Hintergrundbericht Kanalisation
Auf sicheren Wegen zurück in den (Wasser)Kreislauf
Von Andreas Becker
Pirmasens. Die Aufgaben einer Kommune sind vielfältig. Nicht alles, was dort tagtäglich ansteht, passiert für uns offensichtlich. Das gilt ganz besonders für das Ableiten der Abwässer von Haushalten, Industrie und Gewerbe in die Kläranlage. Das meiste spielt sich schließlich unterirdisch ab und allenfalls bei Rohrbrüchen bekommen wir etwas davon mit.
Ralf Dillmann arbeitet im Pirmasenser Tiefbauamt im Bereich Grundstücksentwässerung. Er berichtet uns aus seiner langjährigen Erfahrung und gibt dabei spannende Einblicke in eine Welt, die unseren Augen weitestgehend verborgen bleibt.
Über 40.000 Menschen leben in den Pirmasenser Haushalten, hinzu kommt eine stattliche Industrie- und Gewerbelandschaft. Sie alle nutzen regelmäßig Frischwasser. Zum allergrößten Teil muss dieses danach verschmutzt wieder zur Wiederaufbereitung abgeleitet werden, damit es zurück in den natürlichen Wasserkreislauf kommen kann.
Wenn auf dem Weg zur Kläranlage über die Straßengullys noch Regenwasser zugeführt wird, also Schmutz- und Oberflächenwasser sich vereinen, spricht man von Mischwasser. An einigen Stellen in Pirmasens gibt es hingegen separate Trennsysteme, die das Schmutzwasser in die Kläranlage und das Regenwasser direkt in einen Bachlauf leiten. Sauberes Wasser muss nämlich nicht gereinigt werden, und jeder Kubikmeter in der Kläranlage verursacht Kosten.
„Autowaschen auf der Straße, Putzwasser und Festkörper aller Art in die Gullys zu kippen, ist eine verbotene Umweltsünde und absolut tabu!“
Gewachsenes Kanalsystem unter der Stadt
Die Aufgabe der Entwässerung, wie es im Jargon heißt, ist immens und entsprechend gigantisch sind die Dimensionen des unterirdischen Pirmasenser Kanalsystems. Seine Anfänge datieren hier (wie im ganzen Land) auf das ausgehende 19. Jahrhundert und seither ist die gesamte Kanalinfrastruktur mit der Stadt stetig gewachsen. Eine Zäsur markieren der Zweite Weltkrieg und der Wiederaufbau infolge der verheerenden Zerstörungen – hier entstand vieles neu.
Heute misst unser Hauptkanalnetz, in dem alle Hausanschlüsse münden, rund 270 km Länge. Es setzt sich zusammen aus Rohrleitungen unterschiedlicher Größe. Auf ihrem langen Weg zu einer der beiden städtischen Kläranlagen, Blümeltal und Felsalbe, sammelt sich immer mehr Abwasser, so dass ihr Durchmesser von 15 bis über 200 cm immer weiter zunimmt. Für Belüftung, Wartung und Kontrolle der Kanalisation gibt es ca. 6.800 Kanalschächte mit ihren meist prägnanten runden Deckeln.
Je nach Baujahr bestehen die Rohrsysteme aus verschiedenen Materialien. Die ältesten wurden aus Steinzeug gefertigt; mit gut 100 Jahren sind sie sehr langlebig. Später wurden Beton und Stahlbeton verbaut (rund 60 Jahre haltbar), gefolgt von PVZ-U- (über 50 Jahre) und Gussrohren (auch etwa 100 Jahre). Bei Sanierungen werden heute die alten Abflussrohre von innen her abgedichtet, statt sie aufwändig neu zu verlegen. Im Inliner-Verfahren werden dafür in Harz getränkte Gewebeschläuche eingezogen, die ausgehärtet rund 50 Jahre dicht bleiben.
