Simone Jennewein über den Alltag im Hospiz
Lebensfreude trotz Tod vor den Augen
von andrea katharina kling-kimmle
Pirmasens. „Im Haus Magdalena findet ganz viel Leben statt“, sagt Simone Jennewein Pflegedienstleiterin im Hospiz im Gespräch mit dem Wochenblatt. In der Einrichtung des DiakonieZentrums werden schwerkranke Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. Ein „Liebesdienst“, der dem Team viel Einfühlungsvermögen und Kraft abverlangt: „Es ist eine Lebensaufgabe mit Leib und Seele“, so die 38-jährige, die dadurch gelernt hat „dankbar zu sein und gut für sich selbst zu sorgen“.
Im Februar 2009 war das Hospiz mit sechs Plätzen als Pilotprojekt gestartet worden. Jetzt wird das „Haus Magdalena“ vergrößert. Der Neubau ist mit zwölf Plätzen angelegt. Von den Kosten in Höhe von rund 3 Millionen Euro muss das DiakonieZentrum Pirmasens 900.000 Euro aufbringen. Davon sind 750.000 Euro an Spenden bereits eingegangen. Laut Isabel Berthold, die für das Marketing zuständig ist, soll das neue Haus im Frühjahr 2021 eröffnet werden.
Dann kommen auf das Team mit derzeit 14 examinierten Fachkräften um Simone Jennewein große Herausforderungen zu. Vorgesehen sei, so Isabel Berthold, „den Personalschlüssel deutlich anzuheben“ um die zusätzlichen Aufgaben zu erfüllen. Die genaue Zahl könne allerdings noch nicht genannt werden. Wichtig bei Mitarbeitern sagt Simone Jennewein seien Berufs-, aber auch Lebenserfahrungen. Denn den Alltag in einem Hospiz zu meistern, wo brutal ausgedrückt „Sterben an der Tagesordnung ist“, bedarf einer vertrauensvollen Zusammenarbeit. „Wir führen täglich Teamgespräche und tauschen uns aus“, berichtet die Leiterin. Dieses Netzwerk sowie eine tüchtige Portion Dankbarkeit geben den Pflegekräften „Kraft für jeden Tag“. Man brauche ein Fundament, um die Arbeit im Haus Magdalena emotional durchstehen zu können, denn „wir sind mit Herzblut bei der Sache“. Viele der Gäste (so werden die Bewohner genannt) hätten einen langen Leidensweg durch Krankenhäuser hinter sich. Im Hospiz werden sie „mit offenen Armen empfangen“. Dann stehen die Mitarbeiter ihnen bis zum letzten Atemzug zur Seite. Insbesondere der Gesprächsbedarf sei enorm groß, nicht nur bei den Kranken sondern auch bei den Angehörigen.
Viel hat Simone Jennewein in den elf Jahren erlebt, seit sie sich für die Hospizarbeit entschieden hat. In den zehn Jahren „Haus Magdalena“ in Pirmasens hat sie rund 1.000 Menschen auf ihrem letzten Lebensweg begleitet. Seit acht Jahren obliegt ihr die Leitung. „Jeder Gast hat seine eigene Geschichte, wie der Mann, der bei uns im Raum der Stille geheiratet hat“, erzählt die 38-jährige. „Es sind die Begegnungen mit ganz unterschiedlichen Menschen, die unsere Arbeit lebenswert machen“. Besonders beeindruckt ist sie von den Reaktionen der Kinder auf den Tod eines Elternteils. So äußerte ein 10-jährige Mädchen, das sich aufopfernd um die Mutter im Hospiz gekümmert hatte, den Wunsch sie vor der Aufbahrung ein letztes Mal zu waschen, um so von ihr Abschied zu nehmen. Das habe sie nie vergessen können und sich deshalb gefreut, die junge Frau nach zehn Jahren zufälligerweise zu treffen. Völlig anders habe dagegen ein 5-jähriger Junge reagiert, der miterlebte, wie seine Mama starb und trotzdem seinen großen Hunger mit einer Fleischkäse-Semmel stillen konnte. „Das muss man aushalten“.
Sie selbst hat früh den Papa verloren. Damals, so erinnert sich Simone Jennewein, wurde darüber nicht geredet, die Mutter musste den Alltag mit ihren beiden Kindern stemmen und hatte keine Zeit, um zu trauern. „Wir mussten stark sein. Das hat mich sensibel gemacht, für meinen heutigen Beruf“. Mit dieser Grundeinstellung, dem Gefühl, sich auf ihr Team verlassen zu können und der Zufriedenheit am Arbeitsplatz gelinge es ihr, körperlich und seelisch gesund zu bleiben, „man muss gut für sich sorgen“. Dazu gehört auch das komplette Abschalten im Privatleben, auch wenn es immer wieder Situationen gibt, wo Menschen sie als Leiterin des Hospiz erkennen. Dank fleißiger Spender, das Haus Magdalena muss sich zu 95 Prozent selbst finanzieren, ist Simone Jennewein oftmals in der Zeitung abgebildet. „Daran musste ich mich erst gewöhnen“. Auf der anderen Seite freut sie sich, dass die Themen „Sterben und Tod“ nicht länger auf der Tabuliste stehen. „Die Hospizarbeit hat sich in Pirmasens etabliert. Das sieht man insbesondere an der hohen Spendenbereitschaft, aber auch an der großen Nachfrage“. Bei der begrenzten Anzahl von sechs Plätzen sei die Warteliste groß, denn „die Zahl der tödlichen Krankheiten nimmt immer weiter zu“. Nicht zu unterschätzen sei die Mundpropaganda. Angehörige verstorbener Gäste würden sich sehr oft positiv über ihre Erfahrungen in der Öffentlichkeit äußern. Doch Simone Jennewein macht auch ganz deutlich, dass durch den Neubau und die Schaffung von zwölf Plätzen der Bedarf bei weitem nicht gedeckt werden kann. Eine weitere Erhöhung der Kapazität könne allerdings einem Team nicht zugemutet werden: „Es stellt sich immer wieder die Frage: wie viel Sterben verträgt ein Mitarbeiterstab?“ Ideal sind Einheiten mit maximal zehn bis zwölf Gästen, „eine kleine familiäre Einrichtung“ mit einem gut aufgestellten Personal. Das sei im Haus Magdalena gegeben, „wir haben sogar eine zweite Nachtwache bewilligt bekommen“, freut sich die Leiterin.
Für die Zukunft sieht sie sich gut gerüstet: „Wir haben in den zehn Jahren seit des Bestehens eine Konzeption erarbeitet, auf die wir nach dem Umzug in 2021 zurückgreifen können. Ein Meilenstein in jedem Jahr ist für das Team der Gedenkgottesdienst für die Toten der zurückliegenden zwölf Monate. Das sei emotionale Schwerarbeit, „aber man kann Bilanz ziehen und das Jahr sacken lassen“. In solchen Momenten werden für Simone Jennewein „die täglichen Sorgen unwichtig“. ak
Autor:Andrea Kling aus Pirmasens |
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