Fachwerkhaus
Fachwerkhäuser im Hinterstädtel Jockgrim

Torberg Jockgrim | Foto: A. Abt
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Jockgrim. Ein Gasthaus an der heutigen Ludwigstrasse 24 soll es schon Ende des 17. Jahrhunderts gegeben haben. In den 1950er Jahren wurde eine Gaststätte „Zum Löwen“ mit Hotel an und auf der westlichen Stadtmauer errichtet. 2012 wurde das Anwesen an einen Investor verkauft, die Gebäude aus den 1950er Jahren 2013 teilweise abgerissen und das ehemalige Hotel in eine Wohnanlage umgestaltet. Zwei denkmalgeschützte Häuser aus dem 18. Jahrhundert blieben auf dem Grundstück stehen. Das Haus Ludwigstraße Nr. 24 wurde weiterverkauft und in den letzten drei Jahren vom neuen Besitzer liebevoll restauriert. Haus Nr. 20 wurde 2019 abgerissen. Ein mit dem Bauträger vereinbarter „Ersatzbau“ wurde (noch?) nicht errichtet. Ist ein Ersatz für ein historisches Gebäude überhaupt möglich?

Warum alte Fachwerkhäuser erhalten?

Am Ende des Dreißigjährigen Krieges 1648 waren viele Gebiete am Oberrhein zerstört und kaum noch bewohnt. Frankreich unter Ludwig XIV. erhob ab 1680 Ansprüche auf alle linksrheinischen Gebiete. 1688 überfiel die französische Armee die Pfalz. Das war der Beginn des Pfälzischen Erbfolgekrieges (u.a. auch Neunjähriger Krieg genannt) von 1688 – 1697, in dem die Pfalz verwüstet wurde. Auch im Spanischen Erbfolgekrieg von 1701 bis 1714 gab es viele Kampfhandlungen am Oberrhein. Nach dem Rastatter Frieden von 1714 wurde die Pfalz durch Einwanderer wieder besiedelt. Auf den Ruinen des spätmittelalterlichen Bischofsstädtchens bauten die Einwanderer in der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert neue Häuser, von denen einige noch heute in Jockgrim stehen.

Wann wurde Haus Nr. 20 gebaut? Peter Bader war nach den Recherchen von Dr. Dieter Rasimus (1992) Eigentümer des Hauses Ludwigstraße 20 im Jahr 1792. In diesem Jahr kamen die ersten Ideen der französischen Revolution in die heutige Südpfalz. 1810 ist Peter Bader nach Russland ausgewandert. Viele Menschen aus der Pfalz verließen aus wirtschaftlicher Not ab Beginn des 19. Jahrhunderts ihre Heimat und immigrierten nach Osteuropa. Über die Auswanderer aus Jockgrim gibt die Chronik der Gemeinde Jockgrim von Dr. Rasimus aus dem Jahr 1992 Auskunft. Das Digitalisat ist auf der Homepage der Ortsgemeinde zu finden: https://www.jockgrim.de/fileadmin/ogjockgrim/Aktuelles/chronik_jockgrim_optimiert.pdf .

Als Besitzer des Hauses nach 1792 sind Reiß Georg Michael und Reiß Philipp Jakob dokumentiert. Ab 1841/42 soll das Haus der Witwe von Nunnemann Johannes, danach Welker Dionys (dessen Söhne Wendelin und Mathias 1878 und 1885 in die USA ausgewandert sind) und später der Witwe von Hellmann Martin gehört haben. Ab 1876 soll Nunnemann Anton und 1908 Sitter Joh. Franz Eigentümer gewesen sein. Diese Familiennamen gibt es heute noch in Jockgrim.

Infolge der anhaltenden Wirtschaftskrisen wanderten seit den 1830er Jahren ständig Menschen aus Deutschland aus. 1846 – 1857 und 1864 - 1873 wurden eine Million Emigranten gezählt. Nach der Reichsgründung 1871 gingen zwischen 1880 und 1893 sogar mehr als 1,8 Millionen Deutsche in die USA. Das Gebiet des heutigen Rheinland-Pfalz war vor allem von den ersten beiden Auswanderungswellen betroffen. Quelle: https://www.auswanderung-rlp.de/ziele-der-auswanderung/auswanderung-nach-nordamerika/19-jahrhundert.html

Auf einer Bürgerversammlung in Jockgrim am 29.08.2017 erläuterten Sachverständige mehrere Umbauten des Häuschens und dadurch entstandene Mängel (Folgeschäden) an der Bausubstanz: „Ab 1870 sei das Häuschen nicht fachgerecht umgebaut worden. Vor den Umbauten hätte das Haus aus Eichenbalkenbestanden, davon seien 2017 nur noch drei übrig.“ Wenn Haus Nr. 20 im 20. Jahrhundert auch mangelhaft war, so war es dennoch Teil des ab dem 18. Jahrhundert entstandenen Fachwerkensembles Hinterstädtel Jockgrim, das unter Denkmalschutz steht. Mangels Eichenbalken, in die die Erbauer das Baujahr und ihren Namen schnitzten, ist das Alter des Häuschens nicht bekannt.

Jedes Fachwerkhaus ist ein Unikat. Ausgangspunkt der Häuser war meist der Küchenherd, um den herum die Zimmermänner die Holzkonstruktion des Hauses aufbauten. Reiche Leute konnten sich stattliche Fachwerkhäuser mit kunstvollem Schnitzwerk bauen lassen. Die Häuser der Bauern und Handwerker waren einfach und auf das Notwendige beschränkt. Die Jockgrimer im 18. Jahrhundert erwirtschafteten mit schwerer körperlicher Arbeit ihren bescheidenen Lebensunterhalt. Ihre Häuser waren eher klein und in den etwas größeren lebten und arbeiteten wahrscheinlich mehrere Generationen unter einem Dach. Ansprüche, die wir heute ans Wohnen haben, waren für die Menschen in früheren Zeiten nicht einmal denkbar. Ihre Lebensweise kann man heute an den Fachwerkhäusern noch erahnen.

Bevor die letzten über 200 Jahre alten Fachwerkhäuser abgerissen werden gilt es zu bedenken, mit wieviel Mühe sie entstanden sind und was sie schon alles überlebt haben.

Gekonnt restaurierte Fachwerkhäuser im Hinterstädtel zeigen, wie altes Fachwerk und heutiges Wohnen miteinander verbunden werden kann. So bleibt die Hoffnung, dass Haus Nr. 20 das letzte Fachwerkhaus in Jockgrim war, das verschwand.

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Autor:

Andrea Abt aus Jockgrim

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