Tiefengeothermie – Information oder Propaganda? Ein Betroffener berichtet:
Waghäusel wehrt sich und mobilisiert
Die Geduld der Waghäuseler und insbesondere der Wiesentaler geht zu Ende. Jetzt wehren sich große Teile der Bürgerschaft gegen das wohl mit Brachialgewalt geplante Tiefengeothermieprojekt auf Waghäuseler/Wiesentaler Gemarkung und die beabsichtigte Bereitstellung eines städtischen Grundstücks nahe an der Wohnbebauung zu Bohrzwecken. Immer mehr wehren sich nicht nur mit Unterschriften, sondern auch mit Transparenten, die an verschiedenen Stellen aufgehängt sind.
„Ist mit uns alles zu machen?“,
so lautet eine Frage, die immer mehr in Umlauf kommt. Unverständlich, dass die vermuteten Geldeinnahmen eine zentrale Rolle spielen – nicht die Bedenken, Sorgen und Ängste der Einwohnerschaft.
Wenn es den Mammon, das ersehnte Geld gibt für den Grundstücksverkauf, was passiert mit den Einnahmen? Werden die Rekordschulden abgetragen? Oder wird der Erlös, was viele erwarten, für irgendetwas Unnötiges ausgegeben?
Werden die Befürchtungen – nicht von irgendwelchen Spinnern, sondern von vielen, vielen Bürgerinnen und Bürger – einfach beiseitegeschoben? Ist das alles egal: die extreme Nähe zur Wohnbebauung und zur Bahntrasse, die Grundwassergefahr, der dauerhafte Bohrlärm, der Lärm der späteren Anlage, die Gefahr von Erdbeben, wenn so tief wie noch nie in Waghäusel gebohrt wird?
Zu dem problematischen Sachverhalt hat die IG Tiefengeothermie einen Kenner befragt, Professor Dr. Antonius Sommer, aus dem ebenfalls von der Tiefengeothermie betroffenen und geschädigten Brühl. Er gibt folgende Auskunft:
Im Oberrheingraben scheint ein Fieber zu grassieren, das an einstmalige Goldgräberei erinnert, die Gier scheint grenzenlos und blind und taub zu machen für die Realität, die ganz anders aussieht. Das zeigen zahlreiche gescheiterte Projekte wie das zuletzt in Straßburg.
Die zuständigen Regierungen sind daran nicht ganz unschuldig, denn sie lassen munter die ‚Schürfrechte‘ (pardon: Bohrrechte) dazu verkaufen – buchstäblich unter unseren Häusern (bzw. Hintern) – in dicht besiedeltem und seismisch ohnehin äußerst störanfälligem Gebiet, mit einer völlig unausgereiften Technologie, und mit aberwitzigen Versprechungen der häufig völlig unerfahrenen Betreiber, was die Sicherheit und die angeblichen Sicherungsmaßnahmen (‚Monitoring‘) anbelangt. Die Gesellschaften und Firmen, die sich um die Rechte reißen, schießen wie Pilze aus dem Boden. Man staunt, wer da auf einmal als „Experte“ mit angeblicher Erfahrung auftritt.
Propaganda und Propaganda
Da gibt es viel heiße Luft und Propaganda, wo „Information“ versprochen wird; die Namen, die Bezeichnungen ändern sich je nach Region, aber überall geht es nach dem gleichen Muster: eher Irreführung statt Information, Wunschträume statt Tatsachen.
Schon die Presseankündigungen (z.B. SZ/4.5.2021) strotzen von irreführenden Behauptungen, die sich durch keinerlei Fakten belegen lassen (u.a. auch, die Firmen „verfügten über eine breite Erfahrung mit Erdwärmeprojekten, die sicher und störungsfrei laufen“ – wo denn?).
Märchen aufgetischt
Abgesehen davon, dass zur Beschönigung und Verschleierung auf einmal von „Erdwärme“ statt von Tiefengeothermie die Rede ist (das klingt doch viel harmloser!), werden wieder die alten Märchen aufgewärmt – zum x-ten Mal: die Tiefengeothermie ist, wie fast alle bisherigen Projekte im Oberrheingraben zeigen, weder „klimafreundlich“ noch „nachhaltig“ noch „störungsfrei“ oder „erneuerbar“, auch nicht „grundlastfähig“ und schon gar nicht ungefährlich.
Wer anderes behauptet, der kennt entweder die Fakten und bisherigen Erfahrungen nicht oder er verschweigt absichtlich wesentliche Gesichtspunkte und sagt bewusst die Unwahrheit – offensichtlich blind und taub angesichts der vielfältigen Ereignisse negativer Art im Oberrheingraben in den letzten Jahren (zuletzt Straßburg)!
Fragen über Fragen
Wenn man den im Endeffekt äußerst bescheidenen Ertrag dem insgesamt enormen Aufwand und dem Gefahrenpotenzial in der dichtbesiedelten Region gegenüberstellt (ganz gleich, um welche Region es sich handelt – das ist in Graben-Neudorf und Waghäusel nicht anders als in Brühl oder Schwetzingen und Hockenheim), ist überhaupt nicht zu sehen, was daran wirtschaftlich reizvoll sein soll?
Erst recht, wenn davon geträumt wird, neben Wärme eventuell noch Strom und Lithium in unwahrscheinlichen Mengen zu fördern; dann wird von den erforderlichen Anlagen im Endeffekt sogar mehr Energie verbraucht als gewonnen, von der Co2-Bilanz ganz zu schweigen! Man möchte die Befürworter fragen: Seid Ihr alle wahnsinnig geworden – was muss denn noch alles passieren, damit dieser Spuk ein Ende findet?
Wo bleiben seriöse Informationen?
„Informationsveranstaltungen“ werden angekündigt, aber ausschließlich mit „Experten“ aus dem eigenen Lager, also Befürwortern und Profiteuren der Projekte – davon kann man dann wenig Gutes erwarten, zumindest keine offene und ehrliche Information im Sinne der betroffenen Bevölkerung. Aber für wen sonst soll die „Information“ sein?
Seriöse, umfassende Information erhält man am ehesten bei den verschiedenen Bürgerinitiativen gegen Geothermie, die sich im Rheingraben gebildet haben!
Hier kommt den Medien ebenso wie den örtlichen und regionalen Entscheidern eine große Verantwortung zu. Sie sollten nicht zu einer Art ‚Hofberichterstattung‘ bzw. -vollstrecker verkommen, sondern müssen tatsächlich unabhängig, eigenständig und kritisch entscheiden bzw. berichten und aufklären im besten Sinne!
Autor:Patrice Simon aus Wochenblatt Bruhrain |
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