Interessantes von und mit Volker Schläfer
Vor achtzig Jahren, im März 1945, ist der Krieg auch in Mutterstadt zu Ende: Rückblick und Erinnerung eines Zeitzeugen

Foto: Gemeindearchiv Mutterstadt

Im März 1945 endete auch in Mutterstadt der 2. Weltkrieg. Rückblick auf diese letzten Kriegstage vor achtzig Jahren, als der Krieg, den Deutschland nach ganz Europa getragen hatte, in die Pfalz zurückkehrte. Der ungleiche Kampf war aussichtslos geworden, den Zusammenbruch des 3. Reiches konnten auch letzte verzweifelte Anstrengungen nicht mehr aufhalten, trotzdem wurde er, und damit mit weiteren Opfern, fortgesetzt. Auf der einen Seite die Alliierten mit einer bestens ausgerüsteter Armee auf ihrem Vormarsch in und durch die Pfalz; auf der anderen, deutschen Seite, wurde verzweifelt versucht, die US-Truppen mit den letzten Reserven noch aufzuhalten.

Ortschronist Volker Schläfer hat über diese Zeit dazu nochmals die Archivunterlagen im Rathaus gelesen und Veröffentlichungen in Sachbüchern. Die Deutsche Wehrmacht legte Wochen vorher mit mehreren hundert Mann, requiriert vom Volkssturm und mit Fremdarbeitern, auch am Mutterstadter Waldrand Erdbefestigungen an und baute den Floßbach vom Forsthaus ausgehend in Richtung Norden bis an den Fußgönheimer Weg als Panzergraben aus. An den Ortseingängen wurden Panzersperren errichtet und Soldaten sollten Mutterstadt mit Panzerfäusten verteidigen.

Am Nachmittag des 21. März hisste ein Mann auf dem Kirchturm der protestantischen Kirche eine weiße Fahne. Es gibt dazu zwei unterschiedliche Aussagen, wer das war. Entweder Johannes Unold (KPD) oder Ludwig Reimer (SPD), beide waren in der NS-Zeit im Widerstand aktiv tätig. Der Kommandant der Nachhut befahl aber unter Androhung von Repressalien das einholen der Fahne und die Schließung der Panzersperren. Im Laufe des Tages rückten Truppen der 12. US-Panzerdivision aus Richtung Fußgönheim kommend, auf den Ort zu mit der Drohung, Mutterstadt beim geringsten Widerstand zu zerstören. Viele Zivilisten flohen auf Grund der bedrohlichen Lage in Nachbardörfer. Nach Schließung der Panzersperren durch deutsche Soldaten begannen die Amerikaner mit massivem Artilleriebeschuss. Die deutschen Soldaten, die den Ort verteidigen sollten und wollten, ließen sich durch einsichtige Bürger dazu bewegen, „das Feld zu räumen“; und so konnte schlimmeres noch abgewendet werden.

Am Abend erreichten die US-Truppen dann den Ortsrand und rückten nach 21 Uhr mit Infanterie und Panzern an den Straßensperren vorbei in den Ort ein. Die aus Baumstämmen und Pfählen bestehenden Panzersperren, militärisch faktisch wertlos, waren kurz vorher von mutigen Mutterstadter Frauen zersägt worden. Weil die Amerikaner aber nicht wissen konnten, dass es keinen Widerstand mehr gab, beschossen sie bei ihrem Vorrücken vereinzelt immer mal wieder Straßen, Häuser, Höfe. Zu Kriegsende, am 20. uns 21. März, kamen so in Mutterstadt nochmals 7 Zivilpersonen zu Tode; dazu noch Verletzte und ein erheblicher Gebäudeschaden. In der Nacht des 22. März 1945 begrüßten dann die Einwohner mit weißen Tüchern die US-Truppen; der Krieg und die Nazizeit waren auch in Mutterstadt vorbei. Nach der vollständigen Einnahme des Ortes erfolgte deren Truppeneinquartierung in ausgesuchte Häuser. Bei den Requisitionen hatten die Bewohner, die ihre Wohnungen dafür räumen mussten, in der Regel nur bis zu zwei Stunden Zeit, um das wichtigste zusammenzupacken und irgendwo anders unterzukommen. Persönliche Gegenstände, Möbel, oder Gebrauchsgegenstände verblieben zur Verfügung der Sieger in den Gebäuden.

