Fitness, Corona und Calisthenics
Gesund durch die Corona-Krise

53 Prozent! Über die Hälfte der Erwachsenen ist übergewichtig, mit steigender Tendenz wegen der Corona-Krise. Zumindest laut Medizinprofessor Rüdiger Reer, Leiter der Abteilung Sport- und Bewegungsmedizin an der Universität Hamburg und Generalsekretär des Deutschen Sportärztebundes (DGSP), in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Ich selbst verfolge nicht nur die Gewichtsproblematik hier bei uns, sondern auch in Amerika, wo über 70 Prozent der Bevölkerung adipös ist, sondern ich bin auch von den 53 Prozent zu den 47 Prozent gewechselt. Der Corona-Virus zwingt uns derzeit dazu, daheim zu bleiben. Da ist die Gefahr groß, dass wir durch zu wenig Bewegung und durch zu viel Essen schnell schwerer werden, bis der Alltag zurückkehrt. Übergewicht ist gefährlich und ein zunehmendes Problem unserer Gesellschaft, zumal es mit Krankheiten wie Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Beschwerden und Körperschäden korreliert. Da ich einige Anfragen erhalten habe, werde ich kurz auf Training und Ernährung eingehen und drei Tipps geben, um fit durch die Corona-Krise zu kommen.

Training
Den menschlichen Körper vergleiche ich gern mit einem Kraftwerk. Die Organe sind die Schaltzentralen und Unternehmer, die Muskeln sind die Glühbirnen und das Nervensystem ist der Stromkreis. Ziel dieses Kraftwerks ist es, Licht zu erzeugen. Will ich mehr Licht erzeugen (also stärker werden), kann ich entweder größere Glühbirnen kaufen (das heißt Training, damit die Muskelfasern wachsen, also wenige Sätze mit vielen Wiederholungen, die die Muskeln erschöpfen) oder den Stromkreis besser verdrahten (also viele Sätze mit wenig Wiederholungen, so eine bis drei, möglichst frisch). Anspannung kann dabei als der Strom gesehen werden, der durch den Körper fließt. Egal, was ich mit meinem Training erreichen will, es hängt vor allem davon ab, wie gut ich meine Muskeln kontrollieren kann. Und dass der Strom auch durch die richtigen Leitungen fließt und meine Gelenke nicht kaputt macht.
Natürlich sollte ich wissen: Was genau trainiere ich? Training ist per Definitionem etwas, was Regelmäßigkeit, Systematik und Nachhaltigkeit beinhaltet. Wenn ich gern Fußball spiele, werde ich für diese Sportart anders trainieren als jemand, der gern Schwimmen geht. Natürlich gibt es Überschneidungen, aber das Prinzip sollte klar sein. Ein generelles Ziel in der jetzigen Situation kann sein, gesund durch die Corona-Krise zu kommen, und da bieten sich Ganzkörperübungen wie Liegestütze, Kniebeugen, Beinheben und Klimmzüge an. Diese Übungen reichen aus, um sich gesund zu halten, lassen sich praktisch überall ausführen und benötigen keine Ausrüstung (alles, was ich in den letzten zwei Jahren, seit ich trainiere, gekauft habe, sind ein Basketball, ein Tennisball und eine Klimmzugstange); ich muss bloß wissen, wie ich sie progressiv gestalte.
Progression ist dabei das Zauberwort, denn wenn man etwas trainiert, sollte man stets versuchen, besser zu werden. Seien es die Anzahl an Wiederholungen, die bewusste Anspannung oder die Ausführung, es lässt sich immer was verbessern. Natürlich muss jetzt nicht jeder Mensch einbeinige Kniebeugen ausführen können, aber die Grundübungen sollte man in meinen Augen schon drauf haben. Ich bin mir ziemlich sicher, dass jeder Mensch Liegestütze an der Wand ausführen kann und die Hemmschwelle dafür relativ gering ist; bei Liegestützen an der Tischkante wird es schon ein bisschen schwieriger, auf den Knien noch ein bisschen mehr. Hier kann ich jedem Menschen nur raten, für sich selbst herauszufinden, was er*sie erreichen will und wie er*sie das angeht, denn wenn wir das Wort "Fitness" wörtlich übersetzen, heißt es so viel wie "Passendmachung". Für was man sich passend machen möchte, bleibt einem selbst überlassen.

