Hochwasserschutz am Rhein ist ein viel und kontrovers diskutiertes Thema
"Naturnahe Entwicklung von Elisabethenwört ermöglichen und zulassen"

Hermann Geyer | Foto: privat
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Region. Dammrückverlegung - und damit verbunden - natürliche Flutung oder Polderlösung: Kaum ein Thema ist in der Region so umstritten wie der Hochwasserschutz am Rhein bei Dettenheim. Was den einen nicht weit genug geht, ist den anderen bereits zu viel Eingriff in die Wege der Natur. "Wochenblatt"-Redakteurin Heike Schwitalla sprach über das brisante Thema mit Hermann Geyer vom Verein für Vogel- und Naturschutz in Dettenheim. Er versucht, Verständnis für beide Sichtweisen aufzubringen, spricht sich aber eindeutig für die naturnahe Entwicklung rund um Elisabethenwört aus.

???: Viele Bürger fühlen sich übergangen, fanden die Art, wie das Land die Entscheidung für die kleine Dammrückverlegung bei Elisabethenwört verkündet falsch. Wie ist Ihre Meinung dazu, können Sie diese Haltung verstehen?
Hermann Geyer: Ich habe großes Verständnis für die Empörung über die Art und Weise, wie im Februar 2018 die Entscheidung für die kleine Variante der Dammrückverlegung verkündet wurde. Der Beteiligungsfahrplan und die mit der Einladung verschickten Unterlagen sahen lediglich die Entscheidung für eine „kleine“ Variante vor.
Auf der Grundlage dieses „Meilensteins“ war dann eine Fortführung des Beteiligungsprozesses für die endgültige Variantenentscheidung vorgesehen. Man mag dem Regierungspräsidium Glauben schenken, dass die Planungen bereits zum 28. Februar zur Entscheidungsreife gediehen waren, so dass eine weitere Öffentlichkeitsbeteiligung für den Variantenentscheid eine unehrliche Schauveranstaltung gewesen wäre. Allerdings hätte dann zumindest Zeit sein müssen, die am bisherigen Prozess Beteiligten rechtzeitig, vorher zu informieren.

???:Dennoch befürworten Sie die Entscheidung des Landes. Warum? Was sind die Vorteile der Dammrückverlegung?
Geyer: Die Empörung über die Entscheidung hat in der Zwischenzeit aber dazu geführt, dass von den Gegnern der kleinen Dammrückverlegung teils populistisch anmutende Argumente ins Feld geführt wurden, die weder einer sachlichen noch fachlichen Betrachtung standhalten.
So wird behauptet, dass das Ausscheiden der großen und mittleren Variante quasi schon von vorn herein klar gewesen wäre. Dem ist nicht so. Vielmehr sehe ich hier tatsächlich einen Erfolg aus der Sicht der Gegner einer großen Lösung.
Aus der Sicht des Naturschutzes und eines nachhaltigen und zukunftsweisenden Hochwasserschutzes hätten viele Gründe jedoch für eine große Dammrückverlegung gesprochen. Vor allem der Altrhein hätte sich wieder zu einem durchströmten Gewässer entwickeln können – zwar auf Kosten einiger Stillwasserarten, aber eben auch zum Nutzen von vielen auentypischen Fließgewässerarten.
Das Ausscheiden der großen und mittleren Lösungen ist vielmehr eine zwingende Folge des Hochwasserwirksamkeitsnachweises auch für die kleinen Varianten, wodurch die anderen Lösungen im Hinblick auf gesetzliche Hochwasserschutzziele überflüssig werden.
Diese Logik führt aber eben genau so stringent zur kleinen Dammrückverlegung, die gegenüber der kleinen Polderlösung neben den ökologischen Vorteilen (geringerer Eingriff, bessere Durchströmung) auch die geringsten Bau- und Betriebskosten verursacht und dabei wie alle anderen (großen, mittleren und kleinen) Varianten das Hochwasserschutzziel erreicht.
Wenn aber durchaus nachvollziehbar mit Blick auf Unwägbarkeiten des Klimawandels ein möglichst effektiver Hochwasserschutz gefordert wird, so muss zur Kenntnis genommen werden, dass diesbezüglich und in Voraussicht des fortschreitenden Klimawandels für die Zukunft ein großer Polder die beste und nachhaltigere Lösung wäre.

