Pfalztheater: Tanz-Uraufführung von "Kassandra"
Eine Statue für die Hoffnung

Camilla Marcati als Kassandra | Foto: Pfalztheater/Etter
  • Camilla Marcati als Kassandra
  • Foto: Pfalztheater/Etter
  • hochgeladen von Petra Rödler

Da steht sie am Ende der Vorstellung: die Statue von Kassandra und das Bildnis einer Frau, deren Leben und Leiden zum Mythos für alle Generationen in allen kommenden Zeiten wird. Langanhaltenden Beifall und Bravo-Rufe aus dem Publikum erntet der Tanzabend auf der Großen Bühne des Pfalztheaters von Chefchoreograph und Tanzdirektor James Sutherland, der es immer wieder aufs Neue schafft, Tanz auf eine ganz andere Ebene zu heben, spannend, mitreißend und aktuell zu inszenieren.

Doch erst zum Anfang des Stückes, das mit dem Ende beginnt: Kassandra, in Gefangenschaft nach dem Untergang Trojas und den Tod vor Augen, blickt auf ihr Leben zurück. Sie sieht sich als Kind. Sie ist der Liebling ihres Vaters, König Priamos von Troja. Sie ist klug und empfindsam und interessiert sich für die Politik. Und sie hat eine Gabe: Sie kann in die Zukunft sehen. Doch diese wird der Königstochter zum Verhängnis. Als ihr Bruder Paris die schöne Helena aus Sparta nach Troja entführt, sieht sie den Krieg und die Zerstörung als Folge seines Handelns voraus. Doch die Menschen wollen ihre Prophezeiung nicht hören, Hass und Wut richten sich gegen sie. Sie lebt fortan isoliert am Hof und muss mit ansehen, wie die Fehlentscheidungen des Vaters und des Bruders in den Krieg führen. Was ist die Wahrheit und gibt es sie, wenn sie keiner hören will? Kann man besser damit umgehen, wenn man sie ignoriert? Für ihren Vater gibt es nur eine Lösung: Kassandra muss weg. Unter den drei damals wählbaren Möglichkeiten Wegsperren, für Wahnsinnig erklären oder Zwangsverheiraten, wählt Priamos die letztere. Das gab es in Troja bisher noch nie! Nie wurde eine Frau zu einer Ehe gezwungen. Die so gedemütigte Kassandra wird dem Kriegsverbündeten Eurypylos zur Frau gegeben. Troja geht derweil seiner Vernichtung entgegen. Am Ende erwartet die gefangenen Trojaner der Tod. Doch Kassandra gibt auch in der Gefangenschaft nicht auf. Sie will Zeugin des Geschehens bleiben, schließlich muss es doch eine Chance für die Menschheit geben: Solidarität, Wärme und Zusammenhalt. Kassandra wird zur Statue und zur Hoffnungsträgerin.

Mythos und Gegenwart
James Sutherland hat eine Verbindung gefunden zu unserer Zeit jetzt, von der alten griechischen Geschichte zu unserem Heute. Für ihn ist die alte Geschichte vergleichbar mit der Pandemie: Es wurde lange vorausgesagt, dass so etwas passieren kann, aber wir haben nichts getan. Troja wurde zehn Jahre belagert, die Pandemie dauert bis jetzt zwei Jahre. Und so ist für ihn die Statue von Kassandra am Ende die Botschaft: Wenn Menschen in Krisensituationen stehen und keinen Ausweg sehen, ist der einzige Weg, menschlich zu bleiben. Wenn wir menschlich bleiben, wird es einen Ausweg geben. Wir sind alle gleich, sind alle Menschen, und gemeinsam müssen wir einen Weg finden.

Tanz in Musik und Sprache
Übertragen auf den Tanz hat James Sutherland aus der Geschichte eine beeindruckende Inszenierung auf die Bühne gebracht. Die verletzliche und zugleich starke Frau, die einen chancenlosen Kampf gegen ihre politische Ohnmacht, gesellschaftliche Isolierung und die Demontage ihrer Person führt, ist doppelt besetzt. Schauspielerin Nina Schopka gibt Kassandra eine klare, durchdringende und mahnende, aber auch zärtliche Stimme. Die großartige Tänzerin Camilla Marcati haucht der Königstochter mit ihrer Kraft, ihrer Anmut und ihrer Ausdrucksstärke Leben ein. Dazu die, wie immer von Sutherland ausgewählte und perfekt passende emotionale Musik, das fantastische Tanzensemble, aus dem sowohl kraftvolle Massenszenen, aber auch wunderbare Pas de deux (Carlotta Squeri, Davide Benigni, Jura Wanga, Yun Ju Lee und Mun-Ho Cha) kommen, die minimalistisch, aber deutlich und in klaren Bildern ausgestattete Bühne (Yoko Seyama), die ebenso klaren und sehr ästhetischen Kostüme (Rosa Ana Chanzá) und die Videoprojektion von Co-Tanzdirektor Huy Tien Tran machen den Tanzabend zu einem gewaltigen Erlebnis. Tanz hat mehrere Wege zu kommunizieren und kann in vielen Wegen verstanden werden. Das Wagnis des Tanzdirektors, Sprache und Tanz zu verbinden, ist mehr als aufgegangen. Entstanden ist ein starkes Stück in sehr konkreter Erzählweise und ausdrucksstarkem Tanz, ein Stück über uns Menschen und die Hoffnung.

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Autor:

Petra Rödler aus Kaiserslautern

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