Ernährung
Zu diesem Thema wurden und werden mehr Bücher geschrieben, als dieser Artikel an Buchstaben hat, darum werde ich das hier allgemein halten: In Bezug auf mein Kraftwerkgleichnis sind die Makronährstoffe, also Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße, die Baustoffe. Die Mikronährstoffe, also Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente, sind die Arbeitsgeräte, die Nägel und der Zement. Importiere ich zu wenig oder lasse etwas ganz weg, bekomme ich Probleme. Importiere ich zu viele Baustoffe, muss mein Kraftwerk es erst einmal auslagern. Es wird dann später verwendet, wenn Baustoff knapp wird. Kommt es aber zu keiner Knappheit, wird das Lager nicht leer. Wird immer wieder mehr nachgeschoben, als verbraucht wird, wird das Lager ausgebaut. Oder anders ausgedrückt: Wäre der menschliche Körper eine Wohnung, dann entsprächen die Kilos den Quadratmetern. Eine Wohnung mit 80m² hat weniger Heizkosten als eine mit 100m². Im Gegensatz zu realen Wohnungen baut der menschliche Körper aber aus, wenn zu viel mit Baustoffen geheizt wird. Wenn ich 80 Kilo wiege, aber so viel esse, als wöge ich 90 Kilo, wird sich mein Körper diesem Gewicht annähern. Dasselbe gilt auch umgekehrt. Um gesund zu bleiben, gehen Training und Ernährung Hand in Hand, denn wenn ich die Stromrechnung meines Körper-Kraftwerks in die Höhe treibe und auf die richtige, angemessene Baustoffzufuhr achte, werde ich nicht Gefahr laufen, ein Fettlager um meinen Bauch anzulegen.

Zum Schluss noch drei Tipps
Tipp 1: Bewusste Anspannung anstelle von reaktionärer Anspannung

Ich lade zu einem Selbstversuch ein: Liegestütze an der Wand. Ausgangsposition: Stellt euch vor eine Wand, eine Armlänge Abstand, Hände auf Brusthöhe, flach an die Wand aufgelegt. Ausführung: Langsam, bis die Stirn sanft die Wand berührt, dann wieder zurück in die Ausgangsposition. 5 Wiederholungen. Pausiert kurz und fragt euch: "Welche Muskeln habe ich gefühlt?“ Begebt euch dann wieder in die Ausgangsposition, aber diesmal spannt ihr bewusst Arme, Brust, Bauch, Pobacken und Knie an und versucht, die Spannung zu halten. Haltet die Anspannung so fest, wie ihr könnt. Führt fünf Liegestütze aus. Pausiert und fragt euch erneut, was für Muskeln ihr gefühlt habt. Ich bin mir ziemlich sicher, die Antwort wird anders ausfallen.

Tipp 2: Regelmäßigkeit, Progression und Überprüfbarkeit
Trainieren ist wie Segeln auf dem großen weiten Meer. Ich kann ein richtig tolles Boot haben (was mein Körper potentiell leisten kann), aber wenn ich nicht weiß, wo ich mich befinde und wo ich hin will, werde ich über kurz oder lang die Motivation verlieren. Darum ist es in meinen Augen wichtig, sich ein Ziel zu setzen (die Insel, zu der ich hin möchte) und ein Trainingstagebuch (Kompass) zu führen, in denen ich meine Fortschritte aufzeichne. Auf dem Weg zur Insel kann es zu Unwettern (sich verändernde Lebensumstände) kommen. Auf dem Weg kann mein Boot besser werden (Progression), wodurch es mir nach und nach leichter fällt, mein Ziel zu erreichen. Um mich selbst als Beispiel zu nehmen: Im Juni 2018 fing ich an, nach Wade’s Trainieren wie im Knast zu trainieren. Mein Ziel war es, einbeinige Kniebeugen zu schaffen. Damals konnte ich Kniebeugen nur gestützt über einem Stuhl ausführen. Im Dezember 2018 waren es schon ganze Kniebeugen ohne Stützhilfen. Am 5. Juni 2019 konnte ich zum ersten Mal einbeinige Kniebeugen ausführen. Ohne Regelmäßigkeit wäre ich nie dahin gekommen. Ohne meinen Kompass könnte ich nicht einmal mehr den Monat nennen, in dem ich es geschafft habe.

Tipp 3: (Für Abnehmwillige) Tägliches Wiegen
Wer sich täglich wiegt, wird schnell feststellen, dass das Gewicht gerne schwankt. Die Antwort: Wassereinlagerungen. Durch hohe Außentemperaturen, Sport, salzreiches Essen oder anderes. Oder auch Essen, das noch verdaut werden muss…. Zum Vergleich: Ein Kilogramm Fettgewebe entspricht um die 7.000 kcal. Um das aufzubauen oder zu verlieren, muss man schon ordentlich beim Essen reinhauen bzw. einschränken. Ein wesentlich effektiveres Mittel ist es, sich jeden Tag zu derselben Uhrzeit zu wiegen, das Ergebnis schriftlich festzuhalten und wöchentlich einmal den Durchschnitt auszurechnen. Damit kann man auf lange Sicht herausfinden, ob man sein Gewicht hält oder zu- bzw. abgenommen hat. Beispiel: Durchschnittsgewicht in der ersten Oktoberwoche 2018: 93,4 kg Durchschnittsgewicht in der zweiten Märzwoche 2020: 78,5 kg

Stephan Riedl ist EUTB-Teilhabeberater, von Asperger Autismus betroffen, und berät im Seelentröpfchen in Kaiserslautern als Betroffener Betroffene.

Autor:

Stephan Riedl aus Rodalben

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