Unwetterkatastrophe im Ahrtal
Staatsanwaltschaft Koblenz leitet Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts verspäteter Warnungen ein
Mainz. Die Staatsanwaltschaft Koblenz hat am 04.08.2021 Ermittlungen wegen des Verdachts der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen im Zusammenhang mit der Unwetterkatastrophe am 14./15.07.2021 im Ahrtal aufgenommen. Die polizeilichen Ermittlungen hat das Landeskriminalamt Rheinland-Pfalz übernommen.
Am 14.07.2021 und in der Nacht zum 15.07.2021 kam es im Ahrtal zu einer Unwetterkatastrophe, die ihre Ursache in starken und langanhaltenden Regenfällen hatte. Hierdurch schwollen Zuflüsse der Ahr und diese selbst stark an. Es kam zu massiven Überschwemmungen. Durch die tragischen Ereignisse fanden - nach dem derzeitigen Stand - 141 Menschen den Tod, über 700 Menschen wurden verletzt.
Die Staatsanwaltschaft hat aus den ihr zugänglichen Quellen versucht, die Ereignisse am 14./15.07.2021 vorläufig nachzuvollziehen. Auch wenn dies naturgemäß nicht vollständig möglich war, haben sich hieraus zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass am 14.07.2021 spätestens ab etwa 20.30 Uhr Gefahrenwarnungen und möglicherweise auch die Evakuierung von Bewohnern des Ahrtals, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht von der Flutwelle betroffen waren, geboten gewesen wären. Dies - so der Anfangsverdacht - dürfte in einer als fahrlässig vorwerfbaren Begehungsweise offenbar nicht, nicht in der gebotenen Deutlichkeit oder nur verspätet erfolgt sein. Der Anfangsverdacht erstreckt sich weiterhin darauf, dass ein entsprechendes Unterlassen jedenfalls für einen Teil der Todesfälle und der entstandenen Personenverletzungen (mit)ursächlich geworden ist. Eine Auswertung der bei der Staatsanwaltschaft geführten Todesermittlungsverfahren hat insoweit ergeben, dass sich die Todesfälle überwiegend ahrabwärts von Ahrbrück aus mit einem großen Schwerpunkt in der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler ereignet haben.
In der rechtlichen Gesamtschau hat die Staatsanwaltschaft daher den Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und fahrlässigen Körperverletzung ggf. im Amt - jeweils begangen durch Unterlassen - bejaht und ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. Dieses richtet sich derzeit gegen den Landrat des Kreises Ahrweiler, weil dieser nach den Regelungen des Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetzes Rheinland-Pfalz möglicherweise die Einsatzleitung und alleinige Entscheidungsgewalt hatte. Das Verfahren richtet sich gegen ein weiteres Mitglied des Krisenstabs, das nach den derzeitigen Erkenntnissen die Einsatzleitung zumindest zeitweise übernommen hatte.
Im Rahmen des Verfahrens sind heute bereits Unterlagen und Daten des Krisenstabes des Landkreises Ahrweiler sowie die persönlichen Kommunikationsmittel beider Beschuldigter sichergestellt worden, die auszuwerten sein werden.
Die Staatsanwaltschaft weist eindrücklich darauf hin, dass derzeit lediglich ein Anfangsverdacht besteht, der naturgemäß auf einer mit Unsicherheiten und Lücken behafteten Erkenntnislage beruht. Gerade deshalb und wegen der Dramatik der Ereignisse und der schrecklichen Folgen, die diese gehabt haben, betont die Staatsanwaltschaft die hinsichtlich der Beschuldigten bestehende Unschuldsvermutung in besonderer Weise.
Die zu führenden Ermittlungen werden vermutlich einige Zeit in Anspruch nehmen, so dass mit schnellen Ergebnissen nicht zu rechnen ist. Für Hinweise aus der Bevölkerung bleibt auch künftig die folgende Mailanschrift freigeschaltet: unwetter.stako@genstako.jm.rlp.de .
Rechtliche Hinweise:
Wegen fahrlässiger Tötung macht sich gemäß § 222 des Strafgesetzbuchs (StGB) strafbar, wer durch Fahrlässigkeit den Tod eines Menschen verursacht. Die Tat ist mit Geldstrafe oder mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren bedroht.
Gemäß § 229 StGB wird wegen fahrlässiger Körperverletzung bestraft, wer durch Fahrlässigkeit die Körperverletzung einer anderen Person verursacht. Dieses Delikt ist mit Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren bedroht. Die fahrlässige Körperverletzung wird gemäß § 230 StGB nur auf Antrag des oder der Geschädigten verfolgt, es sei denn, die Staatsanwaltschaft bejaht ein besonderes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung. Nach § 340 Absatz 3 StGB gilt § 229 StGB auch für die fahrlässige Körperverletzung im Amt entsprechend; eines Strafantrags oder der Bejahung eines besonderen öffentlichen Interesses bedarf es insofern jedoch nicht.
Wer es unterlässt, einen zum Tatbestand eines Strafgesetzes gehörenden Erfolg abzuwenden, ist gemäß § 13 StGB nur dann strafbar, wenn er rechtlich dafür einzustehen hat, dass der Erfolg nicht eintritt, und wenn das Unterlassen der Verwirklichung des gesetzlichen Tatbestandes durch ein Tun entspricht.
Die Staatsanwaltschaft nimmt Ermittlungen auf, wenn sie zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür hat, dass eine verfolgbare Straftat begangen worden ist, § 152 Abs. 2 StPO. Der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft Ermittlungen einleitet, bedeutet mithin nicht, dass ein Tatnachweis erbracht worden wäre oder es zu einer Anklageerhebung oder gar Verurteilung kommen wird. Für Beschuldigte gilt vielmehr uneingeschränkt die volle Unschuldsvermutung.
gez. Harald Kruse, Leitender Oberstaatsanwalt
Staatsanwaltschaft Koblenz
Autor:Ralf Vester aus Kaiserslautern |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.