Podiumsdiskussion statt Preisverleihung
Antisemitismus und Hugo Ball
Pirmasens. Mit Hugo Ball neue Wege gehen. Wie die Vorschlagskommission für die Preisverteilung mitteilt, wird die Ehrung in diesem Jahr ausgesetzt „ zugunsten einer aktualisierten kritischen Auseinandersetzung mit Hugo Balls Werk und Umfeld sowie einer Debatte darüber, welche Schlüsse sich für unsere von antisemitischen und rassistischen Vorurteilen und Vorfällen gezeichneten Gegenwart ziehen lassen“. Die Podiumsdiskussion findet am 23. Januar, 19 Uhr, in der Festhalle statt.
Seit 1990 verleiht die Stadt Pirmasens alle drei Jahre den Hugo-Ball-Preis. Mit dem Kulturpreis würdigt die Stadt das Wirken des in Pirmasens geborenen Künstlers, Schriftstellers und Kriegsgegners Hugo Ball (1886-1927). Er hatte - unter anderem 1916 im Züricher „Cabaret Voltaire“ - mit Dada eine der einflussreichsten Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts mitbegründet.
Den Hauptpreis des Jahres 2023 sprachen die Jury und die Stadt Pirmasens im Dezember mit Hito Steyerl einer der international bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart zu, den Förderpreis der Schriftstellerin, Dramaturgin, Musikerin und Performerin Olivia Wenzel. Das Wochenblatt berichtet in seiner Ausgabe vom 30. Dezember 2022.
Nun hat die Stadt Pirmasens auf Anregung von Hito Steyerl gemeinsam mit den beiden Preisträgerinnen und der Vorschlagskommission entschieden, die Verleihung des Hugo-Ball-Preises in diesem Jahr auszusetzen zugunsten einer offenen Debatte über antisemitische Klischees in der Zeit Hugo Balls und der Gegenwart. Der Vorschlagskommission gehören der Literaturkritiker Dr. Helmut Böttiger, Salome Hohl vom Cabaret Voltaire in Zürich und die Kunsthistorikerin und Redakteurin der Süddeutschen Zeitung, Dr. Kia Vahland an.
Im frühen 20. Jahrhundert war antisemitisches Gedankengut weit verbreitet, auch viele Künstler teilten solche Ressentiments. Entsprechende Textpassagen finden sich insbesondere auch bei Hugo Ball, explizit etwa in seiner 1919 erschienenen Schrift „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“. Damit haben sich die Fachwissenschaft und vor allem auch die Hugo-Ball-Gesellschaft bereits ausführlich und wiederholt beschäftigt. Sie sind jedoch in der breiten öffentlichen Wahrnehmung nicht präsent.
Unter dem Eindruck antisemitischer sowie rassistischer Vorurteile und Vorfälle in der Gegenwart halten Stadtvorstand, die Vorschlagskommission und die beiden Künstlerinnen eine erweiterte Auseinandersetzung mit Antisemitismus und anderen Formen der Diskriminierung für vordringlich und geboten. Denn alle Beteiligten möchten mit der Verleihung des Preises künftig auch ein starkes Zeichen gegen Antisemitismus und Rassismus verbinden.
Auftakt der Debatte ist eine öffentliche und zudem auf „Youtube“ unter www.youtube.com/@pirmasenslive1 zugängliche Veranstaltung am 23. Januar, 19 Uhr, in der Festhalle. Im Rahmen einer moderierten Podiumsdiskussion beschäftigen sich t ausgewiesene Fachleute verschiedener Disziplinen mit dem Thema „zeitgenössischer Antisemitismus im Werk von Hugo Ball und dessen Gegenwartsbezüge“.
Ein weiterer Termin zu Hugo Balls intellektuellem Umfeld ist im Laufe des Jahres im Cabaret Voltaire in Zürich geplant. Direktorin Salome Hohl setzt es sich zum Ziel, Ambivalenzen der für die Kultur der Moderne so prägenden Dada-Bewegung weiter auszuleuchten, auch hinsichtlich ihrer antisemitischen, kolonialistischen und rassistischen Spuren.
Bis zum Ende dieses Prozesses soll die Verleihung des Hugo-Ball-Preises ausgesetzt werden, um die wichtige Debatte nicht unter Zeitdruck führen zu müssen. Die für 5. März vorgesehene Veranstaltung wurde abgesagt.
„Ich bin Hito Steyerl sehr dankbar dafür, dass sie mit ihrer Nominierung eine wichtige Debatte zum Thema Antisemitismus angestoßen hat“, erklärt Oberbürgermeister Markus Zwick. „Denn Pirmasens und der Hugo-Ball-Preis beziehen klar Position gegen Antisemitismus, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung!“ Hito Steyerl meint, dass diese Reaktion Modellcharakter für den Umgang Deutschlands mit dem antisemitischem und rassistischem kulturellen Erbe habe und so ein zukunftsweisendes Beispiel darstelle. Olivia Wenzel hofft, „dass hier im Idealfall ein konstruktiver wie kritischer Prozess angestoßen wird; ich hoffe, er gelingt.“ ak/ps
Info:
www.pirmasens.de/hugoballpreis
Autor:Andrea Kling aus Pirmasens |
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