Ursula Grünewald und Reinhard Horsch vom Vorsitzendenteam der GEW Kreis Donnersberg im Gespräch
Lehrkräfte am Rande der Belastbarkeit

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Von Claudia Bardon/Donnersbergkreis.Bundesweit wird der stetig wachsende Lehrermangel beklagt und die Coronapandemie macht dieses Problem nicht einfacher, sondern bringt viele Lehrkräfte an das Ende ihrer Kräfte. Wie es in der Donnersbergregion in Sachen Lehrermangel aussieht, hat die Wochenblatt-Redaktion von Ursula Grünewald und Reinhard Horsch der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) im Kreis Donnersberg erfahren.

???: Herr Horsch, Sie sind pensionierter Lehrer und im Vorsitzendenteam der GEW-Kreis Donnersberg. Welche Aufgabenbereiche beinhaltet Ihre Position?

Reinhard Horsch: „Die GEW, die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, ist die Bildungsgewerkschaft innerhalb des DGB, die bundesweit nicht nur Lehrkräfte aller Schularten, sondern auch die sozialpädagogischen Berufe – hier als eine große Gruppe Erzieherinnen und Erzieher an Kindertagesstätten - aber auch die an Hochschulen und in der Weiterbildung Beschäftigten vertritt. Die GEW ist entsprechend der föderalen Struktur der Zuständigkeit für die Bildungspolitik in 16 Landesverbänden organisiert. Die Nähe zu den Beschäftigen vor Ort und den ständigen Austausch und Dialog zwischen den verschiedenen in der Bildung tätigen Professionen gewährleistet die Arbeit der GEW-Kreise. Der GEW-Kreis Donnersberg hat über 500 Mitglieder aus den genannten unterschiedlichen Bereichen des Bildungswesens und wird geleitet von einem dreiköpfigen Vorsitzendenteam, das in seiner Zusammensetzung diese Vielfalt widerspiegelt. Christine Münch, als Erzieherin an einer KiTa in Kirchheimbolanden tätig, Ursula Grünewald aus dem Bereich der Grundschulen, die sich im Hauptpersonalrat auf Landesebene für ihre Schulart einsetzt und ich als ehemaliges Schulleitungsmitglied einer Realschule plus. Dem erweiterten Donnersberger GEW-Vorstand, der sich alle zwei bis drei Monate trifft, gehören weitere Mitglieder aus den unterschiedlichen Bereichen des Bildungswesens an, wie zum Beispiel Thomas Wiemer-Scheidel, der für den Bereich Förderschulen Mitglied im Bezirkspersonalrat bei der ADD Trier ist.“

???: Frau Grünewald, Lehrerstellen werden jedes Jahr neu geschaffen, aber es gehen jedes Jahr auch Lehrer in Pension oder scheiden anderweitig aus. Sind heutzutage mehr Lehrkräfte im Einsatz gegenüber früher?

Ursula Grünewald: „Es gibt genaue Berechnungen, wie viele Lehrkräfte (Lehrer und Lehrerinnen) an den Schulen einzusetzen sind. Die Schulaufsicht/ ADD hält die Kontakte zu den Schulen in den verschiedenen Schularten und begleitet die Einstellungen in den Schuldienst. Der Einsatzplan in den Schulen wird durch den Gliederungsplan genau geregelt, den die einzelnen Schulen am Schuljahresbeginn bis Anfang September erstellen. Diese Daten zur Unterrichtsversorgung werden auf Landesebene ausgewertet und in der Regel im November, also in diesen Tagen, öffentlich gemacht.“

???: Bundesweit wird seit längerer Zeit der Lehrermangel beklagt. Natürlich haben sich auch die Schülerzahlen und Fächer verändert. Wenn wir Schüler und Lehrer in Relation zueinander setzen: Wie viele Schüler kommen derzeit auf einen Lehrer im Donnersbergkreis– und wie war es vor zehn Jahren?