???: Was sagen Sie zu der Anmerkung, dass die bestehende Natur zu schützen sei, man diese aber durch die Dammrückverlegung gefährden/verändern würde?
Geyer: Völlig unverständlich ist, dass die ökologischen Vorteile einer Wiederanbindung des Naturschutzgebiets an das natürliche Überflutungsregime der Aue immer wieder in Abrede gestellt werden.
Parolen, es sei absurd, dass man ein Naturschutzgebiet renaturieren wolle, greifen hier deutlich zu kurz.
Tatsache ist, dass das Naturschutzgebiet derzeit in vielen Bereichen leider auch große Defizite aufweist. Vor allem die im Schutzgebiet liegenden genutzten Landwirtschaftsflächen werden mehr als zwei Drittel als Äcker intensiv genutzt und diese Flächen bieten daher naturschutzfachlich keinen Lebensraum für wertgebende Tier- und Pflanzenarten.
Wer also tatsächlich natur- und heimatverbunden ist, ja wer tatsächlich die Bewahrung und Achtung vor Gottes Schöpfung und deren Erhalt für kommende Generationen in sich trägt ja der kann in der Umwandlung dieser Flächen zu naturnahen Auenwiesen, die das Bild dieser Landschaft noch bis in die 1930er Jahre prägten, keinen Eingriff oder gar eine Zerstörung sehen, sondern erkennt den besonderen Wert und die große Chance für eine hohe Lebensqualität der hier lebenden Menschen.
Die Dammrückverlegung kommt vor allem der Natur, dem Naturschutzgebiet zu Gute. Können Sie erklären, warum das so ist? Was würde sich im Vergleich zur Ist-Situation verbessern – aus sich des Naturschutzes?
Der Wald auf Elisabethenwört wird derzeit auf großer Fläche von Baumarten geprägt, die wie beispielsweise der Berg-Ahorn nicht an eine Überflutung angepasst sind. Das Zulassen eines naturnahen Überflutungsgeschehens bietet dem Wald und auch der Forstwirtschaft die Möglichkeit einer Anpassung, indem sich hochwassertolerante Baumarten ansiedeln beziehungsweise gezielt eingebracht werden. Durch die regelmäßig wiederkehrenden Hochwasser werden nicht angepasste Gehölzarten auf natürlichem Wege ausgemerzt und es etablieren sich im gesamten Gebiet Auenwälder. Wenn aber wie von den Gegnern der Dammrückverlegung gefordert keine naturnahen Überflutungsverhältnisse geschaffen werden und ein gesteuerter Polder nur episodisch eingestaut wird, ist eine Anpassung des Waldes nicht möglich. In den langjährigen überflutungsfreien Phasen würden sich nicht angepasste Baumarten Raum schaffen oder sie müssten mit hohem Zeit- und Kostenaufwand durch fortwährende forstwirtschaftliche Eingriffe unterdrückt werden. Ansonsten käme es zwangsläufig bis in alle Zukunft immer wieder zu großflächigem Absterben des Waldes nach Retentionsereignissen. Eine nachhaltige und zukunftsweisende Forstwirtschaft sieht anders aus.
Was für die Baumarten des Waldes gilt, gilt ebenso für die unzähligen Tier- und Pflanzenarten des Naturschutzgebiets: nur durch regelmäßige und in ihrer Intensität unterschiedliche Überflutungen, wie sie die Natur vorsieht, entsteht eine stabile, hieran angepasste natürliche Lebewelt. Würde das Gebiet aber nur episodisch geflutet, könnte sich keine hochwassertolerantes Artengefüge entwickeln, weil dies die langen überflutungsfreien Phasen verhindern würden.
Daher würde jede Retentionsflutung eines gesteuerten Polders zu katastrophalen Verlusten ja Vernichtungen bei der hieran nicht angepassten Fauna und Flora führen. Es entstünde so mehr oder weniger ein Massenvernichtungsgrab an den dann nicht Hochwassertoleranten Arten. Auf lange Sicht wäre daher ein Artenrückgang die zwangsläufige Folge, da weder für die Auenarten, noch für die Nicht-Auenarten dauerhaft stabile Verhältnisse herrschen würden.
Ein gesteuerter Polder widerspräche damit nicht nur den Zielen des integrierten Rheinprogrammes, sondern auch nationalem und internationalem Naturschutzrecht sowie Ethik und Moral gegen all menschlicher Vernunft. Was in einer Zeit von dramatischen Artensterben und Rückgang der Vielfalt weder verständlich noch nachvollziehbar wäre.

