Interessantes von und mit Volker Schläfer
Jakob Weber - Erster hauptamtlicher Bürgermeister von Mutterstadt
Vor 100 Jahren, im April 1920, wurde der Sozialdemokrat Jakob Weber zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister von Mutterstadt gewählt
Ein leidenschaftlicher Kommunalpolitiker, sprachgewaltig, ja, durchaus auch streitbar und unbequem und jemand, der keiner politischen Auseinandersetzung aus dem Wege ging; ein Vordenker für die Erfordernisse seiner Zeit, ein Kämpfer für bessere Lebensbedingungen, ein deutscher Patriot im positiven Sinne: Das war Jakob Weber, Mutterstadts erster Berufsbürgermeister.
Am 18. April 1920, also vor jetzt 100 Jahren, wurde Weber in einer Direktwahl von der Bevölkerung des damals noch landwirtschaftlich geprägten Großdorfs mit 5.500 Einwohnern für zehn Jahre zum ersten hauptamtlichen Bürgermeister gewählt. Er erhielt 1.467 Stimmen, sein Gegenkandidat aus dem „bürgerlichen“ Lager kam auf 1.277 Stimmen. Mit dem 47jährigen Weber kam damit auch erstmals in Mutterstadt ein Sozialdemokrat in dieses Amt.
1873 als Sohn einer Mutterstadter Arbeiterfamilie geboren, erlernte Jakob Weber das Maurerhandwerk, dann Polier, Bauaufseher und anschließend Gewerkschaftsbeamter beim Deutschen Bauarbeiterverband. Er befasste sich schon in jungen Jahren mit sozialpolitischen Problemen, vertiefte sein Wissen durch Selbststudium, Weiterbildungskurse und Parteischulungen.
1910 zog Jakob Weber in den Gemeinderat, wo er für die SPD das Amt des zweiten Adjunkts (heute: Beigeordneter) übertragen bekam. Weber war angetreten, wesentliche, nachhaltige und gravierende Verbesserungen der örtlichen Lebensverhältnisse zu schaffen. So veröffentlichte er 1911 im MUTTERSTADTER ANZEIGER seine „Denkschrift über Straßenherstellung, Entwässerung und Kanalisation sowie Errichtung einer Licht- und Kraft-Anlage“ mit detaillierten Zahlen und Finanzierungsmöglichkeiten. Schon im August 1912 wurde der erste Teil des gemeindeeigenen Elektrizitätsnetzes in Betrieb genommen. Er war auch ganz maßgeblich am Bau der Pestalozzischule, mit einem Volksbad in dem Gebäude, beteiligt. Diese Tätigkeiten zur Modernisierung des Ortes wurden durch den 1. Weltkrieg unterbrochen, an dem Weber als Frontsoldat teilnahm.
1920 bewarb er sich dann mit seinem Wahlspruch „Das Wohl der Gemeinde steht über den Parteien“ um das Amt des ersten hauptamtlichen Bürgermeisters und wurde auch gewählt. Seine Amtszeit fiel in die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlich turbulenten Jahre nach dem verlorenen Weltkrieg. Investitionen der Gemeinde für den Wohnungsbau, im Hinblick auf die Wohnungsnot auch für Einfachwohnungen, Förderung der Schulen und der Bücherei sowie Kanal- und Straßenbaumaßnahmen, aber auch die Neubauten für Notariat, Gendarmerie, Post und für die Mälzerei fallen in diese Zeit.
Jakob Weber gehörte auch verschiedenen überörtlichen Gremien an. Von 1928 bis 1933 war er Mitglied des Kreistags Pfalz (dem Vorläufer des heutigen Bezirksverbandes), war einer der Sprecher des pfälzischen Landgemeindeverbandes, Vorsitzender des Entwässerungsverbandes Floßbach-Isenach und saß in den Aufsichtsräten der Pfalzwerke, der Kreissparkasse und des Wohnungsbauverbands Pfalz.
