Künstlerhaus Edenkoben
Lesung von Robert Stripling
Künstlerhaus Edenkoben am 4.6.23. Der gebürtige Berliner, welcher in Edenkoben lebt und arbeitet, stellte sein neuestes Werk "Unter Stunden. Album 1" vor. Mit diesem Buchprojekt hat er sich ca. 10 Jahre intensiv beschäftigt. Album 1 deshalb, weil ein weiteres in Planung ist. Stripling studierte Philosophie und Kunstgeschichte. 2014 war er Gewinner des renommierten Lyrik-Wettbewerbs Open Mike.
20 Gäste erschienen. Hans Thill, der künstlerische Leiter, moderierte souverän.
Das Buch ist ein Monolog, ein Textgewebe mit vielen Zitaten, das fortwährend durch sprunghafte Assoziationen, Synästhesien, Worthäufungen sowohl aufgebrochen wie verdichtet wird. Stripling beschäftigt sich mit Energieverläufen, Musik, Gedankenkonstrukten, Resonanzkörpern in diversen räumlichen Dimensionen. Der Autor beschreibt z. B. detailliert, was unter der Schuhsohle beim Betreten einer Schneedecke passiert.
Wie ist die Zeit organisiert? Was passiert genau auf einem Weg von A nach B? Stripling untersucht die Übereinanderlagerung von Zeitschichten, philosophiert über die Wahrnehmung.
Mir fällt persönlich spontan das Wesen der Entropie ein und stelle zeitweise die Frage, ob der Autor nicht zu viel hineingepackt hat, ob der Leser oder Hörer die mannigfaltigen Fäden intellektuell nicht mehr fassen kann? Hans Thill sagte in einer Diskussion beim Literaturfestival Kaiserslautern Anfang des Jahres bzgl. Judith Zander: Wenn alles klar ist, dann will man was verkaufen.
Ein Themenkomplex ist die Kindheit, dabei spielt die Religion eine große Rolle. Dann aber in bestürzend prekärer Weise häusliche Gewalt, der alkoholkranke Vater schlägt seine Frau. Der Autor schildert aufwendig Szenen, wie z. B. wenn die Mutter im Bademantel die Treppe herunterkommt, ich ziehe da gern ein Vergleich mit Duchamp, der die Dynamik fragmentierte, auch Richter beschäftigte sich damit, bei ihm eher das Prinzip der Unschärferelation. Hier auffällig die Worthäufung: Das geschwollene Auge der Mutter, das beobachtende Auge des Kindes, des Vaters, das auktoriale Auge des Autors, durchaus denkbar ebenso ein schwebendes (mittelalterliches) Auge Gottes. Auch der dunkelrote Blutfleck auf dem Teppich, ein mahnendes Auge gleich, der Vater gibt dem Sohn den Befehl, es zu beseitigen, was Schwierigkeiten bereitet.
Das 8. Gebot, Rituale und Regeln sorgen für Schuldgefühle, Irritationen und Widersprüche. Das Kind schottet seine Emotionen ab, gebraucht in der Öffentlichkeit Notlügen. Schön empfinde ich die Vielfalt der Stimmen. Stripling unterbricht immer wieder den Redefluss mit Einschüben, Surrogate wie „Ich sage“ oder „usf“, stilistisch ungewöhnlich.
Ein weiteres Thema ist das Jetzt, Lebensmomente in Frankfurt, Fotos dienen als Gedächtnisstütze für Verortungen. Stripling sagt in der Diskussion: Ich schreibe und verwende wechselvolle Augenblicke. Thill fragt denn auch, ob sein Text autofiktionell sei, entstanden aus einem aufgewühlten Innern? Was macht ihn spannend, neugierig auf mehr? Antworten erhält man eher im Dialogischen, so Thill, ein mutiger Text, der das Erzählen thematisiert, er lobt den ästhetischen Wert. Stripling erläutert, er suche mit seiner Prosa eine eigene Form, es gäbe keine klare Grenze zwischen Innen und Außen: Ich habe mich selbst erdacht, entfacht.
Im Anschluss an die Lesung fand im Garten die Einweihung einer Büste von Berthold Roland (1928–2022) statt, dem Kunstmäzen und Berater von Helmut Kohl. Oliver Roland, Sohn und Vorstand der Ike und Berthold Roland-Stiftung, würdigte seine Verdienste und sprach über die jahrelangen guten Beziehungen zum Künstlerhaus Edenkoben.
Autor:Peter Herzer aus Kaiserslautern |
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