Bewohner kümmern sich um Hühner
Gefiederte Gäste
Behutsam streichelt Silvia Werling über Siris Gefieder. Siri entspannt. Silvia Werling strahlt. Siri ist eines von vier Hühnern, die derzeit auf dem Außengelände von Konrad-Lerch-Wohnheim (KLW) Haus 1 in Offenbach gackern, scharren und picken. In dieser besonderen Wohnform der Lebenshilfe Südliche Weinstraße und im benachbarten Haus 2 leben insgesamt 56 Menschen mit Behinderung. Im wöchentlichen Wechsel kümmern sie sich um die gefiederten Gäste.
Seit ihrem Einzug am 16. Juni begeistern Sussex Siri, Blausperber Berta, Blumenhuhn Carla und Blumenhuhn-Mix Bibi die Bewohner Tag für Tag: „Ich mag Hühner einfach. Es ist schön, dass sie da sind“, freut sich Steffi Beck. „Oft verbringen die Menschen, die bei uns leben, mehrere Stunden vor dem Gehege, um die Hühner zu beobachten“, berichtet Kirsten Völcker, die das Projekt zusammen mit Romina Rudolphi, Sozialer Dienst KLW, angestoßen hat. „Diese Form der tiergestützten Pädagogik verbindet alle Bewohner, Mitarbeiter und Besucher. So entsteht häuserübergreifender Gesprächsstoff“, führt Romina Rudolphi aus. Dann hält sie inne und blickt zu einer Frau, die gerade einen weiteren Gartenstuhl in die Reihe rückt. „Menschen, die sich vor bestimmten Tieren fürchten, können hier im geschützten Rahmen ihre Ängste abbauen“, ergänzt die Wahl-Pfälzerin.
Doch die Bewohner schauen nicht nur zu. Sie übernehmen aktiv Verantwortung für die „Miet-Hühner“, die samt mobilem Stall und Zubehör angereist sind. Ein am Zaun befestigtes Schild gibt einen Überblick, welche Aufgaben wann zu erledigen sind. Dabei ist Teamwork gefragt. Während Martina Weiler an diesem Nachmittag das Futter auffüllt, sorgt Paul Kunz für frisches Wasser. Die Belohnung lässt nicht lange auf sich warten: „Zwei frische Eier!“, ruft Günther Pahle. Die Mitbewohner klatschen. Gleich werden die Eier ins Haus gebracht. Dort sammelt das Team sie immer bis zum Wochenende. Dann gibt es Kuchen, Omelette oder andere Eierspeisen. „So haben alle Bewohner etwas davon“, erläutert Kirsten Völcker. „Die Vorfreude ist immer sehr groß. Schließlich erleben sie, welche Schritte nötig sind, damit wir überhaupt Eier essen können. Und alle sehen, dass ein Ei nicht aus dem Supermarkt kommt, sondern aus dem Huhn.“
Carla scharrt. Sie gräbt ein Loch in den Sand. „Warum macht sie das?“, möchte Silvia Werling wissen. „Es ist heiß. Sie will ihr Federkleid pflegen und braucht Abkühlung“, erklärt Romina Rudolphi. Auch Bildung und Gesundheitsaufklärung sind wichtige Bestandteile des pädagogischen Projekts. Bald darauf betritt die Bewohnerin das Gehege mit einer großen Schale voll Wasser – eine Badewanne. „Am Abend gehen die Hühner von alleine in ihren Stall“, sagt Steffi Beck. Die gefiederten Damen schlafen im Obergeschoss. Die Tür schließt automatisch um 22 Uhr. Erst am nächsten Morgen öffnet sie sich wieder. „Marder und Füchse haben so keine Chance“, betont Hausleitung Kirsten Völcker. Doch sie sind nicht die einzigen Tiere, die sich für die Hühner interessieren. Ein Hahn aus der Nachbarschaft weicht ihnen während des Tages kaum von der Seite, seit er sie entdeckt hat. Er muss jedoch außerhalb der Abzäunung bleiben.
Hühner beobachten, Hühner pflegen. Aber streicheln? „Unsere gefiederten Gäste sind an Menschen gewöhnt und teilweise sehr zutraulich“, so Kirsten Völcker. „Viele Bewohner genießen es, die Tiere begleitet von jemandem aus unserem Team hin und wieder auf dem Arm zu halten und zu berühren.“ Noch bis zum 22. Juli leben Berta, Bibi, Carla und Siri auf dem Außengelände von Haus 1. Möglicherweise folgen ähnliche Projekte in weiteren Einrichtungen der Lebenshilfe Südliche Weinstraße.
Nach Naomi Braun ist noch einmal Silvia Werling an der Reihe. „Du bist ein gutes Huhn“, flüstert sie Siri zu. Und streichelt sanft über ihr Gefieder.
Autor:Dennis Christmann aus Offenbach |
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