Interview mit dem Pfalztheater-Intendanten Urs Häberli
Grenzen und Horizonte
12. März 2020 - als der Applaus endet, ahnt noch niemand, dass es für viele Wochen und Monate die letzte Vorstellung am Pfalztheater war. Seither hat der Corona-Virus auch unserem Musentempel fest im Griff.
Herr Häberli, wie geht’s Ihnen?
Mir persönlich geht es gut, dennoch ist es für uns alle, nicht nur im Theater, eine ungehörig schwierige Zeit, die uns enorm viel abverlangt.
Wie haben Sie den ersten Schock verkraftet und ab wann kam Plan B zum Tragen?
Die Schließung vor zwei Monaten war schmerzlich. Viele Produktionen standen kurz vor der Premiere, aber in diesem Moment dachte ich, dass man nach Ostern wieder Fuß fassen könnte. Das Prinzip Hoffnung war für mich der Strohhalm, aber um auf unser Spielzeitmotto „Grenzen und Horizonte“ Bezug zu nehmen: Tag für Tag wurde unser Horizont immer enger, und es wurde klar, wir müssen ganz anders denken. Wir haben dann auch schnell Pläne entworfen. Heute sind wir bei Plan D oder E. Mögen einige sagen: „Das macht ihr doch alles umsonst!“, aber Pläne entwerfen und sie immer mehr zu verfeinern, war für uns ein sehr wichtiger Prozess.
Es gab Intendanten, die sich ganz schnell öffentlich geäußert haben. Sie haben das anders gemacht.
Ich bin jetzt aktuell an die Öffentlichkeit über den neuen YouTube-Kanal des Pfalztheaters. Ich habe zuerst einmal vieles sortieren wollen, bevor ich mit irgendwelchen Prognosen an das Publikum hätte treten wollen. Da haben zum Beispiel viele Intendanten den Druck der Spielzeitbücher nicht angehalten. Die Folge: eine enorme Zahl von gedruckten Spielplänen, die so nie stattfinden werden. Wir sind an das Publikum mit sehr schönen Beiträgen unserer Ensemblemitglieder über die Social Media-Kanäle herangetreten. Wer letzten Endes auf der Bühne stehen sollte, ist nicht der Intendant, sondern das Ensemble.
Mit diesen Beiträgen verbunden war auch die Entscheidung des Pfalztheaters, dass das Ensemble ausschließlich für das eigene Theater agieren dürften.
Man muss irgendwann eine Entscheidung treffen. An anderen Orten sind Leute der freien Szene aufgetreten, die ihr Auftrittsmöglichkeiten genutzt und gebraucht haben. Und da trifft ein Theater, das andere Wege geht, eben auch mal eine andere Entscheidung. Für mich war es wichtig, eine Linie zu fahren mit unseren #notesfromehome und dem YouTube-Kanal. Das ist kein Abschirmen, kein Naserümpfen gegenüber der freien Szene, sondern einfach ein Weg, den wir in Abstimmung mit dem Träger eingeschlagen haben.
Werden Sie im September die neue Spielzeit eröffnen können?
Wir vermissen unser Publikum. Ich gehe davon aus, dass wir im September in irgendeiner Form tätig sein können. Dies wird mit kleinen Schritten und Formaten erfolgen. Von großen Opern mit 300 Menschen auf und hinter der Bühne sind wir weit entfernt. Auch für unser traditionsgemäßes Theaterfest müssen wir eine andere Form suchen.
Wie wird der Spielplan 2020/21 aussehen?
Wir haben im Moment keinen gedruckten Spielplan. Corona ist eine Zäsur. Es ist wie eine Lupe, die einem Sachen nochmal deutlicher vor Augen führt. Und wenn wir jetzt einfach „business as usual“ machen und damit auch einen Spielplan durchdrücken, wäre es falsch. Wir müssen mit dieser Pandemie, auch einem neuen gesellschaftlichen Miteinander umgehen lernen. Es gibt verschiedene andere Möglichkeiten, die uns vielleicht neue Ideen bringen. Ich glaube eine Krise ist dann umso schlimmer, wenn man versucht, sie zu verdrängen. Man muss sie ganz klar und mit einem guten und vernünftigen Blick annehmen.
Was sind die zentralen und wichtigsten Fragen der nächsten Wochen für Sie?
Das Thema Spielplangestaltung, das Thema Einsatzmöglichkeiten für die Ensemblemitglieder, es finden viele Videokonferenzen zum Start statt, wo wir versuchen, Lösungen zu finden. Wir sind uns bewusst, wenn wir das Haus wieder öffnen, wird dies mit kleinen Schritten und kleinen Formaten erfolgen. Von großen Opern mit 300 Menschen auf und hinter der Bühne sind wir weit entfernt. Der „Tannhäuser“ (Premiere war im September 2020 geplant) ist verschoben auf das Ende der nächsten Spielzeit. Mal abgesehen davon, dass man unter Beachtung der ganzen Hygienevorschriften mit so vielen Menschen auch schwer proben kann. Wir werden uns auch mit ganz anderen logistischen Voraussetzungen auseinandersetzen müssen.
Sehen Sie in der Krise auch Chancen für das Theater?
Jede Krise hinterlässt Spuren, ist aber auch eine Chance, die wir in irgendeiner Form auf jeden Fall für uns erkennen und überprüfen. Diese Krise fordert heraus. Wenn wir zum Beispiel neue und kleinere Formate zur Beginn der neuen Spielzeit einem Publikum präsentieren und mit Bedacht ansetzen, dann sind das unter Umständen auch Stücke, die wir sonst vielleicht nie gespielt hätten. Der Spielplan, den wir im Moment diskutieren, ist ja nicht irgendwie ein lauwarmer Aufwasch. Der kann spannend und positiv behandelt werden, da bin ich mir sicher.
Ist dem Schock inzwischen etwas die Gelassenheit gefolgt?
Nein, gelassen bin ich auf keinen Fall. Die Sorgen, Nöte und Ängste und die Themen, die man genau überlegen muss, die sind nach wie vor da. Ich vermisse das Publikum. Ich vermisse die Menschen. Aber jetzt sagen wir nach Theatertradition „Toi Toi Toi“, dass das alles werden wird.
Autor:Petra Rödler aus Kaiserslautern |
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