Beispiel: Von der Schachenstraße zum Klärwerk Blümelstal*
Ob aus Waschmaschine, Toilette oder Dusche: Das Abwasser der Hausanschlüsse wird in der Schachenstraße in ein Rohr aus Stahlbeton mit 40 cm Durchmesser abgeführt; dort hinein fließt über die Gullys auf der Straße auch das Regenwasser (Mischwassersystem). Im weiteren Verlauf fließen die Abwässer u. a. aus der Hermannstraße dazu. Unter der Güterbahnhofstraße vereinigt sich der Abfluss in einem unten 800 mm und oben 1.200 mm messenden Eiprofilrohr mit Zuläufen aus anderen Stadtgebieten. Schon wenig später läuft es als Rundrohr mit 1.200 mm weiter und die Abwässer aus Gebieten wie der Zweibrücker Straße und dem Bahnhof kommen hinzu. Kurz vor der Kläranlage, etwa in Höhe des Güterbahnhofs, mündet das Rohr gemeinsam mit einem weiteren in ein unterirdisches Erdbecken. Dieses dient als Regenüberlaufbecken (RÜB), um den Einlauf in die Kläranlage zu steuern. Somit wird nach starken Niederschlagsereignissen automatisch über das RÜB mittels Überlaufsystem ein hoch verdünntes Mischwasser, das vom Becken nicht aufgenommen werden kann, ohne Klärung direkt in den Blümelbach eingeleitet. Nur bei Trockenwetter und wenig Regen wird ausnahmslos alles aus dem Becken zur Kläranlage weitergeleitet.
(*sehr vereinfacht dargestellt)
„Je mehr Flüssigkeit zusammenkommt auf dem Fließweg, desto größer müssen die Rohre werden. Das fängt bei 15 Zentimeter Durchmesser am Hausanschluss an und geht über immer größer werdende Rohre im Hauptkanal in weiteren Schritten bis hin zu mannshohen Stollen.“
Das Abwasser sicher aus der Stadt ableiten
Ohne ein gut funktionierendes Kanalnetz wäre es unmöglich, die riesigen Abwassermengen sicher aus den Stadtgebieten zu bringen. Das gilt nicht nur für das Abwasser, sondern gerade auch für die Niederschläge – zumal dann, wenn die zunehmenden Extremwetterlagen für Starkregen sorgen. Den Naturgesetzen der Schwerkraft folgend, benötigt es dafür ein entsprechendes Gefälle hin zum Klärwerk, damit das Abwasser in den Kanälen abfließen kann. Man spricht von sogenannten Freispiegelleitungen, wenn darin Wasser ohne Pumpen von einem höhergelegenen Anfangspunkt zu einem tiefergelegenen Endpunkt gelangt. Hierfür sind eine Mindestgeschwindigkeit und ein entsprechendes Gefälle nötig, damit sich die Feststoffe des Abwassers nicht in der Rohrsohle ablagern.
So aber funktioniert das in unserer Siebenhügelstadt nicht immer, weswegen Pumpen an einigen Stellen etwas nachhelfen müssen. Außerdem wurden in den Sechzigerjahren mit hohem Aufwand zwei jeweils 185 cm hohe und 200 cm breite Kanalstollen durchs Erdreich getrieben, um topologisch besonders kritische Stellen zu überwinden: der 1.900 m lange Nordstollen von der Zeppelinwiese bis ins Blümelstal und der 560 m lange Südstollen vom Eisweiher bis nach Niedersimten zur Felsalbe. Der Nordstollen ist an seiner tiefsten Stelle mit über 100 m Erdreich überdeckt, beim Südstollen beträgt die maximale Überdeckung 40 m.
„Schadhafte Kanäle können dazu führen, dass das Grundwasser durch austretendes Abwasser (Exfiltration) verunreinigt wird, aber auch das Eindringen von Fremdwasser (Infiltration) gilt es zu vermeiden. Es drohen hier wie dort Systemversagen mit Verstopfungen, Überschwemmungen oder gar Straßeneinbrüchen in Folge von Hohlraumbildungen rund um die Schadensstelle.“
Damit tagtäglich alles reibungslos (ab)läuft, führt die Abteilung Kanalbetrieb und -unterhalt des städtischen Wirtschafts- und Servicebetriebs (WSP) regelmäßig punktuelle Kontrollen durch und entnimmt Proben. Gecheckt werden dabei nicht nur die Kanäle, sondern auch die 25 Regenrückhalte-, 25 Regenüberlauf- und vier Hochwasserrückhaltebecken, außerdem Rohrbrücken und andere Zubringerbauwerke. Beim turnusmäßigen Reinigen und Pflegen kommt u. a. ein Hochdruckspülfahrzeug zum Einsatz.