???: Eine weitere Sorge der Anwohner ist das Ansteigen des Grundwasserspiegels, ist das realistisch?
Geyer: In all den öffentlichen Veranstaltungen konnten sich die Bürger mit diesbezüglichen Bedenken und Ängsten direkt an die mit der Planung beauftragten Ingenieurbüros wenden und wurden hier von den Experten fachlich aus erster Hand und nach neustem Stand der Technik informiert.

???: Und die Vermüllung nach einer Flutung? Ist diese Sorge berechtigt?
Geyer: Nicht in Abrede zu stellen sind die Sorgen, dass mit Hochwasser Müll und Unrat in das Gebiet eingetragen wird. Hier sollte man dem Planungsträger die verbindliche Verpflichtung abringen diesen wenn erforderlich zu beseitigen, was öffentlich auch schon mehrfach zugesagt wurde. Auf diese Weise kann Müll der Umwelt entzogen werden, der ansonsten andernorts in der Rheinaue abgesetzt oder letztendlich als Mikroplastik in der Nordsee landen würde.

???: Die Kritiker der Dammrückverlegung führen die Angst vor Schiffs- oder Chemieunfällen und damit verbundene Kontamination der Landschaft an, halten Sie diese Sorge für realistisch?

Geyer: Die Befürchtungen einer Kontamination nach einer Schiffshavarie oder nach einem Chemieunfall sind irrational. Im gesamten Oberrheingebiet existiert keine auf diese Weise nachhaltig geschädigte Fläche. Zahllose Altrheinarme und Baggerseen und riesige Waldflächen stehen schon seit jeher unmittelbar mit dem Rhein in Verbindung und sind insofern diesem „schutzlos“ ausgeliefert. Die Forderung eines Polders zum Schutz vor Umweltrisiken ist daher völlig unverhältnismäßig.

???: Die Schnakenplage ist derzeit in aller Munde. Wird das Problem durch die Dammrückverlegung größer? Falls ja, kann man dem entgegenwirken und wie?
Geyer: Die Sorgen über mögliche Schnakenplagen sind nachvollziehbar. Dies hat bereits auch der Planungsträger erkannt und sich für eine Kostenübernahme der Schnakenbekämpfung verpflichtet. Auch ist die Gestaltung der heute noch vorhandenen Schluten im Rückhalteraum so vorgesehen, dass ein ungehinderter Durch- und Abfluss möglich ist, so dass die Entstehung von Schnakentümpeln nach Möglichkeit vermieden wird. Die KABS hat bereits mehrfach vorgetragen und in der gemeinsamen Sitzung berichtet, dass sie für die Bekämpfung auch größerer Flächen als bisher gut gerüstet ist und dass im Hinblick auf Brutstätten der Tigermücke und anderer fremdländische Arten von einem Rückhalteraum „Elisabethenwört“ keinerlei Gefahr ausgeht.

???: Alles in allem: Vergleich Polder und Dammrückverlegung – warum ist die Rückverlegung der bessere Schutz vor Hochwasser?
Geyer: Ich bin der Meinung und mir ganz sicher, dass unsere Kinder, Enkel und deren Kinder uns „morgen“ einmal dankbar sein werden, wenn wir „heute“ eine naturnahe, von Auenwäldern und blütenreichen Wiesen geprägte Entwicklung von Elisabethenwört ermöglichen und zulassen.
Das dieser seit eh und je vom Wasser geprägte Lebensraum wiederum seinen Schutzstatus als Naturschutzgebiet tatsächlich in allen Teilen redlich verdient. Und man darauf stolz ist so ein Naturparadies mit all seinen Raritäten und Besonderheiten der heimischen Flora und Fauna in einer natürlichen Auenlandschaft direkt vor der Haustür vorzufinden.


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Autor:

Heike Schwitalla aus Germersheim

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