Beargwöhnter Stromnetzanschluss:
Als Wiesental und Kirrlach ein Licht aufging
Waghäusel. „Und das elektrische Licht leuchte ihnen“ - Das dürfte sich die Schar der etwa 30 Monteure gesagt haben, die im Januar 1920 zunächst in Wiesental anrückte und – nach den Vorarbeiten – 1921 für Helligkeit sorgte. Doch bis die ersten Schalter angeknipst werden konnten, mussten einige Probleme aus dem Weg geräumt werden. Mit Argwohn verfolgten die Dorfbewohner, insbesondere die älteren, die Neuerung. Besorgniserregende Gerüchte über gesundheitsschädliche Nachteile machten die Runde, erzählte in den 70er Jahren Zeitzeugin Elisabeth Hußmann, geborene Heißler.
Die Wiesentaler fühlten sich nicht genügend über das Vorhaben informiert, sahen eine Entscheidung der Obrigkeit über ihre Köpfe hinweg. Einige Alteingesessene wollten auf die gute alte Kerze oder die gewohnte Petroleumlampe partout nicht verzichten. In den Häusern waren vor allem schlichte Beleuchtungsmittel in Gebrauch. Zur Lichterzeugung verwendeten die Familien Talglampen. Die niedrigen Beschaffungskosten für das Brennmaterial waren wohl ausschlaggebend.
Auch in zwischenmenschlicher Hinsicht führte die Stromversorgung zu einigen Spannungen. Die jungen Burschen, die das elektrische Licht brachten, galten im Dorf als Rivalen. Manches Mädchen fand Gefallen an den auswärtigen Lichtgestalten. So wehrten sich Elisabeth Heißlers Eltern vehement gegen eine drohende Liaison mit einem fremden Elektriker und bestanden auf eine „solide Verbindung“ mit einem einheimischen Witwer.
Das Anknipsen des Lichtschalters löste das Anzünden der Kerzen und Petroleumfunzeln ab. „Aus der Nacht wurde plötzlich Tag“, berichtete die 1902 geborene Elisabeth Heißler, als sie ihre Erinnerungen wiedergab. „Wir konnten es gar nicht fassen.“ Mit der Einführung der Elektrizität wurden die Dächer mit Stromständern „dekoriert“. Eine optische Aufwertung war es nicht, so die Meinung der Wiesentaler.
Auch für die Landwirtschaft brachte der Strom viele Erleichterungen: für die Ställe, Maschinen und Geräte. Aus dem Ortsbild verschwanden jetzt die alten Straßenlaternen. Nun brauchte der Polizeidiener nicht mehr allabendlich durch die Gassen ziehen, um neues Petroleum in die Lampen zu gießen und diese anzuzünden.
Bei der Stromversorgung hatte Wiesental die Nase vorn - vor Kirrlach (1921) und Philippsburg (1923). Erste Pläne gab es zwar schon 1899, aber erst während des Ersten Weltkriegs konkretisierte sich das revolutionäre Vorhaben. 1920/21 brach in Wiesental ein neues Zeitalter an. Im 4.000-Seelen-Dorf gingen die Lichter auf.
1921 übernahm die neugegründete Badische Landeselektrizitätsversorgung AG (Badenwerk) die Wiesentaler Stromversorgung. Nach den Aufzeichnungen des Großvaters von Erhard Schmitteckert, Franz Müller, leuchtete das elektrische Licht in Kirrlach zum ersten Mal am 13. September 1921: ein Dienstag.
Die selbstständige Gemeinde Kirrlach schloss sich dem „Wieslocher Gemeindeverband für Licht- und Kraftversorgung“ an. Fast jedes Haus bekam nun einen elektrischen Anschluss. Die Zuleitungen wurden zunächst in die Räume verlegt, in denen sich das häusliche Leben abspielte, vorwiegend in die Küche.
Kirrlach feierte das Ereignis mit einem „Lichterfest“ im Gasthaus Rose. Dem Fortschritt zum Trotz hatten die Kosten der Elektrifizierung die Gemeinde in eine schwierige Lage gebracht. Zur Finanzierung der Maßnahme musste Kirrlach beim ländlichen Creditverein 200.000 Mark aufnehmen. Insgesamt 400.000 Mark mussten für die Erstellung des Ortsnetzes berappt werden.
Etwa die Hälfte dieser Ausgaben wurde auf die einzelnen Haushalte umgelegt. In der Folgezeit stiegen überall die Kosten erheblich. So kletterte der Strompreis in kürzester Zeit von 60 Pfennig pro Kilowattstunde auf 1,50 Mark.
Autor:Werner Schmidhuber aus Waghäusel |
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