Abwasser klären und in hoher Güte in natürlichen Kreislauf rückführen
Pirmasens verfügt über zwei große und technisch sehr moderne Kläranlagen. In der Blocksbergstraße verläuft, ganz grob gesagt, die Wasserscheide: Knapp 70 Prozent des Rohrnetzes münden im Blümeltal, die verbleibenden gut 30 Prozent im Felsalbtal. Pro Sekunde kann die Kläranlage Blümeltal rund 400 Liter Schmutzwasser bearbeiten, bei der Kläranlage Felsalbe sind es 200. Vor Ort installierte Rückhaltestationen sammeln die zu hohen Kapazitäten, wenn mehr als das ankommt, was die beiden Kläranlagen bewältigen können. Diese Abwassermengen werden dann in die Anlage geleitet, wenn weniger Schmutzwasser anfällt.
„In unseren beiden Kläranlagen kommen jährlich rund 6 Mio. Kubikmeter Abwasser an – damit könnte man 30 Millionen Badewannen füllen.“
Noch vor der Klärung werden stichprobenartig chemische und auch optische Kontrollen durchgeführt – so weisen farbliche Auffälligkeiten wie Regenbogenfilme (Öl) oder auch Schaumbildung (Reinigungsmittel) auf Verunreinigungen hin. Bei Verdacht wird dann das auffällige Abwasser von Schacht zu Schacht zurückverfolgt, damit das WSP-Kanalteam den Verursacher ermitteln und das Problem schnellstmöglich abstellen kann.
Bei der ersten Reinigungsstufe in der Kläranlage handelt es sich um eine rein mechanische Abwasserreinigung. Dazu wird mit einem großen Rechen der grobe Unrat entfernt, der eigentlich gar nicht ins Abwasser gehört (u. a. Hygieneartikel, Verpackungsmaterial, Speisereste oder Textilien) und daraufhin der Klärschlamm getrennt. Es folgen mehrere chemische und biologische Arbeitsgänge in großen Becken. Selbst gezüchtete Bakterien helfen dabei, das Wasser so sauber zu bekommen, dass es mit hoher Qualität wieder in Bäche geleitet werden kann.
„In das Haushaltsabwasser gehören unsere Ausscheidungen samt Toilettenpapier (Achtung: Feuchtes Toilettenpapier ist problematisch!) und das übliche Waschwasser, wie es in Küche und Bad entsteht, außerdem Putzwasser und Ableitungen von Wasch- und Spülmaschinen. Auf keinen Fall gehören feste Abfälle wie Speisereste, Zigarettenkippen oder Wattestäbchen hinein, Speiseöle und -fette oder gar Medikamente, Chemikalien und andere Problemabfälle.“
Aus dem üblicherweise für teures Geld zu entsorgenden Klärschlamm wird in Pirmasens stattdessen Biogas gewonnen, um später daraus Strom und Wärme zu erzeugen. So muss man weniger Strom für den Betrieb der großen Kläranlagen zukaufen – das spart der Stadt und den Zahlern von Abwassergebühren viel Geld. Außerdem werden noch wertvolle Elemente wieder aus dem Schlamm geholt wie insbesondere Phosphor.