Eine wichtige überörtliche, ja staatspolitisch bedeutsame Rolle spielte Weber in den Jahren 1923/24 im Kampf gegen die Separatistenbewegung, die unter dem Schutz Frankreichs die Pfalz aus dem Reichsgebiet herauslösen wollte. Nach Ausrufung der autonomen Regierung „freie Pfalz“ unterzeichneten viele pfälzische Bürgermeister, teilweise unter Zwang, eine Loyalitätserklärung für die Loslösung. Jakob Weber gehörte als Sprecher von 677 Landgemeinden aus der Pfalz zu einer Delegation, die Ende Dezember 1923 bei der Interalliierten Rheinlandkommission in Koblenz vorstellig wurde, um dies zu verhindern. Er und sein Bürgermeisterkollege aus Neidenfels fuhren deshalb in den nächsten Wochen mit dem Auto quer durch die Pfalz, ständig in Gefahr, aufgegriffen zu werden und sammelten bis Anfang Februar 1924 über 500 Widerrufe dieser Loyalitätsbekundungen ein. Dieses entschlossene Handeln des Mutterstadter Bürgermeisters als Vertreter der pfälzischen Landgemeinden war sicherlich mitentscheidend für das Ende der Separatistenbewegung in der Pfalz. Dieser historische Tatbestand ist lange nicht erkannt und gewürdigt worden.
Am 3.1.1930 wurde Jakob Weber, diesmal vom Gemeinderat, für weitere zehn Jahre in seinem Amt bestätigt. Weber war maßgeblich bei der Gründung des Zweckverbandes für Wasserversorgung beteiligt, dessen erster Vorsitzender er wurde: 1931 floss in knapp 900 Haushaltungen im Ort erstmals sauberes Wasser aus den Leitungen und 1932 wurde zur Sicherstellung einer kontinuierlichen Wasserversorgung der Mutterstadter Wasserturm gebaut. Weber machte Ende der 1920er-Jahre auch den Vorschlag, eine elektrische „Fernbahn“ von Ludwigshafen über Mutterstadt bis nach Deidesheim zu schaffen (Hinweis: 90 Jahre später gibt es jetzt Machbarkeitsstudien für eine Verlängerung der Straßenbahn von Ludwigshafen bis nach Mutterstadt und Dannstadt!).
Ein Rückschlag in der Entwicklung Mutterstadts war dann in den Augen Webers 1930 die Entscheidung der Staatsregierung, aus Teilen der Muttergemeinden Schifferstadt, Neuhofen, Rheingönheim und Mutterstadt eine selbstständige Gemeinde Limburgerhof zu gründen. Mutterstadt verlor dadurch seinen südlichen Ortsteil mit 300 Einwohnern und dem seinerzeitigen Mutterstadter Bahnhof und 316 Hektar seiner Gemarkung. Jakob Weber wandte sich vehement dagegen, auch in Bürgerversammlungen und Verwaltungsgerichtsverfahren. Er sah die sich daraus ergebenden Entwicklungen: einerseits die negativen für Mutterstadt durch die Geländeabtretung und künftige wirtschaftliche Beeinträchtigen durch den Verlust des Bahnhofes und andererseits die sich daraus ergebenden positiven Entwicklungen für Limburgerhof. Er konnte sich aber mit seinem Gegenvorschlag, den Limburgerhof der Gemeinde Mutterstadt zuzuschlagen, nicht durchsetzen (Hinweis: die Entwicklung Limburgerhofs seit dieser Zeit geben Jakob Weber im Nachhinein recht!).
