Die "Lese-Reise" geht weiter
Ein sehnsüchtiger Rückblick auf Rio
Anfang November 2020, die Herbstsonne strahlt, doch ist es recht kühl heute Morgen in den Rheinauen. Das war vor drei Jahren ganz anders - zumindest für mich. In meinem Büro hängt ein großformatiges Foto von Rio de Janeiro und wenn ich da so drauf schaue, kommt mir sofort ein besonderer Tag in Erinnerung …
Treppenkunst
Lisa, die ausgewanderte Deutsche wartet bereits auf uns. An diesem Novembersamstag dürfte sich die Stadt und die Sehenswürdigkeiten schnell mit Menschen füllen, so ihre Vermutung. Also machen wir uns eiligen Schrittes auf ins Viertel Santa Teresa zur bekanntesten Treppe der Stadt. Sie heißt „Escadaria Selaron“. Der Künstler Selaron hat in mühevoller, jahrelanger Kleinstarbeit eine komplette Treppenanlage mit allerlei Fliesen belegt. Die Kacheln kommen aus der ganzen Welt, man hat sie ihm zugeschickt oder, wie im Falle der "Landesfliese" von Baden-Württemberg tatsächlich vorbeigebracht. So getan von Herrn Kretschmann, Ministerpräsident aus dem Schwabenländle.
Christo Redentor
Das Wahrzeichen Rios schlechthin ist aber die Christus-Statue auf dem Hügel Corcovado. Was hat man nicht schon alles über diese Sehenswürdigkeit gelesen oder auch in Bild und Film gesehen. Nichts von dem kann jedoch erfassen, was für eine Ausstrahlung dieses Monument wirklich besitzt. Höchst bemerkenswert thront der riesige Beton-Jesus, welcher mit abertausenden Mosaiksteinen aus Speckstein verkleidet ist, auf einem Granitsockel und überstrahlt die Besucher und die Stadt. Es braucht hier oben keine religiöse Grundeinstellung, um in echte Bewunderung zu verfallen. Ein beachtliches Bauwerk, ein echtes Meisterwerk.
Die Statue müsste jedem Besucher Gänsehautschauer über den Rücken jagen. Denjenigen, die sich die Zeit nehmen sich auch für eine paar Momente dem Bauwerk in Ruhe zu widmen, wird das auch gelingen. Doch die Mehrzahl der ankommenden Personen verfallen in eine Art „Fotorausch“, einer gewissen Zwanghaftigkeit, sich, seinen Partner und den Jesus in jeder möglichen (und unmöglichen) Stellung abzulichten. Die Magie des Augenblicks wird wahrscheinlich den meisten dieser Menschen verwehrt bleiben. Wenn er könnte, da bin ich mir sicher, würde der totfotografierte Christus wohl die Hände beschämt vor die Augen legen. Aber mach das mal, wenn du aus Beton bist.
Einmaliger Ausblick
Nahezu ebenso bemerkenswert wie die Statue an sich ist auch der Weitblick über die Stadt, über die ganze grünbewachsene Landschaft mit Ihren runden Hügeln, schroffen Felsen, dem Zuckerhut und natürlich den weltbekannten Stränden, Copacabana und Ipanema. Man darf festhalten, dass diese Ausblicke tatsächlich einmalig auf der Welt und daher zurecht so berühmt sind und so gerühmt werden.
Copacabana mit Caipi
Doch ein schöner Ausblick ersetzt natürlich den direkten Kontakt nicht. Die Copacabana muss man hautnah erlebt haben! Hier, wo sich kilometerlange Sandstrandabschnitte zwischen Hochhäusern und Meer ziehen. Hier, wo angeblich atemberaubende Schönheiten in extrem wenig Stoff zu sehen sein sollen. Ok, natürlich sind die Menschen hier alle recht dürftig bekleidet, aber mal im Ernst, wir gehen ja im Hochsommer im Schwimmbad auch nicht mit Krawatte und Anzug ins Wasser. Und echte Strandschönheiten habe ich auch keine gesehen … mich einmal ausgenommen ;-).
Tatsächlich überzeugen kann die hiesige Caipirinha. Eine bessere Caipi habe ich noch nirgendwo anders gekostet. Reife Limetten und ein gut destillierter Cachaça mit etwas weißem Rohrzucker verfeinert - was für ein Genuss! Entspannt reckt man seine Füße in den warmen feinen Sand und hofft, dieser Moment würde niemals vergehen.
Samba in den Straßen
November in Rio, das heißt Frühling in der Stadt des Karnevals und laue 39°C um 16:30 Uhr am Nachmittag. Doch was dem Tourist schon fast zu heiß ist, reicht für die Einheimischen gerade einmal um auf "Betriebstemperatur" zu kommen. In den Gassen der Altstadt spielen die ersten Samba-Combos und unvermittelt beginnen die Leute auf der Straße ein unbeschwertes Tänzchen. Ja, es stimmt, die Brasilianer haben Rhythmus im Blut. Da kann ich steifhüftiger Pfälzer nur anerkennend (und etwas neidisch) zuschauen. Wobei, ein wenig hat meine Leberwurst-Wampe ja mitgewippt, immerhin!
Ein wehmütiger Abschied
Am späten Abend verlassen wir mit dem Schiff Rio de Janeiro in Richtung Uruguay. Die Skyline strahlt ihre hellen Lichter zu uns an Bord, der Zuckerhut verschwindet langsam im Dunkel der Nacht und auf dem Corcovado steht der hell angestrahlte Jesus noch immer auf seinem Sockel, stoisch über die Stadt blickend, seine riesigen Arme sanft und fast segnend über die Bewohner Rios ausbreitend.
Boa noite Christo, boa noite Rio - hoffentlich sehen wir uns bald wieder ...
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