Ehrenamtliche Mitarbeiter der Telefonseelsorge sprechen über ihren Dienst
Helfen ohne selbst im Rampenlicht zu stehen

Foto: Pixabay

Evangelische Kirche der Pfalz/Diözese Speyer.Diesen Anruf wird Norbert L., seit 24 Jahren ehrenamtlicher Mitarbeiter der ökumenischen Telefonseelsorge Pfalz, nie vergessen: Ein verzweifelter Mensch kündigte seinen Suizid an, und er habe ihn nicht davon abbringen können. Der Auftrag und die Herausforderung der Telefonseelsorge – das Unerhörte hören, standhalten, trösten und stärken – sei für ihn nie spürbarer gewesen als in jener Nacht.

Dennoch ist sich der 74-jährige ehemalige Lehrer sicher, dass er von all seinen Ehrenämtern dieses als letztes abgeben würde. Auch Petra M., seit zwei Jahren bei der Telefonseelsorge, empfindet das Ehrenamt als besonders kostbar: „Die Menschen brauchen etwas, das ihnen Halt gibt. Diesen Beitrag wollen wir leisten.“
In diesem Jahr begeht die von der Evangelischen Kirche der Pfalz und der Diözese Speyer getragene Einrichtung ihr vierzigjähriges Bestehen. Rund 90 ehrenamtliche Mitarbeiter sorgen am Sitz in Kaiserslautern für ein kostenfreies Beratungsangebot – anonym und rund um die Uhr. Zwei von ihnen, Norbert L. und Petra M. (Namen geändert) schildern im Gespräch, was sie dazu bewogen hat, mitzuarbeiten und weshalb der Hilfsdienst am Telefon für den Zusammenhalt der Gesellschaft so wichtig ist.
L. hat sich auf der Suche nach einem Ehrenamt, „bei dem ich meinem Mitmenschen helfen kann, ohne selbst im Rampenlicht zu stehen“, 1995 zum Telefonseelsorger ausbilden lassen. Damals sei er der einzige Mann im Kurs gewesen. Noch immer bewerben sich mehr Frauen als Männer für die Ausbildung, stellen Pfarrer Peter Annweiler (Evangelische Kirche der Pfalz) sowie Pädagogin Astrid Martin und Psychologin und Theologin Ursula Adam (Diözese Speyer) vom Leitungsteam fest. Die Kurse erstrecken sich über eineinhalb Jahre und fordern den Teilnehmern einiges ab. „Die Ausbildung ist sehr professionell. Wir haben ungeheuer viel gelernt, auch über uns selbst“, loben L. und M. die Leitung der Telefonseelsorge für die Auswahl der Referenten.

Vorurteilsfreie Begegnung

Die Teilnehmer werden auch darin geschult, sich abzugrenzen und nicht die Verantwortung für die Anrufer zu übernehmen. „Wir müssen jedem Gesprächspartner vollkommen vorurteilsfrei begegnen“, sagt M.. Beruflich arbeitet die 57-jährige gelernte Erzieherin in einer sozialen Einrichtung und hat sich aufgrund einer Annonce zur Telefonseelsorgerin ausbilden lassen. „Wir dürfen nie vergessen, dass wir keine Therapeuten sind“, ergänzt L.. Gerade am Telefon seien Unterhaltungen besonders dicht: „Da ist nichts und niemand außer uns zwei.“ Man lerne auch, zwischen echter Not und „inszenierten“ Anliegen zu unterscheiden. „Da brechen wir ein Gespräch auch mal ab.“ Und es gebe Situationen, „wo leider alles nichts mehr hilft, das Zuhören nicht und nicht die richtigen Fragen. Wenn wir nicht weiterkommen, beraten wir die Anrufer auch, an welche Fachleute sie sich um Hilfe wenden können“.

