Gerhard Herrmann steuert Tafel durch Corona-Krise
Als Rentner einen neuen Lebenssinn gefunden
von andrea katharina kling-kimmle
Pirmasens. Waren seine Tage als Rentner nicht „ausgefüllt“, nimmt seine ehrenamtliche Tätigkeit bei der Tafel großen Raum ein. „Da kommen pro Monat zwischen 60 und 70 Stunden zusammen“, sagt Gerhard Herrmann im Gespräch mit dem Wochenblatt. Doch die Arbeit, die segensreich für viele Hartz 4-Empfänger in der Horebstadt ist, mache ihm große Freude, erfordere aber auch einen erheblichen Arbeitsaufwand angesichts der Corona-Krise.
Gerhard Herrmann (71) ist gebürtiger Pirmasenser, der aus beruflichen Gründen bis 2013 in Mainz gewohnt hat. Doch der Heimat blieb er stets verbunden, kümmerte er sich doch um seine Mutter. Als ihm die „Fahrerei“ zu viel wurde, kehrte der 71-jährige nach dem Tod seiner Frau zurück. Seit sieben Jahren wohnt er in Petersberg. Herrmann, der im EDV-Bereich der Deutschen Bahn tätig war, ist seit 2002 Rentner. Nach seinem Umzug las er einen Artikel über die Pirmasenser Tafel und beschloss, sich in diesem Verein zu engagieren. „Denn meine Tage waren nicht ausgefüllt“. Bei seinem Besuch im „Tafel-Laden“ in der Werner-Egk-Straße lernte er die Mitstreiter kennen: „Das Team hat mir sehr gut gefallen, ich habe mich gleich wohlgefühlt und bin sofort geblieben“. Nach dem jahrelangen Konkurrenzkampf im Beruf, sei dies eine völlig neue Erfahrung für ihn gewesen, sagt der 71-jährige.
In der Folgezeit leistete er seinen Beitrag als Fahrer oder Beifahrer der Kühlfahrzeuge um gespendete Lebensmittel bei den Unternehmen einzusammeln und zur Ausgabestelle im Untergeschoss des ökumenischen Kindergartens auf dem Kirchberg zu bringen. Drei Jahre lang war er dann im Vorstand zuständig für den EDV-Bereich und ist seit anderthalb Jahren ist Vorsitzender des Tafel-Vereins. Eine enorme Umstellung, denn die Bürokratie verschlinge einen Großteil der Zeit. Rund 70 Stunden pro Monat arbeitet der 71-jährige in seiner Position. Dabei lässt er es sich aber nicht nehmen bei der Ausgabe dienstags und donnerstags jeweils von 14.30 bis 16 Uhr aktiv dabei zu sein. Außerdem ist er Ansprechpartner der rund 85 Helfer bei jeder Art von Problemen.
Bedingt durch die Corona-Krise war das Organisationstalent des Vorsitzenden gefragt. Im Rahmen des allgemeinen Lockdowns stellte auch die Tafel am 13. März ihre Tätigkeit ein. Doch die Verantwortung für die Versorgung der rund 1.300 „Kunden“ ließ ihm keine Ruhe. Weil aber die Mehrzahl seiner Mitstreiter – 88 Prozent sind älter als 60 Jahre – zur Risikogruppe zählen, musste eine andere Lösung gefunden werden. Nach Gespräch mit der Stadtspitze wurden unter der Leitung von Florian Bilic von der Jungen Union und Hanna Neu vom „Mittendrin“ junge Leute ab Anfang April in die Arbeit der Tafel eingebunden. Um aus hygienischen Gründen eine Lebensmittelabgabe zu ermöglichen, wurden die eingesammelten Produkte in Tüten verpackt und zwei Mal pro Woche an drei Standorten in der Stadt an die Bedürftigen verteilt. Weil die Spenden nicht ausreichten, kaufte Herrmann benötigte Waren hinzu. Finanziert wurden diese Ausgaben von einer Zuwendung in Höhe von 24.000 Euro von der „Aktion Mensch“. Der Vorsitzende lobt aber auch die Hilfsbereitschaft der Pirmasenser, die sehr groß sei. „Das ist nicht generell so, es gibt viele Tafeln, die über mangelnde Spendenfreudigkeit klagen“, berichtet Gerhard Herrmann.
Ab Mitte Mai hat der Verein die Verteilung wieder in Eigenregie übernommen. „Aber die Tütenlösung haben wir beibehalten, denn ein normales Einkaufen im Laden ist aus Platzgründen nicht möglich“. Deshalb hatte man einige Partyzelte aufgestellt, wo die Kunden je nach Größe der Familie eine bis drei Tüten in Empfang nehmen konnten. Die Backwaren wurden direkt an den Transportwagen „verkauft“.
Weil sich der Sommer langsam aber sicher verabschiedet und es wieder kälter wird, hat sich das Team eine neue Konzeption überlegt. Die Abgabe findet wieder in der Räumlichkeiten des Vereins statt. Allerdings sind Ein- und Ausgang separat ausgewiesen und die Menschen dürfen nur unter Abstandshaltung in begrenzter Zahl eintreten. An einem Tisch erhalten sie, nach Vorlage ihrer Zugangsberechtigung kostenlos die verpackten Lebensmittel. Das Sortiment reicht von Molkereiprodukte über Backwaren, Konserven bis zu Obst und Gemüse. Stolz erzählt Herrmann: „Dienstags haben wir auch frische Wurst, 400 Gramm-weise extra für uns verpackt“. Pro Ausgabetag verteilt das Team zwischen vier und sechs Tonnen Lebensmittel. Woche für Woche kommen rund 1.300 bedürftige Menschen, um sich hier einzudecken. 80 Prozent davon sind Hartz 4-Empfänger, der Rest Asylbewerber und Personen, die von Sozialhilfe leben. Um einen reibungslosen Ablauf zu gewährleisten, vom Einsammeln über das Einräumen und Verpacken sind pro Tag 15 Helfer im Einsatz.
Für das kommende Jahr rechnet der Vorsitzende mit einer Steigerung der Kundenzahl, da in Zuge der Corona-Krise viele ihren Job verloren haben und auf Unterstützung angewiesen sind. Ein weiterer Faktor ist in 2021 das Ende der Zuzugssperre für Asylsuchende. Mit Schaudern denkt Herrmann an 2015 zurück, als die vielen Flüchtlinge gekommen waren und die Tafel ihren Betrieb einstellen musste. Er hoffe allerdings, dass seine Angst unbegründet bleibe und die Sperre verlängert werde. ak
Autor:Andrea Kling aus Pirmasens |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.