Eine nachweihnachtliche Geschichte
Der Weihnachtshund
Der Weihnachtshund
© Katrin Kirchner, Mutterstadt
Der Dreijährige schaute mit erster Miene zum Nikolaus, der sich zu ihm niederbeugte. Dann guckte er fragend zu seiner Mama, an deren Hand er den Weihnachtsmarkt besuchte. Diese schaute ihn lächelnd an und nickte aufmunternd. Der Kleine hob die Hand und nahm den Schokoladennikolaus entgegen. Die Mutter bedankte sich mit einem herzlichen Lächeln und ging mit ihrem Sohn weiter.
Der Nikolaus trug einen echten weißen Schnurrbart, den angehängten langen Bart aus Polyester und das rot-weiße Weihnachtsmann - Kostüm, das ihm viel zu groß war. Es wurde durch einen Gürtel zusammengehalten.
Der Hund war von mittlerer Größe, ein Mischling, wie es schien, mit struppigem, braun-meliertem Fell. Er saß auf seinen Hinterbeinen und verfolgte mit wachen Augen den Mann im roten Mantel.
„Du schon wieder“ knurrte der und versuchte, dem Hund einen Tritt zu verpassen, was ihm nicht gelang.
Es war früher Nachmittag und auf dem Weihnachtsmarkt war noch wenig Betrieb. Der Nikolaus lehnte sich an einen Stehtisch, nahm einen Flachmann aus der Tasche und trank einen Schluck.
Die kleinen Holzhäuschen hatten gerade erst geöffnet, als der junge Polizist den Stand mit den Reibekuchen ansteuerte und sich drei auf einen Pappteller legen ließ. Er stellte sich neben den Nikolaus und nickte ihm freundlich zu.
„Auch im Dienst“, sagte er und biss in einen der Reibekuchen.
„Klar“, nickte der Weihnachtsmann und ließ den Flachmann in die Tasche seines Mantels gleiten. Er tippte sich mit der Hand an den Kopf, nahm den Jutesack mit den Süßigkeiten, legte ihn sich über die Schulter, nahm die Glocke und lief langsam weiter.
Die Reibekuchenfrau gesellte sich mangels anderer Kunden zu ihrem Gast am Stehtisch.
„Kennen Sie unseren Nikolaus? fragte sie. Der Polizist, der gerade den Mund voll hatte, schüttelte den Kopf.
„Schade um ihn“, sagte die Frau. Der Polizist hatte den Mund jetzt wieder leer.
„Warum sagen Sie das“.
„Gescheiter Kerl, ehemaliger Französischprofessor an der Uni. Dann hat ihn die Frau verlassen, weil er anfing zu saufen. Seine Kinder sind auf der anderen Seite des großen Teichs. Das mit dem Weihnachtsmann macht er schon seit einigen Jahren. Die Schokoladenmänner kauft er aus eigener Tasche. Ansonsten ist er, denke, ich, ziemlich verbittert und einsam. Aber, lassen Sie sich nicht den Appetit verderben.“ Der junge Polizist nickte und biss wieder in seinen Reibekuchen.
Inzwischen war es später Nachmittag. Es wurde dunkler. Die Lichter am großen Tannenbaum begannen zu leuchten. Der Weihnachtsmarkt war jetzt voll und viele Kinder umringten den Nikolaus, der immer noch Schokoladenmänner an sie verteilte. Aus den Lautsprechern ertönten Weihnachtslieder. Überall an den Stehtischen standen fröhliche Menschen. Laute Gespräche und Lachen war zu hören. Die Luft roch nach Reibekuchen, Rostbratwürstchen, Glühwein und gebrannten Mandeln. Irgendwann wurden die Kinder weniger. Der Nikolaus hatte immer wieder mal beim Flachmann Trost gefunden. Als das eine Fläschchen leer war, hatte er sich Nachschub in einem der kleinen Läden besorgt, die sich unter den Kolonnaden befanden, die den Weihnachtsmarkt umgaben. An der Reibekuchen - Theke stand nun eine lange Schlange.
Gegen Abend begann es, zu regnen. Die wenigen Besucher, die noch an den Stehtischen standen, trollten sich davon. Die Budenbetreiber schlossen und verließen ebenfalls den Markt.
