versteigernden Arbeiten des Mannheimer „Kulturmotors“ (Dann/Theuer/Scholl [Hrsg.]: Rudi Baerwind, München 2010, S. 22) der Nachkriegszeit geben einen annähernden Querschnitt zu Baerwinds künstlerischem Oeuvre. Die beiden Hauptwerke der Sammlung „Die Nacht“ (Taxe 1200.- €) und „Les Arbres“ (Taxe 800.- €) illustrieren eben jene Pole des baerwindschen Schaffens: das Figurative und das Abstrakte.
„Die Nacht“ zeigt sich als liegender Frauenakt in postkubistischem Duktus (Vgl. Selbstbildnis aus der Sammlung der Mannheimer Kunsthalle) aus farbigen Formen in überwiegend blauem Kolorit. Hier spiegelt sich des Künstlers humanistisch geprägtes Interesse an der antiken Mythologie in der Darstellung der Nyx als weibliche Personifikation der Nacht. Ebenso manifestiert sich Baerwinds bacchantische Identität und dessen überwiegend nächtlich vonstattengehender ausschweifender Aktionismus. Die Nacht verweist bereits auf das organische Streben nach Abstraktion und die bestimmende Rolle der Farbe ab Ende der 1950er-Jahre. Baerwinds Schaffen, bleibt jedoch auch später zweifelsfrei der Dingbezogenheit verpflichtet – auch wenn sich dies lediglich auf die Werktitel oder den übergreifenden Kontext der Werkreihen beschränkt.
So der Fall beim zweiten zu erwähnenden Werk der Sammlung, in „Les Arbres“ (frz. die Bäume), entstanden wohl Mitte der 1960er-Jahre. Bereits in seiner frühen figurativen Phase widmete sich Baerwind dem organischen und bereits von unzähligen Künstlergenerationen tradierten Motiv der Bäume. Lässt der erste Blick auf die tachistische Komposition keinen Bezug zum vegetativen Sujet zu, erinnert ein zweites Sich-Versenken an die fleischigen Farb-Sensationen eines Lovis Corinth oder Chaim Soutine: Bei diesen Archetypen Baerwinds beginnt sich der Abbildcharakter der Gemälde zugunsten einer haptischen Identifikation von Bildfläche und Dargestelltem aufzulösen. Im Falle von Soutines Gemälden von aufghängten Rinderkarkadavern scheint eben solcher wie flach geklopft auf die Leinwand gespannt zu sein (Vgl. Le Boeuf écorché aus der Sammlung des Musée de Grenoble). In einer maximalen Identifikation von Pigment und Fleisch wird der Eindruck erweckt der pastose, haptische Auftrag der Farbmasse habe sich in das rohe, tote Fleisch des Tieres verwandelt. Ähnlich diesem drastischen Vorbild scheint Baerwind in „Les Arbres“ die organisch-unregelmäßige Oberfläche der Bäume, die Rinde geradezu buchstäblich durch seinen dynamischen Gestus über die Bildoberfläche wachsen zu lassen. Die Farbmasse auf der Leinwand kommt in malerisch-gestischer Verschränkung dem Stamm der Bäume gleich.
Im Angebot der Auktion bietet sich dem Interessenten eine umfangreiche Schraffur an Arbeiten zwischen diesen beiden extremen Werken. Die Vorbesichtigung ab sofort (Stand 25.05.2022) lädt ein sich von Rudi Baerwind und seinen Arbeiten erneut oder erstmalig überzeugen zu lassen oder im Sinne Clement Greenbergs zumindest den eignen Geschmack zu „trainieren“ und sich von den abstrakten Tendenzen irritieren zu lassen.
Autor:Erik Patzschewitz aus Ludwigshafen |
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