Kriminelle Energie in der Eremitage:
Leiche liegt unter der Lichtkuppel
Waghäusel. Oh Gott. Im großen Kuppelsaal der 1724 erbauten Eremitage liegt eine Leiche. Sonderbar: Ein seltsamer Schuh auf dem Oberkörper gibt Rätsel auf. Noch sonderbarer: Ein Vertreter der Schweizer Kantonspolizei ermittelt im nordbadischen Waghäusel und stellt dabei fest, dass der Leblose in einer Sauna mit dem Aufguss vergiftet sein soll. Etwa 80 Zuschauer im beengten Obergeschoss der ehemaligen Residenz der Speyerer Fürstbischöfe verfolgen die penible Aufklärung - aber trotz „Todesfall“ freuen sie sich, lachen und klatschen Beifall.
Bei dem Meuchelmord handelt es sich (nur) um eine ausgedachte und nachgestellte Übeltat. Nichts Echtes. Seit knapp 300 Jahren besteht das barocke Jagd- und Lustschloss, doch wohl erstmals wird in seinen Mauern ein modernes Improvisationstheater geboten. Zwar habe sich Seine Durchlaucht in diesem Refugium sicherlich auch amüsiert, meinte die städtische Kulturbeauftragte Dr. Antje Gillich bei der Begrüßung, aber wohl nicht wegen eines auf kriminellen Abwegen befindlichen Improvisationstheaters.
Eine Premiere also. Zusammen mit der Stadtbibliothek bot das seit 1982 agierende Amateurtheater „Parole“ Wiesental ungewohnte „Krimitage in der Eremitage“ und speziell ein Impro-Theater „Kriminell spontan“.
„Alles was heute zu erleben ist, ist eine Uraufführung“, war zum Start zu erfahren. Was sich auf der Bühne abspielt, ist weder besprochen, geschweige denn geprobt. Niemand wisse im Voraus, was auf ihn zukomme, aber es werde verboten gut, hieß es schon bei der Ankündigung des Auftritts in der Presse. Und das Versprechen wurde gehalten. Zu erleben war die Erkenntnis: Das Improvisationstheater ist der rebellische Bruder des klassischen Theaters. Das Publikum ist hier nicht nur Zuschauer, es ist aktiv dabei, liefert Inputs, wodurch spontane Geschichten vor der schlichten Kulisse entstehen.
Normalsterblichen kann das Impro-Theater durchaus Respekt und Angst einflößen – bei der Vorstellung, einmal mit dabei zu sein und gefordert zu werden. Wer keine Spontanität besitzt, nicht mit Schlagfertigkeit besticht, kann mitunter alt aussehen. Zeit, um zu reagieren und nach Wörtern zu suchen, hat keiner. Alles geht Schlag auf Schlag, das eine Wort ergibt das andere. „Ich habe mir zwischendurch ausgemalt, ich stünde da vorn und müsste immer den passenden Anschlusssatz sagen. Und der soll ja nicht langweilig, sondern möglichst geistreich, originell und lustig sein“, verrät ein Besucher.
Komplimente gab es zuhauf. Die insgesamt sieben Mitspieler lieferten eine Meisterleistung ab, das Publikum zeigte sich in höchstem Maße begeistert. Zwischendurch und erstrecht zum Schluss feierten die Krimifreunde ihre Krimiakteure mit lautstarkem Beifall, insbesondere den jungen Benedikt Freidel als Leiter des Ensembles und Ralf Mahl als Art Einsatzregisseur, der auch in die Rolle des Schweizer Kriminalisten schlüpfte.
In Topform präsentierten sich die Tausendsassas David Heger und Markus Haehnel. Den Männern standen die beeindruckenden talentierten Frauen mit Lena Simon, Wiebke Stak und Sonja Gäng in nichts nach. Für die Technik zeichnete Philipp Machauer, für die Gesamtorganisation der bewährte Achim Milbich verantwortlich.
Improvisationstheater wird zu Recht als Volkstheater bezeichnet. Denn es bezieht das Publikum direkt mit ein, das durch Zurufe die Handlungsorte, Mordinstrumente, Täter und Opfer vorgibt. Wer sich aufs Impro-Theater einlässt, muss Spaß am Experimentieren haben und sich auf unbekannte Situationen einstellen können. Die Zuschauer bestimmen auch darüber, in welchem Verhältnis die Personen auf der Bühne zueinander stehen sollen – also beispielsweise Nachbarn, Eheleute, Arbeitskollegen.
Gleich mehrere Krimis, ja mehrere kriminelle Geschichten spielen sich im Hauptbau zwischen den vier Flügelbauten ab. So gibt es vier vom Publikum ausgewählte parallel verlaufende Handlungen zu sehen: auf dem Dachboden, in einem Dom, in der Metzgerei und im Fitnessstudio. Die Szenen wechseln nach verhältnismäßig kurzer Zeit.
Eingebaut in das fast zweistündige Programm ist der „langweiligste Krimi“, der aber aufgrund der Nachbarstreitigkeiten durchaus spannend verläuft. Lustig wird das Verhör mit drei völlig unterschiedlichen Typen, wobei der hysterische Gegenüber den meisten Gefallen findet.
Bei dem Hauptkrimi kann das Publikum über die Mordwaffe entscheiden, über die Person des Kommissars, über das geeignetste Opfer, über den Ort des Verbrechens. Doch Impro-Theater ist kein Theaterstück an einem Stück, immer wieder sind Schnitt, Szenenwechsel, Ortswechsel und Zeitenwechsel angesagt. Zum Finale wird ein Sekundentod vorgestellt, ein makabrer Bananenmord in drei Zeitvorgaben geliefert: eine längere Version, eine mittlere und eine ganz, ganz kurze.
Autor:Werner Schmidhuber aus Waghäusel |
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