Ein kleines Stückchen Bayreuth
Camilla Nylund und Jonas Kaufmann im Rausch

Camilla Nylund & Jonas Kaufmann | Foto: Manolo Press/ Michael Bode.
  • Camilla Nylund & Jonas Kaufmann
  • Foto: Manolo Press/ Michael Bode.
  • hochgeladen von Marko Cirkovic

Der Beginn des Abends war geprägt von einer unerbittlichen Klarheit, als die ersten Töne des Vorspiels zu Parsifal in einem schneidenden Unisono erklangen. Diese Eröffnung setzte einen tiefen, fast archaischen Akzent, der sich wie ein messerscharfer Schnitt durch den Raum zog. Unter der Leitung von Mark Elder entfaltete das Gstaad Festival Orchestra im Festspielhaus Baden Baden die mystische und kontemplative Natur dieses Vorspiels, das von Wagner mit einer solch epischen Weite und spirituellen Tiefe komponiert wurde.

Die Musik bewegte sich in weiten, meditativen Bögen, unterbrochen von langen, sorgfältig ausgekosteten Pausen. Diese Momente der Stille, die Elder und das Orchester mit einer fast religiösen Andacht behandelten, verliehen dem Vorspiel eine episodische Qualität. Es war, als ob die Musik selbst innehalten würde, um über ihre eigene Existenz nachzudenken, bevor sie sich in den nächsten Abschnitt hineinwagt. Diese bewusste Ausdehnung der Stille schuf eine Atmosphäre, in der jede Note, jeder Klang eine bedeutungsschwere Eigenständigkeit erhielt.

Die Streicher des Orchesters trugen maßgeblich zu dieser tiefen und vielschichtigen Klangwelt bei. Ihr Spiel war breit und opulent, zugleich aber von einer Klarheit, die die komplexen harmonischen Strukturen Wagners in all ihrer Pracht hervorbrachte. Die Streichergruppen verschmolzen zu einem einzigen, schimmernden Klangkörper, der das Vorspiel zu einem Wagner'schen Traumbild formte. Die Musik lud ein, sich in ihr zu verlieren, zu schwelgen in der warmen Umarmung der Töne, die sich wie endlose Wellen aufeinander zurollten und wieder zurückflossen.

Im Übergang zum Karfreitagszauber setzte sich diese tief empfundene Darbietung fort, nun jedoch mit einem Hauch von Heiligkeit und Transzendenz. Das Orchester zeigte erneut eine makellose Präzision, die es vermochte, die komplexe Struktur und die feinen Nuancen dieser Szene vollständig auszuschöpfen. Gleichzeitig bewahrten die Musiker eine innere Hingabe, die die Musik mit einer seltenen Mischung aus technischer Brillanz und emotionaler Tiefe erfüllte.

Im Karfreitagszauber offenbarte sich die wahre Magie des Werkes. Die Musik, so expressiv wie zart, öffnete einen Raum von fast überirdischer Schönheit. Die feinen, fließenden Linien der Streicher verbanden sich mit den sanften, aber präzisen Einsätzen der Bläser, wodurch ein Klanggewebe entstand, das die Sinnlichkeit und Spiritualität dieses Abschnitts perfekt einfing. Es war ein Moment der musikalischen Transzendenz, in dem die Musik zu einer Brücke zwischen dem Diesseitigen und dem Jenseitigen wurde, zu einem Ausdruck des unendlichen Mysteriums, das Wagner in seinem Spätwerk erforschte.

In einem schicksalhaften Augenblick, in dem die Grenzen zwischen Licht und Schatten, zwischen Sein und Nichts zu verschwimmen beginnen, erhebt sich eine etwas, das mehr als nur ein Klang ist – es ist der Inbegriff einer Macht, das alles überstrahlt. Der Einstieg in den zweiten Akt von Tristan und Isolde offenbart eine seltsame Spannung, eine unheimliche Dichte, die bereits in den ersten Takten spürbar wird. Der Dirigent, Mark Elder, der sich durch eine bemerkenswerte Hingabe zur Feinheit auszeichnet, beweist hier, dass er eine unerbittliche Intensität tragen kann.