Reinhard Horsch: „Die Lehrkräfteversorgung erfolgt auf Grundlage der gültigen Messzahlen für die unterschiedlichen Schularten und ist auch abhängig von der Bewerbersituation am Markt. Wenn ausgebildete Lehrkräfte fehlen, wie derzeit im Bereich der Förderschulen, kann den Schulen keine ausreichende Versorgung zugewiesen werden. Die Bedarfssituation hat sich in den letzten zehn Jahren auch durch bildungspolitische Weichenstellungen verändert, die von der GEW durchaus begrüßt werden, insbesondere durch die Umsetzung von Inklusion, also die Förderung von Schülern mit Lernbeeinträchtigung an Regelschulen als Schwerpunktschulen, und die Einführung der Realschule plus im Rahmen der Schulstrukturreform, in der die vorherigen Schularten Hauptschule und Realschule aufgingen. Aufgrund des integrativen Ansatzes einer Schule für alle mit innerer und äußerer Binnendifferenzierung hat diese Schulart einen höheren Lehrkräftebedarf und eine verbesserte Lehrer-Schüler-Relation, die in der Orientierungsstufe bei 25 Schülern pro Klasse liegt. Erfreulicherweise ist es zu diesem Schuljahr gelungen, durch eine Erhöhung der Zahl der Planstellen junge Lehrkräfte an unser Bundesland Rheinland-Pfalz zu binden, die andernfalls in benachbarte Bundesländer wie Hessen und Baden Württemberg abgewandert wären. Ein Problem in Realschulen plus ist aber die fachgerechte Unterrichtsversorgung. Insbesondere für die naturwissenschaftlichen Fächer wie Physik, für das Wahlpflichtfach Französisch und für Musik, aber auch für Sozialkunde fehlen Lehrkräfte. Hinzugekommen ist gerade in den letzten fünf Jahren ein Bedarf für Deutsch als Zweitsprache aufgrund der verstärkten Migration.“

???: Wenn an einer Schule Lehrer fehlen, fällt meist auch Unterricht aus – mit Folgen fürs Lernen, aber auch für die Betreuung der Kinder. Lehrermangel und Unterrichtsausfall reißen somit zusätzlich Lücken, die die Eltern sofort in ihrem Alltag spüren. Wie werden im Donnersbergkreis solche Fehlstunden aufgefangen? Sind diese Fehlstunden wirklich auf einen Lehrermangel zurückzuführen? Oder betrifft es den Donnersbergkreis eher weniger?

