Aber bitte mit Lyrik! | Literaturfestival
Große Resonanz in der Pfalzbibliothek
Pfalzbibliothek. Im Rahmen des Literaturfestivals Kaiserslautern stellten 4 Autorinnen und Autoren am Samstag, den 4. Februar 2023 ihre "Lieblingsgedichte" vor, wobei man sagen muss, dass mitunter ausgeklügelte Konzepte vorlagen, jeder setzte Schwerpunkte und bot einen kleinen Überblick auf sein Œuvre.
Birgit Heid und Thomas Mayr sind Profis mit jahrzehntelanger literarischer Erfahrung, demgegenüber reisten die relativ jungen Dichter*innen Alessandro Stephan und Natalia Sonnenfeld mit Koffer voller Emotionen an, versehen mit charakterlicher Tiefe.
Es gab Kaffee und selbstgebackener Kuchen an aufgestellten Tischen, 60 bis 70 Gäste kamen. In den Räumlichkeiten ist übrigens die Ausstellung "handshake" (Fotos zur Deutsch-Amerikanischen Freundschaft) bis zum 1. April zu sehen. Die Moderation übernahm Claudia Germann.
Alessandro Stephan wurde 1997 in Landau geboren. Nach seinem Abitur in Kaiserslautern studierte er u. a. Germanistik und Betriebspädagogik in Landau. Er war ehemaliger Chefredakteur des Unimagazins La-Uni. Momentan studiert er Germanistische Linguistik an der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen. Er veröffentlichte bisher zwei Lyrikwerke.
Ein ungewöhnlicher Beginn. Aus dem Off ist ein Text zu hören, der Autor selbst nicht zu sehen. Trauer, Zweifel und Mut sind seine sehr persönlichen Themen. Cool, wie Stephan dann bei seiner Vorstellung den Vornamen erklärte, er sei nicht italienischer Abstammung, seine Mutter mochte damals einfach Pizza, was allgemeine Heiterkeit auslöste.
In seinem Lyrikband "Eigene Engel erschaffen" dreht sich vieles um den Tod seines Opas im Jahr 2021, von diesem hat er einiges gelernt, auch das Lesen. Wenn die Zweifel erstarken, wie vermeidet man einen Teufelskreis, der in eine Depression führen kann. Der Dichter stellt sich das Leben zerbrechlich wie Glasfiguren vor, Kristalle aus dem Staub der Sterne.
Stephan ist ein talentierter, intelligent wirkender Geschichtenerzähler, der das Publikum hautnah mitnimmt. Nicht ohne Grund zitierte er Wilhelm von Humboldt, dieser hat Sprache als das bildende Organ des Gedankens bezeichnet. Wie findet man Ruhe inmitten des Alltags mit Stress, Hektik, mit dem Gefühl, dass man wegrutscht. Es darf aber auch keinen Stillstand geben, man soll reflektieren, sich sinnvoll betätigen. Stephan empfiehlt den französischen Philosophen Blaise Pascal: "Nichts ist so unerträglich für den Menschen, als sich in einer vollkommenen Ruhe zu befinden, ohne Leidenschaft, ohne Geschäfte, ohne Zerstreuung, ohne Beschäftigung." Im dritten Teil seiner Lesung äußerte er Gedanken über den Mut, den man fürs (Über-)Leben braucht, darunter viele schöne Formulierungen, Intentionen, poesievoll wie Schritte aus dem Dunkel ins erste Frühlingslicht.
Birgit Heid lebt seit 1996 in Landau und ist 1. Vorsitzende des Literarischen Vereins der Pfalz. Sie hat bisher 14 Bücher publiziert und engagiert sich stark in der Kulturszene wie auch gesellschaftspolitisch.
"Warum schreibt man Gedichte?" fragte Heid in den Raum. Oft geht es darum, was uns aufwühlt: Reiseerlebnisse, Liebe, Trauer, Schmerz. Die Autorin führte uns mit Schwung in die Vergangenheit, so besuchte sie 1994 in ihrer Geburtsstadt Bochum eine stillgelegte Zeche im Urzustand, sie dokumentierte mit Texten und selbst entwickelten SW-Fotos, welche sie dem Publikum zeigte, las hierzu aus ihrem Buch "Die Partitur des Donners". Anfang der 2000er übte sich Birgit Heid im täglichen Schreiben von Sonetten im Stil von Martha Saalfeld, die neuen Medien kamen auf, sie lernte die Vielfältigkeit im Netz schätzen, auch wurde sie auf den für die Pfalz bedeutenden Schriftsteller und Historiker Wolfgang Diehl aufmerksam. Sie schrieb Märchen, Liebesgedichte, hermetische Gedichte, in der Folge Haiku, Tanka und Haibun, japanische Lyrik- und Kurzprosaformen. Ihre dreizeiligen Haiku wiederholte sie im Vortrag zweimal, vom Konzept her werden sehr vereinfacht gesagt zwei Bilder zusammengeführt, wobei eine Metaebene spürbar werden soll.