„Die Abwasserbeseitigung gehört zu den wichtigsten, aber auch kniffligsten Aufgaben von Städten und Gemeinden. Schmutz- und Regenwasser müssen nicht nur sicher aus den Ortsteilen rausgebracht und gründlich gereinigt werden, damit das Wasser mit hoher Qualität wieder zurück in seinen natürlichen Kreislauf geführt werden kann“, erklärt Michael Maas, Bürgermeister der Stadt Pirmasens. „Nicht zu unterschätzen ist gerade auch die Aufgabe, regelmäßig den Zustand und die Funktionsfähigkeit der Abwasseranlage zu überwachen sowie Wartungen und Instandhaltungsmaßnahmen durchzuführen. Hinzu kommt, dass nicht nur in Pirmasens ein Großteil des Kanalnetzes aus dem Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg stammt. Rein rechnerisch ist daher die kritische Nutzungsdauer für eine Sanierung weiter Teile des Systems erreicht. Dies haben wir frühzeitig erkannt und gehen diese Mammutaufgabe betont strategisch an. Während vielerorts nach dem gefährlichen Motto ‘Augen zu und abwarten‘ agiert wird, haben wir eine Substanzerhaltungsstrategie und vielfältige Daten erhoben, um die Restnutzungsdauer von Kanälen durch vorausschauendes Handeln optimieren zu können. So können wir statistisch belegen, wann an welcher Stelle wass getan werden muss. Dabei bringen wir wichtige Schutzziele wie Standsicherheit und Dichtheit in Einklang etwa mit dem möglichst weitestgehenden Erhalt von Restbuchwerten und den Planungen im Straßenbau. Diese Vorgehensweise hilft, den Sicherheitsstandard der Abwasserbeseitigung in Pirmasens auch auf lange Sicht beruhigend hochzuhalten und gleichzeitig die anfallenden Kosten zu optimieren.“
Investitions- und Sanierungsstrategie setzt Prioritäten
Die ältesten in Pirmasens noch in Betrieb befindlichen unterirdischen Kanalsysteme stammen aus der Zeit um 1890; alles in allem liegt das Durchschnittsalter bei 43,5 Jahren. Ein Großteil des Entwässerungsnetzes entstand nach dem Zweiten Weltkrieg. Rein rechnerisch ist dadurch die kritische Nutzungsdauer und so ein historisches Zeitfenster zum Handeln erreicht. Bei dieser Generationen-übergreifenden Aufgabe ist an vieles zu denken: Was etwa soll wann saniert, was erneuert werden? Was muss neu hinzukommen. Je früher man auf Schäden reagiert, desto geringer fallen grundsätzlich die Reparaturkosten aus und desto länger bleibt die Substanz erhalten. Für Optimierung sorgt in Pirmasens eine Substanzerhaltungsstrategie: Auf der Grundlage von Ist-Aufnahmen über bedrohliche Mängel wie Korrosion und Verschleiß, Risse und Scherbenbildung, undichte Muffen und schadhafte Anbindungen von Hausanschlussleitungen wird dabei prognostiziert und priorisiert, wann welcher Kanal ausfallen wird – und wann der beste Zeitpunkt ist, vorbeugende Maßnahmen zur Instandhaltung zu ergreifen.
Ralf Dillmann ist gelernter Zimmerer-Meister und bereits seit 1989 bei der Stadtverwaltung Pirmasens. Nach Station als Meister in der Kolonne im Kanalbetrieb und -unterhalt arbeitet der geborene Pirmasenser seit 2011 im Bereich Grundstücksentwässerung des Tiefbauamts. Kanalneubauten überwachen und betreuen, Betonsanierungen an Kanalbauwerken überwachen, TV-Inspektionen auswerten, Bauherren und Grundstückseigentümer beraten (etwa zum Thema Rückstauklappen), hier wie dort zielführende Absprachen treffen: Sein vielfältiges und abwechslungsreiches Aufgabengebiet bietet ihm, wie er selbst sagt, einen Mix aus Büroarbeit, Vor-Ort-Terminen etwa auf Baustellen sowie enger Kommunikation mit Anrainern und Ingenieurbüros.
„Ich bin sehr zufrieden mit meinem Job und das nicht nur, weil ich in einem für unser aller Zusammenleben sehr wichtigen Bereich mit spannenden Themen arbeiten kann und einen tollen Kollegenkreis habe, wo jeder für den anderen da ist“, betont Ralf Dillmann. „Denn letztlich bedeutet eine Anstellung bei der Stadt immer auch ein gutes Stück familiäre Sicherheit.“ Genau diese ist ihm sehr wichtig als verheirateter Vater von Zwillingen – die ihn selbst schon zum zweifachen Großvater gemacht haben. Seinen Ruhestand plant er 2028 anzutreten. „Bis dahin ist aber noch vieles zu tun.“
Autor:Frank Schäfer aus Wochenblatt Pirmasens |
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