Ursula Grünewald: „Der Donnersbergkreis ist genauso betroffen wie anderswo in RLP. Unterricht kann ausfallen, wenn Lehrkräfte erkranken oder wenn sich diese fortbilden. Das Land ist in der Pflicht, solche Situationen aufzufangen, was allerdings nicht immer gelingt. Gemeinsam mit der ADD schauen die Schulleitungen nach Vertretungsreserven. Hierfür gibt es einige Möglichkeiten und verschiedene Modelle für Ersatzlehrkräfte. Zum Beispiel sogenannte „Feuerwehrlehrkräfte“ können hierbei ganz kurzfristig zum Einsatz kommen. Es handelt sich hierbei um ausgebildete Lehrkräfte, die zum Berufseinstieg oder als Zwischenlösung diese Tätigkeit ausüben und meist sehr flexibel sein müssen. Aber insgesamt gibt es davon viel zu wenig. Gerade in Grundschulen ist hier ein großer Bedarf, da dort die Kinder immer betreut sein müssen. Die Berechnung zum Einsatz der Feuerwehrlehrkräfte ist viel zu niedrig angesetzt. Wenn eine Schule kurzfristig Bedarf hat, kann es passieren, dass die Lehrkraft schon „vergeben“ ist oder dass sie in eine Dauervertretung eingesetzt wurde. Hier erwartet die GEW vom Bildungsministerium mehr Unterstützung. Unsere Klagen nach fehlenden Vertretungslehrkräften müssen sich die Verantwortlichen schon seit vielen Jahren anhören. Bezüglich des Einsatzes von Feuerwehrlehrkräften in Grundschulen zeigt ein seit über 2 Jahren laufendes Projekt in den Städten Worms, Mainz, Koblenz, (wo eine verstärkte Einstellung erfolgte von 40 zusätzlichen Kräften), dass der Bedarf weiterhin sehr hoch ist und diese Einsatzzahlen mehr als benötigt werden.
Es gibt auch noch eine andere Möglichkeit, den Unterrichtsausfall vertreten zu lassen von Seiten des Landes: Einige Schulen haben die Möglichkeit, sogenannte PES-Kräfte einzustellen. PES bedeutet „Projekt Erweiterte Selbstständigkeit“. Hier haben Schulen die Möglichkeit, auch nicht komplett ausgebildete Lehrkräfte (häufig Studenten und Studentinnen, erste Staatsprüfung etc.) einzustellen für Vertretungsbedarf. Es ist von Vorteil, dass die Schulen sich selbst um die Kontakte kümmern, da man sich die Lehrkräfte dabei aussuchen kann. Allerdings muss man hierzu kritisch anmerken, dass dabei natürlich auch die Qualität von Unterricht leiden kann, da es unerfahrene Menschen sein können, die noch in der Ausbildung stecken. Natürlich geben sich die PES-Kräfte große Mühe und leisten meist gute Arbeit, aber wenn man den Anspruch auf guten Unterricht haben will, ist dies nur eine Notlösung. Grundschulen hatten bisher nicht die Möglichkeit PESkräfte einzusetzen, es sei denn, sie sind Ganztagsschulen.
Allgemein gilt: Fehlstunden, also kurzfristigen Ausfall durch Krankheit und Fortbildung, gibt es in jedem Beruf und jeder Arbeitgeber muss dies einplanen. So ist auch das Land, also das Bildungsministerium gefordert, gute Vertretungskonzepte einzurichten. Hier muss genauer geschaut werden. Wir brauchen in allen Schularten mehr Lehrer und Lehrerinnen. Da in der Grundschule kein Unterricht ausfallen soll, muss dort die Reserve viel größer sein und mehr Lehrkräfte müssten zur Verfügung stehen. In weiterführenden Schulen fällt Unterricht eher aus, weil die Schüler nicht komplett betreut werden müssen, aber auch hier ist mehr Reserve notwendig. Die Bildung der Kinder muss dem Land mehr wert sein, dafür kämpfen nicht nur wir als Gewerkschaft, sondern auch die Eltern an unserer Seite. Es gibt beispielhafte Länder, auf die wir gerade im Zusammenhang mit der PISA-Studie gerne schauen, aber dort steckt auch mehr Geld im Bildungshaushalt, also auch mehr Personal.“

???: Corona hat an vielen Stellen schmerzhafte Lücken gerissen. Hat die Pandemie die Situation des Lehrermangels in unserer Region verschärft? Oder haben aktuellere Herausforderungen ihn eher in den Hintergrund gerückt? Welche Schulformen sind vom Lehrermangel besonders betroffen und in welchen Bereichen läuft es wie am Schnürchen?