Es ist Brangäne, gesungen von Sasha Cooke, die sich gleich zu Beginn stimmlich in den Raum erhebt, als wäre sie der personifizierte Ausdruck einer uralten, schicksalhaften Macht. Ihr Mezzosopran schwingt wie ein dunkler Schleier durch die dunkle Szenerie des Festspielhauses, greifbar und doch unendlich fern. Dann aber tritt Isolde – Camilla Nylund in all ihrer stimmlichen Erhabenheit – hervor, und was sich in diesem Moment entfaltet, ist nichts weniger als die strahlende Offenbarung einer inneren Gewalt, so übermächtig und doch so klar wie der Schliff eines perfekten Diamanten.

Nylunds Stimme ist nicht nur präsent, sie ist durchdringend, sie hat eine Tiefe, in der man sich verliert, und eine Brillanz, die erst in funkelnden Fragmenten durch den Raum sprüht, um dann in einem alles verzehrenden Feuer zu enden. Ihre Darbietung zieht den Hörer in eine Sphäre, in der das Göttliche und das Dämonische sich in einem nie endenden Kreislauf der Vernichtung und Erneuerung begegnen.

Jonas Kaufmann als Tristan betritt die Szene mit einer Stimme, die zunächst eine fast ästhetische Gewalt verkörpert. Doch diese anfängliche Kraft zeigt bald Risse – das Fortissimo wird zum Kraftakt, seine Stimme kratzt, er räuspert sich. Und doch ist es genau diese Fragilität, diese Verletzlichkeit, die seine Darbietung so tief menschlich macht. Trotz der Herausforderungen, die Kaufmann an diesem Abend zu bewältigen hat, beweist er in den leisen Momenten, warum sein Name ein leuchtender Stern am Opernhimmel bleibt. Diese Momente, in denen die Stimme leiser wird, in denen die äußere Kraft nachlässt, offenbaren eine Tiefe und Leidenschaft, die den einen nur so überwältigen.

Im Duett zwischen Isolde und Tristan verschmelzen die Stimmen zu einer Einheit, die über das Persönliche hinausgeht. Es ist, als würden die beiden Sänger alle Gegensätze aufheben, als würden ihre Stimmen sich in einem Fluss des Seins vereinen, der alles mit sich reißt. Der Dialog wird zum Monolog, zum Ausdruck einer einzigen, allumfassenden Wahrheit, die sich durch die Musik entfaltet.

König Marke, gesungen von Christof Fischesser, setzt diesem Auftritt die wohlverdiente Krone auf. Sein Bass ist das Fundament, auf dem das gesamte Werk ruht, der Anker, der die wildesten Stürme in ihre Schranken weist. Es ist, als würde er mit jedem seiner Töne die Schwere des Schicksals verkörpern, die unausweichliche Macht, die in diesem Drama die Fäden zieht. Todd Boyce überzeugte als Kurwenal/Melot mit seinem kraftvollen Bariton, der eine markante Präsenz in den dramatischen Szenen schuf und das Ensemble stimmlich bereicherte.

Das Gstaad Festival Orchestra, unter der präzisen und zugleich expressiven Führung von Mark Elder, erschafft eine Klanglandschaft, die in ihrer Hingabe und Exzellenz alle Erwartungen übertrifft. Die Musiker verschmelzen zu einer einzigen, atmenden Einheit, die die Komplexität und Tiefe dieses Werkes zum Ausdruck bringt. Trotz der kurzen Probenzeit gelingt es ihnen, eine Interpretation zu liefern, die von einer solchen Intensität ist, dass sie den Raum mit einer überwältigenden Präsenz erfüllt.

Was in diesem Akt geschieht, ist mehr als nur eine musikalische Darbietung – es ist eine Erfahrung, die das Bewusstsein selbst transformiert. Die Schwächen, die Unsicherheiten, die Momente der Fragilität werden zu Teilen eines größeren Ganzen, das in seiner Gesamtheit eine unermessliche Kraft entfaltet. Es ist diese Mischung aus Vollkommenheit und menschlicher Verletzlichkeit, die diesen Moment so unvergesslich macht. Die Musik wird zu einer Reise, die den Hörer in eine andere Welt entführt, in eine Sphäre, in der das Gewöhnliche aufhört zu existieren und nur noch die reine, ungebändigte Emotion bleibt.

An diesem Abend konnte man in Baden-Baden ein kleines Stückchen Bayreuth spüren. Die Musiker und Sänger brachten die besondere Atmosphäre und Tiefe direkt auf die Bühne. Es war ein Moment, in dem die Magie von Wagners Musik in all ihrer Pracht erlebbar wurde.

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Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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