Traumatische Erinnerung von Emil Erbe:
Als Achtjähriger von Soldaten festgenommen
Waghäusel. Über ein traumatisches Erlebnis hat der Wiesentaler Emil Erbe bis heute geschwiegen. Jetzt mit 87 Jahren offenbart er zum erstmals seine Todesangst kurz nach Kriegsende 1945. „Meiner Mutter konnte und durfte ich es damals nicht erzählen, sie wäre ausgeflippt.“ Also behielt er das Vorkommnis für sich. 79 Jahre später ist er bereit, das lange gehütete persönliche Geheimnis preiszugeben.
Als gerade Achtjähriger kam der Schuljunge in Verdacht, ein Widerstandskämpfer zu sein, der einen hinterhältigen Anschlag verüben wollte. Marokkanische Soldaten ergriffen ihn, zogen ihn auf ihren Jeep, versuchten, ihn zu verhören, brausten mit ihm weg und schuppsten ihn dann unsanft aus dem Wagen.
Den Knaben überkam Todesangst. „Im Jeep saßen drei Rabenschwarze. Ich hatte noch nie so dunkle Gesichter gesehen: grimmig, ja hasserfüllt. So als hätten sie den schlimmsten Nazi dingfest gemacht.“ Die Fremden sprachen auch nicht das gewohnte Wissädälerisch, sondern ein Kauderwelsch, das er nicht verstand. „Verärgert schrien mich an und ich wusste nicht, was die drei meinten und wollten.“
Wo kamen diese her? Am 1. April 1945 besetzten französische Truppen die Gemeinde. Der damalige Landkreis Bruchsal stand zunächst unter der Befehlsgewalt der Franzosen, am 8. Juli übernahmen die Amerikaner das Gebiet. Mit den Streitkräften aus dem Nachbarland kamen auch nordafrikanische Hilfstruppen, die Angst verbreiteten, plünderten und vergewaltigten. Emil Erbe erinnert sich noch gut an die ratternden Panzer, die durch die Hauptstraße fuhren, und an die weiteren bedrohlich wirkenden Militärfahrzeuge. Mit ihrem Radau erregten sie überall Furcht.
Kurz nach der Einnahme Wiesentals durfte der kleine Emil erfahren, was „Feindberührung“ bedeutet. An einem Maitag besuchte er seine Tante in der Karlsruher Straße, von der er einen Apfel in die Hand gedrückt bekam. „Bis ich das Haus verlassen und die Straße bis zur damaligen Bäckerei Heiler überquert hatte, war der Apfel ziemlich verspeist. In der Hand hielt ich den Apfelbutzen. Doch wohin mit ihm? Ich warf den Apfelrest über die Schulter im hohen Bogen nach hinten.“
Pech gehabt. In diesem Moment fuhr ein mit Soldaten besetzter Jeep auf der Straße vorbei. Sogleich war ein Mordsgeschrei in dem Wagen zu vernehmen. „Ich schielte vorsichtig nach hinten und sah das Malheur. Mein Apfelbutzen war mitten im Jeep gelandet.“ Erschrocken reagierten die Soldaten: Ein Geschoss? Ein Akt des Widerstandes? Ein Anschlag eines Partisanenkinds.
Als dem Butzenwerfer klar wurde, was er da angerichtet hatte, beschleunigte er seine Schritte und bog in einen Feldweg ein, heute der Untere Hagweg, und versuchte, sich hinter dem einzigen Haus zu verstecken. Dort wohnte der Bauunternehmer Johann Wagenhan. Doch das machte den Übeltäter noch verdächtiger. Als es hinter ihm ziemlich laut zuging, wusste er sogleich: Ich werde verfolgt wie ein Verbrecher.
Die Soldaten sprangen zu dritt aus dem Jeep, ergriffen den Flüchtling und zerrten ihn ziemlich grob ins offene Fahrzeug. “Ich stand kurz davor, mir aus Angst in die Hosen zu machen. Alle drei hatten Helme auf, trugen Kampfmontur. Das Schlimmste waren ihre pechschwarzen Gesichter mit hervorstechenden weißen Augen. Ich brachte kein Wort heraus.“
Erst redeten die Marokkaner miteinander, fuchtelten mit den Armen herum. Im Jeep lagen Angst einflößende Waffen. „Sie redeten auf mich ein, einer schrie mich an. Doch ich kannte ihre Sprache nicht, verstand kein Wort. Da ich nicht antwortete, wurden sie immer zorniger. Dann streckte mir einer den Apfelbutzen entgegen und machte Wurfbewegungen.“
Der kleine Emil rechnete mit dem Schlimmsten, erwartete sein nahendes Ende. „Oh Gott, die erschießen mich“, dachte er bibbernd. Auf einmal brausten sie davon, er mit dabei, eingezwängt von den Soldaten, in Richtung Neudorf. Beim „Kapelli“ hielten sie an, debattierten noch, dann schubsten sie den Achtjährigen aus dem Wagen. So landete er wie weggeworfen in einem Acker.
„Ich zitterte am ganzen Leib. Gott sei Dank, ich bin mit dem Leben davongekommen. Die Muttergottes in der nahen Marienkapelle hat mich gerettet“, frohlockte er. Das war 1945. 79 Jahre später hat er aus Dankbarkeit an seine damals glückliche Errettung eine Geldspende an die Initiative „Rettet ‘s Kapelli“ - für die Sanierung des undichten Dachs - gemacht.
Autor:Werner Schmidhuber aus Waghäusel |
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