Ursula Grünewald: „Die Pandemie stellt gerade die Schulen vor große Herausforderungen und bringt Lehrkräfte an den Rand ihrer Belastbarkeit. Unterricht findet immer wieder nach neuen Regelungen statt und da sind die Schulen sehr diszipliniert. Es ist dem Land wichtig, dass der Schulbetrieb läuft, das sind täglich neue zusätzliche Aufgaben. Der Schulbetrieb läuft mit kompliziert ausgearbeiteten Plänen für Wegekonzept, Pausenregelungen, Händewaschen/Desinfizieren, Besucherregelung, Lüftenkonzept und vielem mehr, was zu bedenken ist. Da könnte man noch sehr vieles sagen. Das Konzept sieht 3 Stufen der Beschulung vor, je nach Infektionszahlen. Das Land macht die Vorgaben und die Schulen müssen sich entsprechend einrichten. Im Moment gibt es noch eine Vollbeschulung aller Schüler mit Präsenz, allerdings mit Mund- und Nasenschutz. Lediglich in der GS und Förderschule dürfen die Kinder die Maske nur am Platz abnehmen. Dies allein ist schon eine große Einschränkung im Lernen und Arbeiten. Auch sind die Lehrkräfte viel stärker einem Risiko ausgesetzt als im Alltag.
Falls wieder, wie vor den Sommerferien, eine Teilung der Klassen notwendig wird, muss die Hälfte der Schüler zu Hause digital beschult werden. Das ist die doppelte Arbeit für die Lehrkräfte, hat aber den Vorteil, dass Abstände und Hygienemaßnahmen sicherer eingehalten werden. Außerdem ist es gerade jetzt wichtig, dass die digitale Ausstattung der Schüler stimmt, aber das ist ein weiteres großes Thema.“

???: Das Kultusministerium schafft regelmäßig zusätzliche Lehrerstellen. In welchem Umfang und wie schnell können diese Stellen auch besetzt werden?
Ein Lehramtstudium dauert einige Jahre. Welche Weichen müsste man jetzt stellen, um dauerhaft vorzusorgen? Und vor allem, wann wird in Rheinland-Pfalz ein Einstieg in den Lehrerberuf als Seiten- oder Quereinsteiger möglich? Wäre ein solcher Quer- oder Seiteneinstieg die Lösung aller Probleme?

Ursula Grünewald: „Seiten- und Quereinstiege sind in verschiedenen Modellen möglich (BBS aus Praxisberufen!), auch zwischen den Schularten ist es möglich, durch Zusatzprüfungen das Lehramt zu wechseln. Die Lehramtstudiengänge sind von guter Qualität und sichern somit auch einen guten Unterricht. Von daher muss man vorsichtig sein, Ersatz anderswo zu suchen. Bildung braucht diese qualitative Grundlage. Seiten- und Quereinstiege können keine Lösung der Probleme sein, sie betreffen eher individuelle Berufsorientierungen, können allerdings in manchen Bereichen auch sinnvoll sein. In den Grundschulen gibt es beispielsweise im Moment einige Lehrkräfte, die eine gymnasiale Ausbildung haben, aber im Laufe ihrer Tätigkeit als Vertretungskraft in der Grundschule feststellen mussten, dass ihnen das Arbeiten mit Primarschülern Freude bereitet. Um eine Planstelle zu erhalten, bietet ihnen das Land an, eine Wechselprüfung für die GS abzulegen. Diese ist die gleiche 2. Staatsprüfung, die GS-Lehrkräfte ablegen, sie beinhaltet Theorie und Praxis und ist genauso strukturiert. Gerade in der Grundschule fehlen Lehrkräfte und man hat bessere Chancen, eingestellt zu werden. Allerdings kämpfen GS-Kräfte schon lange um eine gleichwertige Entlohnung, auch und gerade in der GEW Rheinland-Pfalz.
Mehr Personal und mehr Lehrkräfte in Schulen sind dringend vonnöten, um bessere Bildungschancen zu schaffen. Schulsozialarbeiter für alle Schulen, Lernbegleiter, Erzieher.... Die pädagogischen Herausforderungen sind individueller geworden, inklusives Unterrichten ist gefragt, gute Methoden sind in den Schulen angekommen, digitales Unterrichten und Lernen steht im Mittelpunkt. Die Pandemie schränkt pädagogische Möglichkeiten einerseits sehr ein, zeigt aber auch die Grenzen des sogenannten Digitalpaktes des Landes.“ clh

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Autor:

Claudia Bardon aus Wochenblatt Kirchheimbolanden

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