Die Frau vom Reibekuchenstand war eine der Letzten, die den Markt verließen. Auf dem Weg zu ihrem Auto sah sie an einer Ecke des letzten Häuschens den kleinen struppigen Hund aufrecht sitzen. Es sah aus, als würde er etwas bewachen.
„Na, mein Kleiner, was machst du noch hier? Du hast wohl kein Zuhause, was?“ Der Hund schaute kurz zu ihr, gab ein kleines spitzes Bellen von sich und schaute dann wieder geradeaus. Die Frau schaute um die Ecke des Häuschens.
„Ach, herrjemine“ sagte sie erschrocken.
Da lag er, der Weihnachtsmann. Der Bart war ihm verrutscht, sein roter Mantel schmutzig und nass, und was von seinem Gesicht zu sehen war, sah wächsern aus. Er rührte sich nicht. Der Hund gab wieder das kurze Bellen von sich und schaute die Frau herausfordernd an.
Der Regen war in Schneeregen übergegangen. Es war kalt und ungemütlich geworden. Die Frau wollte gerade den Notruf auf ihrem Mobiltelefon wählen, als sie die Stimme des jungen Polizisten hörte.
„Sie sind aber dauerhaft und dann bei diesen Wetter“, lachte er von Weitem. Als er mit einem Kollegen näher kam, schaute auch er erschrocken auf den am Boden liegenden Mann.
„Oh, du Fröhliche“ murmelte er. Dann beugte er sich zu dem Mann und schüttelte ihn.
„Hallo, Weihnachtsmann, was ist los. Aufwachen. Hallo!!“ Der Weihnachtsmann bewegte sich und ein Lallen kam aus seinem Mund.
Der junge Polizist holte sein Handy aus der Tasche und bestellte einen Rettungswagen, der kurze Zeit später eintraf.
„Der schon wieder“, sagte die junge Sanitäterin und schüttelte den Kopf. „Es ist ein Trauerspiel mit ihm!“
Ihr Kollege holte die Trage aus dem Wagen und dann legten sie den regungslosen Körper darauf und schoben ihn in den Rettungswagen.
Der kleine Hund sprang in einem unbeobachteten Moment auch hinein und versteckte sich unter der Trage.
Der nächste Morgen war klar und kalt. Die Schiebetür des Krankenhauses ging leise auf und der Nikolaus trat ins Freie, schaute sich um und kratzte sich am Kopf.
Dann überquerte er die Straße. Dort stand eine Bank. Er ließ sich darauf fallen, beugte sich nach vorne und legte den Kopf in beide Hände. Dann hörte er ein kurzes helles Bellen. Er schaute auf.
„Wie kommst du denn hier her? Du hast wohl auch niemanden, mit dem du an Heilig Abend zusammen sein kannst?“ Der Hund schaute ihn aufmerksam an.
Der Mann erhob sich und schlurfte langsam weg von der Bank. Der Hund folgte ihm. An seinem Wohnhaus angekommen öffnete der Mann langsam und umständlich die Haustür und ging hinein. Die Tür fiel mit einem lauten Knall ins Schloss. Der Hund war vor dem Haus geblieben. Der Mann ging den Flur entlang, öffnete einen der Briefkästen, die in Reih und Glied dort hingen, nur , um festzustellen, dass er leer war. Seufzend schloss er ihn wieder und wollte gerade weiter zur Treppe gehen, als er ein Kratzen und ein kurzes helles Bellen an der Eingangstür hörte.
Er ging zurück. Öffnete die Tür. Der Hund lief auf die Treppe zu und ging nach oben. Auf dem ersten Podest blieb er stehen und bellte kurz. Es klang jetzt aufmunternd.
Der Mann ging an ihm vorbei. In der Wohnung angekommen setzte er sich an den Küchentisch. Der Hund saß auf seinen Hinterpfoten und schaute zu ihm hoch. Dann legte er eine Vorderpfote auf ein Knie des Mannes.
Der Weihnachtsmann beugte sich zu ihm runter und streichelte ihn unbeholfen.
“Ich werde dich Balzac nennen!“ sagte er und lächelte.
Autor:Katrin Kirchner aus Mutterstadt |
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