Historisches Wirtshaus "Zum Unteren Tor" abgerissen
Ein Wirtshausschild mit ortsgeschichtlichem Hintergrund

Foto: Bernhad Kunz
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Mutterstadt. Vor einigen Wochen wurde eines der letzten erhaltenen Fachwerkhäuser im Unterdorf abgerissen für einen Um- und Erweiterungsbau. Mit der Hausfassade an der Ecke Luitpoldstraße/Oggersheimer Straße verschwand auch das aufgemalte Wirtshausschild „Zum Unteren Tor“, das an die Mutterstadter Ortsgeschichte erinnerte. Dies nahm Volker Schläfer, der sich mit der Neueren Ortsgeschichte befasst, zum Anlass, im Gemeindearchiv über die Geschichte des Anwesens mit dem ortsbekannten Wirtshausschild, das an die frühere „Untere Pforte“ erinnerte, zu recherchieren, auch „weil mit dem jetzt „verschwundenen“ Wirtshausschild „Zum Unteren Tor“, (wieder) ein Stück Mutterstadter Ortsgeschichte Vergangenheit ist“, so Volker Schläfer.
Das sogenannte Unterdorf wurde im 16. Jahrhundert von zwei Torhäusern geschützt; die „Obere Pforte“ stand am südlichen Ende der heutigen Oggersheimer Straße, Ecke Ludwigshafener Straße, die „Untere Pforte“ am Ende der früheren „Hintergasse“, heute Luitpoldstraße. Wie die Unterpforte ausgesehen hat, ist nicht belegt, nach Archivunterlagen hatte die Untere Pforte mindestens zwei Wohnungen, die von der Gemeinde unterhalten wurden. Anfang des 19. Jahrhunderts wurde das Bauwerk dann für den Abbruch versteigert. Ein Anwesen, direkt neben dem früheren „Unteren Tor“, gehörte erst dem Bauer Jakob Kissel und dann der Familie Raparlie, die das Haus den Spengler Christoph Becker für den Betrieb einer Wein- und Bierwirtschaft verpachtet hatte. 1886 übernahm dann der Kohlen- und Baustoffhändler Jakob Raparlie (1862-1907) den Wirtschaftsbetrieb. Lt. damaligem Gemeinderatsprotokoll stimmte der Gemeinderat der Erlaubnis zu und bejahte die „….Bedürfnissfrage bei der Wirtschaft, „… weil in dem Anwesen auch ein Spezereigeschäft betrieben wird, an einer Straßenkreuzung liegt und deshalb seit Jahren diese Wirtschaft eine sehr gute Frequenz nachweisen kann, zumal auf eine Länge von mehr als 200 mtr. sich keine weitere Wirtschaft findet. ….. Gegen den Gesuchsteller liegen auch keine Tatsachen vor, dass derselbe das Wirtschaftsgewerbe zur Völlerei oder zu sonstigen unerlaubten Handlungen missbrauchen wird ….“. Wirtsnachfolger wurde dann dessen Sohn Philipp Raparlie (1888-1958), der um 1930 das prägnante Wirtshausschild „Zum Unteren Tor“ auf der Hausfassade aufmalen ließ: in roter Schrift auf ockerfarbenem Grund, eingerahmt von dunkelblauen Weintrauben. Verwandte der Familie Raparlie, Hans Weinacht und seine Frau Luise übernahmen dann 1958 die Bier- und Weinwirtschaft sowie daneben einen kleinen „Tante Emma-Laden“.. Nach Zeitzeugen war die Gastwirtschaft zirka 60 m² groß mit einer niederen Decke, möbliert mit einem Tresen und dunklen schweren Eichentischen. Eine große Standuhr und Jagdtrophäen an den Wänden gehörten auch zum Inventar. Philipp Raparlie und Hans Weinacht waren beide Jäger, und so gab es, neben der üblichen Pfälzer Hausmannskost, oft auch Wild zu essen. Die Wirtshausbesucher kamen vornehmlich aus dem bäuerlichen Umfeld des Unterdorfes, auch Nebenerwerbslandwirte, die als Arbeiter in Ludwigshafen „schafften“ und Tagelöhner tranken im „Unteren Tor“ ihr Feierabendbier. 1966 wurde die Wirtschaft geschlossen, einige Jahre später auch der Laden.
Das Gemeindearchiv hat beim Abriss auf dem Dachboden noch einige Geschäftsbücher von Raparlie, aus der Zeit Ende 19., Anfang 20. Jahrhundert, „retten“ können. Volker Schläfers Fazit nach einer ersten groben Durchsicht: „Die Auswertung der gefundenen Bücher wird sicherlich interessant werden, weil wir dadurch etwas über die damaligen Lebensverhältnisse und das Geschäftsgebaren im Ort erfahren können“. So sind in einem Weinbuch für Schankwirte Fassweinlieferungen u.a. aus Ungstein, Kallstadt oder Gönnheim aufgeführt, aber auch Apfelweinlieferungen aus Mutterstadt. In einer Kladde gibt es Aufzeichnungen über Wirtshausbesucher, wann und was sie verzehrt und getrunken haben. Es wurde beim Wirt auch „angeschrieben“ und die Schuld dann teilweise über Wochen in Kleinstbeträgen „abgestottert“. Die Geschäftsbücher betreffen u.a. Kohlen- und Baumaterialienhandel, Hobelwerkstatt und Landkram-Verkauf. (Text: Volker Schläfer)

Foto: Bernhad Kunz
Foto: li: Victor Riley / re: Michael Hemberger
Autor:

Michael Hemberger aus Mutterstadt

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