Ein Spiegelbild der Gesellschaft

Gegründet wurde die Telefonseelsorge, um Suizid als gesellschaftlich verdrängtes Problem aufzugreifen. Heute seien es vor allem einsame und depressive Menschen, welche die Nummer der Telefonseelsorge wählten. „Ein modernes Phänomen“, sagen die beiden Mitarbeiter. Meist würden die Gespräche mit der Begrüßungsformel „Guten Tag. Was ist Ihr Anliegen?“ eröffnet. Mobbing, „Messi“-Syndrom, (sexuelle) Gewalt gegen Frauen und Kinder seien gleichfalls häufige Themen – „eben alles, was in der Gesellschaft vorkommt“. Auch um Religion und den Glauben drehten sich viele Gespräche. Dass die Kommunikation beidseitig anonym ist, soll die Hemmschwelle senken und ein Gefühl der Sicherheit geben. Dennoch gebe es eine unglaubliche Nähe und Direktheit.

Wertschätzung und Empathie

15 Stunden im Monat im Telefondienst, darunter Nacht- und Feiertagsschichten – da sei es wichtig, die Sorgen und Nöte der Menschen möglichst nicht mit nach Hause zu nehmen. Damit das gelingt, finden regelmäßig Supervisionen, Fortbildungen zu bestimmten Themenbereichen sowie Mitarbeitergespräche statt. Gesprächskompetenz sei ebenso wichtig wie die Fähigkeit, die Unterhaltung zu steuern und zu klären, was der Anrufer möchte, ihn wertzuschätzen und Empathie zu zeigen. Druck dürfe auf die Anrufer nicht ausgeübt werden – weder konfessionell, noch politisch, ideologisch oder psychologisch.
Dass sich die Kirchen für die Telefonseelsorge engagierten, sei ein „ungeheuer wertvoller Beitrag für die Gesellschaft“, unterstreichen die beiden ehrenamtlichen Mitarbeiter. „Nicht immer können wir etwas bewirken, aber wir können Mitmenschen sein“, sagt Norbert L.. Petra M. findet als gläubige Christin nach emotional sehr berührenden Gesprächen im Gebet Hilfe. „Dann zünde ich zuhause für die Anrufer eine Kerze an.“

Bundesweites ökumenisches Netzwerk

Unter dem Namen „Ärztliche Lebensmüdenberatung“ startete 1956 in Berlin ein Beratungsangebot, das sich bundesweit zu einem ökumenischen Netzwerk mit über 100 Telefonseelsorge-Stellen entwickelt hat. Als einzige Organisation bietet die Telefonseelsorge ihre Dienste 24 Stunden als sofort erreichbares und niedrigschwelliges Beratungsangebot an – auch über Mail und Chat. Derzeit wird eine bundesweite Seelsorge-App entwickelt. Dass es manchen leichter falle, ihre bedrückenden Gedanken aufzuschreiben statt auszusprechen, drücke sich auch in der Statistik aus, erklärt Psychologin Ursula Adam. Während sieben Prozent aller Anrufer Suizidgedanken äußerten, seien es im Chat aktuell 22 Prozent.

Verstärkung gesucht

Die Telefonseelsorge ist immer auf der Suche nach neuen Mitarbeitern. Interessenten werden auf den Dienst in einer 18-monatigen Ausbildung mit rund 200 Unterrichtsstunden vorbereitet und nach einer Hospitation als Telefonseelsorger zugelassen. „Wünschenswert ist es, wenn unsere Bewerber Lebenserfahrung und Offenheit mitbringen“, erklären Peter Annweiler, Astrid Martin und Ursula Adam vom Leitungsteam. Im Auswahlgespräch werde Wert darauf gelegt, wie gut sich die Bewerber in andere Menschen einfühlen können. Der nächste Ausbildungskurs beginnt Anfang 2020.
Interessenten können sich darüber am 29. Oktober von 19 bis 21 Uhr in den Räumen der Volkshochschule Kaiserslautern (Kanalstraße 3) informieren. ps

Weitere Informationen:
www.telefonseelsorge-pfalz.de

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Autor:

Jens Vollmer aus Wochenblatt Kaiserslautern

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