"Wie weit darf Kunst gehen?"
Gymnasiasten diskutieren mit Politikern, Beauftragten und Experten

Rege Diskussionsteilnahme: Die Schüler bei der Kartenabfrage. | Foto: GGG
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  • Rege Diskussionsteilnahme: Die Schüler bei der Kartenabfrage.
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Germersheim. „Mein Körper definierter als von Auschwitz-Insassen!“, zitiert Aicha Akermi. Stille! Mehr als 200 Schülerinnen und Schüler und zahlreicheLehrer blicken die Dreizehntklässlerin in der Gymnastikhalle des Johann-Wolfgang-Goethe-Gymnasiums Germersheim gespannt an. Einen Vergleich mit Internierten in einem Konzentrationslager ziehen: Darf man das? Ist das Kunst? Oder geht das schlichtweg zu weit? Wie sieht das Publikum das? Aicha Akermi fordert zusammen mit Anna Benz, ebenfalls Schülerin des Abiturjahrgangs, die Elft- und Zwölftklässler auf, mithilfe von roten, gelben und grünen Karten zum Ausdruck zu bringen, inwieweit die berühmten Zeilen aus dem Lied „0815“ der Deutsch-Rapper Farid Bang und Kollegah noch von der Kunstfreiheit gedeckt sind. Nach dem Votum sind die beiden Moderatorinnen der neunzigminütigen Veranstaltung zufrieden: Das sehr differenzierte Meinungsbild lässt sie auf eine anregende Diskussion hoffen und sie sollten an diesem 28. Januar 2019 nicht enttäuscht werden.

Spannende Diskussionsteilnehmer am Goethe Gymnasium

Nach monatelanger Vorbereitung war es den zwei Organisatorinnen gelungen, ein sehr beachtliches Podium begrüßen zu dürfen: Neben Anne Spiegel, der Ministerin für Familien, Frauen, Jugend, Integration und Verbraucherschutz des Landes Rheinland-Pfalz, nahmen Dieter Burgard, Beauftragter der rheinland-pfälzischen Ministerpräsidentin für jüdisches Leben und Antisemitismusfragen, sowie Julian Popov, Vorsitzender der Jungen Liberalen in der Südpfalz, Denise Hartmann-Mohr, Gleichstellungsbeauftragte der Stadt Germersheim, und Annette Volmer, Radio-Moderatorin bei der SWR-Jugendwelle Das Ding, an den Expertentischen Platz.

Nach einer kurzen Begrüßung durch Schulleiterin Ariane Ball riefen die beiden Gesprächsleiterinnen mit einer thematischen und musikalischen Einführung nochmals in Erinnerung, dass Farid Bang und Kollegah 2018 aufgrund der Verkaufszahlen für „0815“ den Echo erhalten hatten. Nach massiven Protesten war dieser Musikpreis hieraufhin gänzlich abgeschafft worden. Aicha Akermi und Anna Benz unterstrichen, dass die Diskussion um den Song danach nicht abgeebbt war, stand doch ein Meinungsspektrum von „Ist doch nur Musik und ein guter Beat“ bis „gewaltverherrlichend, fremden- und frauenfeindlich“ zur Verfügung.

Provozieren ja, aber nicht auf Kosten von Menschen

Auf dem Podium hob Denise Hartmann-Mohr hervor, dass der Rahmen, wofür es eine Musikauszeichnung gibt, hätte klar sein müssen. Die Gleichstellungsbeauftragte wies darauf hin, dass eine Diskussion stattfinden müsse, da die Meinungen ja existierten. Dieter Burgard erinnerte an Artikel 10 der rheinland-pfälzischen Landesverfassung, nach dem Meinungsfreiheit herrscht, aber diese in Absatz 2 eingeschränkt werden kann, wenn die persönliche Ehre gekränkt wird. Der in der Staatskanzlei angesiedelte Beauftragte konstatierte, dass auch ZDF-neo-Moderator Jan Böhmermann die Kunstfreiheit sehr weit ausgelegt habe. Man könne provozieren, aber nicht auf Kosten von Menschen. Wenn sich Juden nicht mehr trauten, die Kippa zu tragen, sei die Grenze überschritten. Anne Spiegel betonte, Kunst müsse frei, aber nicht schrankenlos sein. Die Politikerin der Grünen bekräftigte, es müsse rote Linien geben! Mit Worten finge es an, diese könnten jedoch in Taten übergehen. Zurecht sei „0815“ jugendindiziert. Neben Antisemitismus enthalte der Song frauenverachtende Haltungen. Angesichts der Gewalt gegen Frauen und voller Frauenhäuser warb sie für ihre Antisexismuskampagne sowie Schule-ohne-Rassismus-Projekte und solidarisierte sich mit der MeToo-Debatte. Julian Popov hob heraus, dass für die Einschränkung von Kunst ein gesellschaftlicher Drang vorhanden sein sollte, nicht der Staat sollte entscheiden. Der JuLi-Vertreter warnte vor Verboten, da diese im Internet innerhalb von wenigen Minuten umgangen werden könnten. Annette Volmer akzentuierte, dass Farid Bang die Kritik ohnehin nicht verstehe. Die Morningshow-Unterhalterin vertrat die Auffassung, dass bei Rassismus und Homophobie endgültig Schluss sein müsse.

Gespaltene Meinungen zur Echo-Diskussion

Aus dem Publikum warnte Erja Heuser (MSS 13) vor antisemitischen Haltungen, zugleich aber vor einer drohenden Zensur. Michael Milla und Mikail Fatsa (beide MSS 12) bezweifelten eine antisemitische Aussage des Texts. Alessia Ariu (MSS 12) stellte infrage, ob Deutsch-Rap Sexismus befördere. Adil Bougrine (MSS 12) bezeichnete Farid Bang als „Ehrenmann“. Wojciech Strauch (MSS 11) warb dafür, dass der Staat keine Grenzen setzen dürfe, sondern die Gesellschaft selbst dafür sorgen sollte. Djamila Al-Slaiman (MSS 11) meinte, die rote Linie solle jeder selbst ziehen. Michael Schnell (MSS 12) verglich die Debatte über „0815“ mit derjenigen, welche bereits hinsichtlich Liedern von Sido und Bushido geführt wurde. Lisa Sauther (MSS 12) merkte an, Kunst sei immer ein Spiegel der Gesellschaft. Man müsse in den Schichten, in denen Bildung keine große Rolle spiele, unbedingt aufklären. Ihre gleichaltrige Schwester Melanie Sauther, die selbst Songs schreibt, stellte fest, dass man einen solchen Text nicht aus Versehen zu Papier bringen könne. David Besau (MSS 12) legte dar, dass Farid Bang und Kollegah nichts wiedergutmachen könnten. Durch ihre Texte sinke definitiv die Hemmschwelle zur Gewalt.

Das Goethe-Gymnasium bedankt sich bei allen Experten und Schülerinnen und Schülern für die spannende Diskussion, vor allem aber bei Aicha Akermi und Anna Benz für ihr großes Engagement und die sehr gelungene Veranstaltung.
Dirk Wippert

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