Im Sterberegister des Standesamts sind die Todesopfer in Mutterstadt durch Feindeinwirkung beurkundet: In der Nacht des 20. März starb ein Mann nördlich der Neustadter Straße, am 21. März kam eine Frau mit ihrer fünfjährigen Tochter in der Speyerer Straße ums Leben und ein Mann starb nach einer Schussverletzung in der Luisenstraße Anfang April im Krankenhaus. In der Lessingstraße gab es drei Tote, das waren das Ehepaar Weinacht und ihr damals dreijähriger Sohn. Die Familie hatte, wie immer bei Flieger- oder Bombenalarm, ihre Wohnung verlassen und im hinteren Grundstücksteil im Keller unter der Scheune Schutz gesucht.

Der damals vierjährige Klaus Weinacht erinnert sich immer noch genau, auch jetzt nach achtzig Jahren, an diesen schrecklichen Tag, er sein Leben für immer veränderte:
„Mein Vater, meine Mutter und wir drei Kinder, mein dreijähriger Bruder, meine einjährige
Schwester und ich, lagen bzw. saßen an der Kellerwand oder lagen am Boden, als kurz nach 22 Uhr ein Artilleriebeschuss das Gebäude traf und meine Eltern und mein Bruder dabei starben. Meine Schwester und ich überlebten, nur ein, zwei Meter von unserer Familie entfernt, den tödlichen Granateinschlag. Ich wurde am Bein verwundet, aber erst nach einigen Tagen im Krankenhaus versorgt. Wir waren jetzt Kriegsvollweise und lebten dann viele Jahre bei Verwandten, u.a. bei meinem Onkel Hans Weinacht in der Gaststätte Zum Unteren Tor in der Luitpoldstraße. Meine Schwester Margot und ich haben quasi zweimal im Jahr Geburtstag; einmal im Februar, in dem wir beide geboren sind, und einmal am 21. März, dem Tag, an dem wir überlebt haben“. Die Tragik an dieser Geschichte ist, dass an diesem Tag der Schutzraum zur tödlichen Falle wurde.Wäre die Familie Weinacht nicht wie immer in den als sicher geltenden Keller gegangen, hätten sie überlebt, denn das Vorderhaus blieb bei dem Beschuss unbeschädigt.

Wer an diesen Tagen des Kriegsendes als „Ortschef“ fungierte, ist nicht mehr genau nachzuvollziehen: Einmal heißt es, dass der geschäftsführende Bürgermeister August Steiger noch im Amt gewesen sei, in anderen Unterlagen aber, dass der Beigeordnete Otto Steiger die Amtsgeschäfte geführt habe. Beide gehörten in jedem Falle zu den aktiven örtlichen NS-Funktionären und waren so für die Sieger untragbar. Am 24. März setzten die Amerikaner deshalb einen „unbelasteten“ Bürger als Bürgermeister ein: Es war der damals 60jährige Heinrich Hartmann, SPD-Mitglied und Schriftleiter der 1933 verbotenen „Pfälzischen Post“. Die schwierigsten und dringlichsten Aufgaben für die Gemeindeverwaltung waren damals die Lösung der katastrophalen Versorgungslage, die Unterbringung der durch die Kriegsschäden an den Gebäuden obdachlos gewordenen Einwohner sowie die Aufräumungsarbeiten. Zusätzlich benötigten damals auch noch zirka 900 im Ort anwesende Fremdarbeiter und Kriegsgefangene eine Unterkunft, wofür fast die gesamte Schulstraße geräumt wurde.

Tödliche Statistik dieses Krieges für Mutterstadt: Nach den vorliegenden Unterlagen im Gemeindearchiv gab es 369 Menschenleben zu beklagen; das waren die im Krieg gefallenen oder auf Dauer vermissten Soldaten und Zivilpersonen durch Feindeinwirkung im Ort. Diese Todeszahl erhöht sich aber noch durch heimgekehrte Soldaten und Zivilpersonen, die nach Kriegsende oder noch Jahre später, an den Kriegsverletzungen oder Spätfolgen gestorben sind, deren Zahl aber nicht mehr genau zu ermitteln ist mangels entsprechender Einträge in den Urkunden. Zu den Kriegstoten zählen auch die im Ort einquartierten 14 Soldaten, die bei einem Bombenangriff ums Leben kamen und zwei Kriegsgefangene, die als Fremdarbeiter in der Landwirtschaft eingesetzt waren. Dazu kommen mehrere in der Gemarkung tödlich abgestürzte Fliegersoldaten der Alliierten.

Autor:

Michael Hemberger aus Mutterstadt

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