Heid zeigte persönliche Tiefe und Ernsthaftigkeit, ja auch Wut, wie sie aus ihrem Gedichtheftlein "Und anderswo | Krisengedichte" vortrug, da geht es um Hunger, Ausbeutungsmechanismen, Krieg, sexualisierte Gewalt.
Zum Schluss ein herzliches Weingedicht, dieses "lang genug abgelagert", danach zur Überraschung einen Satz in fränkischer Mundart, denn sie ist in Nürnberg aufgewachsen. Heimat, wo ist sie zu finden... das beschäftigt Heid immer wieder.
Ihren melodischen Sprachstil unterstützte sie mit passender Gestik, so setzte sie punktgenau Akzente.
Letztes Jahr erscheinen von Birgit Heid "Lass uns ein Eis essen" und "Der Morgen ist jung", beide in Tanka.
Thomas M. Mayr, beruflich Arzt, kommt aus Kirchheimbolanden. Er schreibt seit dem Jahr 2000 Lyrik, mit der Zeit zunehmend experimentell, eine Spezialität von ihm sind Kipp- und Vexiergedichte mit einer selbstentwickelten Struktur, die oftmals auf optischen Illusionen beruhen, wie sie gelegentlich Psychologen verwenden.
Mayr stellte zu Anfang zwei seiner Vexiergedichte vor, das erste titelte "Das Boot ist voll" und beinhaltet ein Binnengedicht, was (gewollt) mehrere Interpretationen zulässt, auch kann Gegenteiliges gemeint sein. Sehr schön sein Einwurf, welche Reaktionen unterschiedliche Betonungen z. B. beim Wort "Hilfe" auslösen können, artikuliert als Schrei oder in einer Fragestellung. Der Autor nahm sich viel Zeit für (sinnvolle) Wiederholungen und Erläuterungen. Mayr las in der Folge sein Gedicht "Aufmerksam" aus den 68ern zum Prager Frühling, weiterhin, wie Mayr anmerkte, besser verständliche Lyrik im Stil von Hilde Domin, den Abschluss bildete ein humoristischer Poetry Slam.
Thomas Mayr wies wie auch Birgit Heid auf den Diskurs um die Lyrikerin Judith Zander hin. Zander schreibt stark experimentell und erhielt kürzlich den Peter-Huchel-Preis. Danach kam es zu einem unerwarteten Shitstorm in SWR Kultur. Die Kommentierung war teils in übler, diffamierender Weise personenbezogen, aber nicht sachlich konstruktiv.
Ein weiteres aktuelles Thema ist die KI ChatGPT, mit welcher man auf Knopfdruck Gedichte generieren kann. Mayr betonte, der Mensch sei da schwerlich in seiner Komplexität zu erreichen. Das bleibt aus meiner Sicht spannend, da die Algorithmen noch viel Potenzial nach oben besitzen.
Sein letzter Lyrikband "Zwei+50" erschien 2021. Mayr ist Vorsitzender des Donnersberger Literaturvereins und Mitorganisator der Donnersberger Literaturtage.
Natalia Sonnenfeld stammt aus Sibirien und lebt seit über 20 Jahren in der Pfalz. Sie studierte Philologie in Kasan und Bochum. In ihrem Gedichtband "Sieh mich als Pilger" von 2020 sind ihre Malereien als freie Künstlerin den Gedichten beigeordnet. Letztes Jahr war u. a. eine Ausstellung von Sonnenfeld im Am Webend zu betrachten. Ihre Lyrik steht in symbiotischer Relation zu ihren Bildern und ist geprägt von intensiven Emotionen wie Liebe, Glück, Trauer und Trennungsschmerz, Menschen teilen das Leben, doch plötzlich sind sie nicht mehr da. Auch gibt es enttäuschte Erwartungen, was folgen sollte ist Verzeihung, Akzeptanz. Bezüglich ihrer Schreibarbeit empfindet es Sonnenfeld belastend, als "Gift für die Seele", wenn man Gedichte aufgrund der Umstände nicht gleich notieren kann. Sehr oft gehen ihre Blicke, Gedanken zurück, beziehen sich auf die Aufzeichnungen ihrer geliebten Oma, lässt uns an ihren Überlegungen teilnehmen, was sie hätte besser machen können. Welche Richtung nimmt ihr Leben? Sie ist Suchende.
Sonnenfeld ging den camino portugues und brachte die Erkenntnis mit, dass man wenig zum Leben braucht, um glücklich zu sein. Was geben wir, was nehmen wir an? Sie zeigt Dankbarkeit für Menschen, die neben ihr sind, einfach nur zuhören, was starke Gefühle in ihr auslösen kann, das lässt eine hohe Empathie vermuten. Trotz ihres sehr ruhigen Vortragstils wirkte ihre Bildsprache direkt, emotional verdichtet mit einem Schuss Symbolismus, was für mich schlüssig rüberkam.
Autor:Peter Herzer aus Kaiserslautern |
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