Hugo-Ball-Preis 2023
Gefahr für die Demokratie? Umgang mit Vorurteilen in der Kunst
Pirmasens. Unter dem Motto „Gefahr für die Demokratie? Umgang mit Stereotypen/Vorurteilen in der Kunst“ fand am 19. Juli im Hambacher Schloss mit Unterstützung des Bezirksverbands Pfalz e. V. eine Veranstaltung der Stadt Pirmasens zum Diskurs im Kontext der Verleihung des Hugo-Ball-Preises 2023 statt. Dabei handelte es sich um den zweiten von insgesamt drei Bausteinen einer offenen Debatte über antisemitische Klischees in der Zeit Hugo Balls und unserer Gegenwart. Angeregt hatte diese Debatte die in diesem Jahr ausgewählte Hugo-Ball-Preisträgerin Hito Steyerl, die zu den international bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart zählt.
Zu Beginn der von rund 100 Gästen besuchten Veranstaltung im Festsaal des Hambacher Schlosses – einem Ort, der als Wiege der Demokratie gilt – stellten Schülerinnen und Schüler der drei Gymnasien in Hugo Balls Geburtstagsstadt Pirmasens (Immanuel-Kant-, Leibniz- und Hugo-Ball-Gymnasium) drei verschiedene Themengebiete vor. Diese hatten sie mit Unterstützung von Experten im Rahmen des Unterrichts ausgearbeitet und dafür unter anderem eigene Podcasts und Videoclips entwickelt. Der Sänger und Rapper David Massarik alias David Asphalt widmete sich dem Antisemitismus in der Populärkultur, zur Künstlichen Intelligenz als Wahrheitsmaschine referierte danach der Medienkünstler Volker Schütz. Am Beispiel der Wandmalereien von Hermann Croissant im 1934 eröffneten Pirmasenser Stadtbad gab der Künstler und Pädagoge Matthias Strugalla Einblicke in die Auseinandersetzungen künstlerischer Strömungen zu Beginn der 1970er Jahre. Im Anschluss moderierte der ZDF-Logo-Reporter Sherif Rizkallah eine Diskussionsrunde, ehe sich im Abschlusstalk der Pirmasenser Oberbürgermeister Markus Zwick mit der live aus Berlin zugeschalteten Hito Steyerl austauschte.
Am 23. Januar hatte bereits eine mit ausgewiesenen Fachleuten verschiedener Disziplinen besetzte Podiumsdiskussion in der Pirmasenser Festhalle den zeitgenössischen Antisemitismus im Werk von Hugo Ball und dessen Gegenwartsbezüge thematisiert. Gesprächsteilnehmer waren Prof. Dr. Magnus Brechtken (Institut für Zeitgeschichte München), Prof. Dr. Johannes Heil (Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg, war jahrelanger Rektor der staatlich anerkannten Hochschule); Prof. Dr. Helmuth Kiesel (Universität Heidelberg), Prof. Dr. Meron Mendel (Bildungsstätte Anne Frank Frankfurt/Main), Dr. Susanne Urban (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Hessen) sowie Dr. Bernd Wacker (Vorsitzender der Hugo-Ball-Gesellschaft). Moderiert wurde das Podiumsgespräch vor gut 200 Gästen von Angela Gutzeit, freie Redakteurin und Moderatorin beim Deutschlandfunk.
Dritter und letzter Baustein der Aufarbeitung wird im Herbst im „Cabaret Voltaire“ in Zürich die Veranstaltung „Ambivalenzen in der Kunst“ zu Hugo Balls intellektuellem Umfeld sein. Salome Hohl, die Direktorin des „Cabaret Voltaire“, setzt es sich zum Ziel, Ambivalenzen der für die Kultur der Moderne so prägenden Dada-Bewegung weiter auszuleuchten, auch hinsichtlich ihrer antisemitischen, kolonialistischen und rassistischen Spuren.
Der Veranstaltungsreihe vorausgegangen war der von der Stadt Pirmasens, der vorgesehenen Förderpreisträgerin Oliva Wenzel und der Vorschlagskommission mitgetragene Wunsch der Künstlerin Hito Steyerl, den ihr für dieses Jahr zugedachten Hugo-Ball-Preis auszusetzen. Stattdessen sollte zunächst eine offene Debatte über antisemitische Passagen im Werk Balls angestoßen werden. Antisemitisches Gedankengut war im frühen 20. Jahrhundert weit verbreitet, auch viele Künstlerinnen und Künstler beförderten solche Ressentiments. Entsprechende Textpassagen finden sich auch bei Hugo Ball, explizit etwa in seiner 1919 erschienenen Schrift „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“. Damit haben sich die Fachwissenschaft und vor allem auch die Hugo-Ball-Gesellschaft bereits ausführlich und wiederholt beschäftigt, etwa von Bernd Wacker in einem Aufsatz von 1996, von Hans Dieter Zimmermann im ausführlich kommentierten Band der „Kritik“ innerhalb der Werkausgabe (2005) sowie zuletzt von Wiebke Marie Stock (2012) und Eckhard Fürlus (2014) in ihren Monografien zu Ball. Dies ist jedoch in der breiten öffentlichen Wahrnehmung nicht präsent. Die jetzt neu begonnene Diskussion soll zu mehr öffentlicher Beachtung dieses Aspektes in Balls Werk und zu einer veränderten Einschätzung führen.
Hintergrund
Mit dem Hugo-Ball-Preis wird das Gesamtwerk des in Pirmasens geborenen Schriftstellers Hugo Ball gewürdigt, der unter anderem 1916 im Züricher „Cabaret Voltaire“ mit Dada eine der wichtigsten Kunstrichtungen des 20. Jahrhunderts begründet hat. Zu den früheren Trägern der Auszeichnung, die seit 1990 verliehen wird, gehören Oskar Pastior, Cees Nooteboom, Robert Menasse, Klaus Wagenbach, Patrick Roth, Feridun Zaimoglu, Max Goldt, Andreas Maier, Thomas Hürlimann, Ann Cotten und zuletzt Bov Bjerg.red
Autor:Frank Schäfer aus Wochenblatt Pirmasens |
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