Glosse
Bacchantische Schnappatmung
Mit dem Wein ist das so eine Sache! Die einen kippen ihn massiv und in gewaltigen Mengen in den unempfindlichen Schlund und harren der enthemmenden Wirkung in Schädel und Gliedmaßen jeglicher Art: Gurgel auf - und rein den Saft! Die anderen zelebrieren fast schon einen Genusskult mit kleinen halb gefüllten Gläschen, lassen beim sorgsamen Nippen ihre Gesichtszüge expressiv entgleisen, schlürfen, schmatzen und sind fast schon der Schnappatmung nahe. Kann ja jeder halten wie er will. Schließlich ist unser Rebensaft für alle da.
Anstrengend werden gesellige Weinproben allerdings regelmäßig dann, wenn selbsternannte Kenner der Materie ihr angelesenes Weinwissen ungefragt zu vermitteln suchen! Der ältere Herr etwa, der, jugendlich in abenteuerlicher Outdoor-Mode gekleidet und mit einer grellen Baseball-Cap auf dem schütteren Haar, offensichtlich bacchusfernen Touristen die Magie des Pfälzer Weins erschließen wollte. Man solle, so der Hobbydozent, das spärlich gefüllte Glas zunächst mit den Augen fixieren, es gegen die Sonne halten (wie macht man das eigentlich abends und nachts?) und es zärtlich schwenken. Die Nase rein und kräftig schnüffeln: Phase zwei. Dann wird’s ernst: „Ihr müsst den Wein im Mund lüften, lüften und nochmals lüften! Nicht gleich schlucken! Durch das Lüften werden die Aromen frei und ihr habt genau das Geschmackserlebnis, das der Wein hergibt!“.
Doch da die bacchantische Schnappatmung beim Verkosten edler Tropfen gelernt sein muss, wurden bei der praktischen Demonstration im Munde des älteren Herrn mit der Baseball-Cap nicht nur die Aromen frei, sondern auch gleich die ganze Mundfüllung: Husten und prusten statt schlürfen und schmatzen. „Ich hab’s in die Luftröhre bekommen!“. Dass Gesichter, Brillen und Hemden seiner „Schüler“ hernach von vorgegurgeltem Wein zart benetzt waren, das störte Rudi Riesling nun gar nicht. Sein Wissen hatte er vermittelt. Und mit dem merkwürdig spaßigen Trinkspruch „Prostata, wie lange leben Sie?“ kippte der Hobbypädagoge den Rest im Glas auf einmal weg – beherzt auf Ex in die Kehle. Ohne Lüftung, einfach so.
Ob seine Gäste den Zauber des Pfälzer Weins wirklich gefühlt haben, müsste man sie selbst fragen. Aber mittlerweile sind sie längst wieder entschwunden: „Wir müssen jetzt abbrechen, unser Bus fährt gleich…!“
uba
Autor:Udo Barth aus Bad Dürkheim |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.