Weltfremde Kulturpolitik
Abstruse Vorgaben verleiden die Rückkehr zu Konzerten vor Publikum
Von Ralf Vester
Kultur. Das alljährliche Internationale Jazzfestival im Kulturzentrum Kammgarn und mit Stephan Flesch dort kurz vor Heiligabend aufs Christkind zu warten, ist für viele Musikfans ein absolutes Muss. In Zeiten von Corona ist jedoch alles anders. Kammgarn-Chef Richard Müller und Sänger Stephan Flesch schwanken zwischen Ärger, Frustration und Fassungslosigkeit, wenn sie daran denken, was die Regierung derzeit an Vorgaben für einen Konzertbesuch macht.
Der Kammgarn-Frontmann hatte wohlweislich schon zu Jahresbeginn äußerst zurückhaltend mit einem Re-Start geplant. Bereits damals schwante ihm, dass es wohl frühestens im April im zum heimeligen Wohnzimmer umgestalteten Kasino der Kammgarn weitergehen würde. Doch die Realität macht selbst die konservativsten Planungen zunichte.
Das Kasperltheater um die Oster-Ruhetage
Mit den kurzerhand zu „Wir warten auf den Osterhasen“ umfunktionierten Kult-Konzerten von Stephan Flesch hätte es Anfang April endlich losgehen sollen. Doch dann kam die haarsträubende Idee der „Oster-Ruhetage“ ins Spiel. Daraufhin wurden die von Weihnachten auf Ostern verschobenen Konzerte erneut abgesagt. Dass Kanzlerin Angela Merkel nur einen Tag später ihren viel gescholtenen Vorschlag wieder einkassierte, setzte dem unwürdigen Kasperltheater die Krone auf. Die Karten für den legendären Musik-Dreierpack werden nun zurückerstattet, ein komplett neuer Termin wird gesucht.
Das für Mitte April geplante Internationale Jazzfestival hat Richard Müller am vergangenen Freitag schweren Herzens ebenfalls abgesagt und in den August verschoben. Wer den jahrzehntelangen Kammgarn-Macher kennt, weiß, wie schwer ihm gerade diese Entscheidung gefallen ist. „Eine Auslastung von nur 25 Prozent der maximalen Zuschauerkapazität mit gerade mal rund 120 Besuchern, eine Maskenpflicht auch am Platz und obendrein noch ein komplettes Bewirtungsverbot – wie soll das gehen? Ich kann doch die Leute nicht von 18 bis 23 Uhr mit Maske und ohne einen Schluck zu Trinken auf ihren Plätzen versauern lassen. Das ist absolut indiskutabel“, ist Richard Müller angesichts der weltfremden Auflagen seitens der Politik reichlich bedient.
Wie soll da Atmosphäre aufkommen?
„Wie soll in Konzerten, in dem die Zuschauer selbst an ihrem Platz zum Tragen einer Maske verpflichtet sind, so etwas wie Atmosphäre aufkommen? Ich habe mir geschworen, nicht vor Menschen aufzutreten, die während meiner Auftritte eine Maske tragen müssen“, pflichtet Stephan Flesch bei, der sich als Musiker im dauerhaften Berufsverbot wähnt. Viele Musiker und das wichtige Drumherum wie Techniker, Caterer, Ausstatter etc. seien „echt am Ende“. Die Beschränkungen durch den endlos verlängerten Lockdown hätten inzwischen für viele Menschen schlimmere Auswirkungen auf Leib und Seele als das Virus selbst, betont die unvergleichliche Soulstimme der Stadt.
„Der erste harte Lockdown im Frühjahr 2020 war absolut notwendig. Aber seither ist der Politik nicht mehr viel eingefallen. Die Sommermonate wurden schlicht verschlafen. Das fantasielose Verlängern von Lockdowns grenzt ebenso an Dilettantismus, wie das Desaster um die Impfstoff- und Schnelltestbeschaffung. Zudem regulieren wir uns in Deutschland gerade zu Tode“, stellt Stephan Flesch ernüchtert fest.
„Man hätte besser mal die Profis gefragt“
Selbst wenn Kaiserslautern zu einer rheinland-pfälzischen Modell-Kommune werden und so unter bestimmten Auflagen auch Kultur wieder möglich würde, seien die von der Landesregierung erstellten Bedingungen für eine Veranstaltung vollkommen praxisfern, sind sich Flesch und Müller einig. „Vielleicht hätte man besser mal Profis gefragt, bevor Amateure, die von der Veranstaltungsbranche keine Ahnung haben, über die Machbarkeit von Konzert- oder Theaterabenden entscheiden“, so der einhellige Grundtenor der beiden.
Kammgarn-Chef Richard Müller hat das 26. Internationale Jazzfestival nunmehr auf den 19. bis 21. August 2021 und damit auf die Zeit des im letzten Jahr so erfolgreich ins Leben gerufenen „Kulturgartens“ verschoben. Der langjährige Kapitän auf der Kommandobrücke des Kulturzentrums arbeitet mit Hochdruck daran, das gleiche hochkarätige Lineup an renommierten Künstlern zu gewährleisten, wie es auch für April vorgesehen war. Ab dem 17. Juni haben Müller und sein Team für den Kammgarn-Kulturgarten bis Mitte September ein exzellentes Programm auf die Beine gestellt. Das muss einfach klappen – zumal unter freiem Himmel.
Die Sehnsucht nach Auftritten vor Fans
Spätestens dann soll es endlich auch mit wenigstens einem der ursprünglich drei Konzert-Highlights von Stephan Flesch klappen. Die Hoffnung, vielleicht doch noch zeitnah einen Nachholtermin zu finden, hat er indes noch nicht ganz aufgegeben. „Vielleicht kriegen wir ja noch ein „Wir warten aufs Maiglöckchen„ zustande“, orakelt er mit einer Prise Sarkasmus. Es ist unübersehbar, wie sehr der „Voice of Kaiserslautern“ die Live-Auftritte vor Publikum und die aus der Interaktion mit seinen Fans entstehende Magie fehlt. Diese Sehnsucht ist sogar noch ausgeprägter als der Verdruss über die weltfremden Auflagen seitens der Politik.
Autor:Ralf Vester aus Kaiserslautern |
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