Nach der Reichstagswahl 1930 wurde Jakob Weber als führender Sozialdemokrat im Landkreis zum bevorzugten Hassobjekt der NS-Propaganda. So wurde ein sog. „Volksbegehren“ initiiert zur Absetzung des Bürgermeisters und im März 1933 ordnete der Ortsgruppenleiter eine Säuberungsaktion an, die vordergründig ebenfalls auf Weber abzielte. Am 13. März 1933 wurde er dann von Polizei und SA verhaftet, aus dem Amt entfernt (rechtswidrig, wie vom Bezirksamt bestätigt und dann nachträglich am 1.12.1933 vom Reichsstatthalter verfügt) und in Schutzhaft genommen, ein euphemistischer (beschönigender) Begriff für eine Inhaftierung allein auf der Grundlage einer Polizeianordnung. Zusammen mit anderen SPD-Genossen (darunter war auch Wilhelm Weber, der älteste Sohn von Jakob Weber), mit KPD-Mitgliedern sowie Gewerkschaftern, wurde er als einer der ältesten Häftlinge in das Konzentrationslager in Neustadt eingeliefert, das als „ Schutzhaft- und Arbeitslager“ bezeichnet wurde. Die Verrohung der Sprache in der damaligen Zeit lässt sich in den Akten nachlesen: Bei der Begründung für die Dienstentlassung Webers im Juli 1933 geht es auch um seinen Dienstvertrag, wo die örtlichen NSDAP-Funktionäre von einer „(…) Ausbeutung einer Notleitenden Gemeinde“ sprechen und (…) „der unter Ausnutzung des Leichtsinns und der damaligen verantwortungslosen Gemeinderatsmitglieder des schwarzroten Systemblocks (gemeint sind Zentrum und SPD) zustande gekommen sei“. In einem Schreiben des Ortsgruppenleiters heißt es „als Vertreter von 1700 national gesinnten Deutschen und allen anderen aufbauwilligen Männern von edlem Charakter sind wir es schuldig, an der Säuberungsaktion bei der Mutterstadter Verwaltung und der Gemeindepolitik ernsthaft teilzunehmen (…)“. In einem weiteren Antrag der NSDAP-Ortsgruppe an die Gauleitung wg. der Absetzung Webers als Zweckverbandsvorsitzender wird von (…) „einer Kette von Korruption als eine unsagbare Last, von Schuld und Schande, von Schmutz und Elend“ gesprochen. Ebenfalls im Protokoll des Wasserzweckverbandes (…) „auch im Zweckverband muss ein neuer Geist einziehen (….) und es ist notwendig, dass Personen verschwinden, welche seither mit dem früheren Vorsitzenden in der Öffentlichkeit gegenüber die Leitung des Verbandes verkörperten“: Neben Weber werden daraufhin weitere drei Mitarbeiter entlassen.
Nach einem Monat Haft in Neustadt wurde Jakob Weber weiterhin in den Gefängnissen in Frankenthal und Ludwigshafen festgehalten und mit einem Ortsverbot belegt. Er wehrte sich dagegen mit Eingaben und Gerichtsverfahren, auch wegen der Aberkennung seiner Bezüge und Einbehaltung von Unterhaltszahlungen an seine Familie (Erst 1935 wurde mit der Witwe von Weber ein Vergleich geschlossen). Auch hier wieder die Diskriminierung mit der Feststellung des Gemeinderates „(…) dass keine Hilfsbedürftigkeit vorliege, da Weber aufgrund seiner bisherigen Dienstbezüge als ehrlicher und sparsamer Mann im Besitze eines ansehnlichen Betrages sein müsste (...)“. Durch die Auseinandersetzungen und die schlechten Unterbringungsbedingungen geschwächt, erkrankte Weber und starb nach kurzem Klinikaufenthalt am 28.11.1933. Weber gehört damit auch zu den Opern des Nationalsozialismus. Auf dem alten Mutterstadter Friedhof ist er begraben; sein Grabdenkmal wird erhalten.
Fazit: Jede Gemeinde, jede Zeit, braucht bestimmte Persönlichkeiten an ihrer Spitze, die zukunftsweisende Entscheidungen einleiten, Impulse geben, Aufbruchstimmung verbreiten. Jakob Weber war für Mutterstadt zweifelsohne eine solche Person.
Verwendete Quellen:
Gemeindearchiv, Mutterstadt
Staatsarchiv, Speyer
Archiv der Gedenkstätte für NS-Opfer, Neustadt
Archiv des SPD-Ortsvereins, Mutterstadt
Ortschronik Mutterstadt
Autor:
Volker Schläfer, Dipl.-Verwaltungswirt (FH), langjähriger geschäftsleitender Beamter der Gemeindeverwaltung Mutterstadt, langjähriges Vorstandsmitglied im SPD-Ortsverein Mutterstadt, (u.a. stellvertr. Ortsvereinsvorsitzender), langjähriges SPD-Kreistagsmitglied, aktives Mitglied im Historischen Verein Mutterstadt und Orts-Chronist
Autor:Michael Hemberger aus Mutterstadt |
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