Der stille Ozean
María Dueñas und Christoph Eschenbach im Festspielhaus

María Dueñas  | Foto: Andrea Kremper
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In einer sphärischen, nahezu hyperbolischen Betrachtung entfaltet sich der Gedanke eines Ozeans, der durch die Abwesenheit jeglicher Wellungen und Strömungen charakterisiert ist. Ein solcher Ozean würde die Quintessenz einer paradoxen Existenz in sich tragen, da die inhärente Dynamik der Meere und deren perpetuelle Bewegung fundamental für ihr Wesen sind.

In dieser imaginären, aquatischen Idylle ergießt sich eine unendliche Fläche von azurblauem Wasser, das, ohne die geringste Störung, wie ein massives Saphirfeld erscheint. Hier, in dieser ätherischen Stille, scheint die Zeit in einer Art metaphysischer Suspension zu verharren, während das Sonnenlicht ungebrochen durch die glasklare Oberfläche dringt und das gesamte Meer in ein funkelndes Kaleidoskop aus Licht und Farben taucht.

Der Blick über diese makellose Wasserfläche evoziert eine Atmosphäre transzendentaler Ruhe und friedlicher Unveränderlichkeit. Ohne das konstante Rauschen der Wellen oder das unaufhörliche Murmeln der Strömungen, breitet sich eine allumfassende Stille aus, die sowohl erhaben als auch entrückend wirkt. Es ist ein stiller Zeuge eines statischen Paradieses, eine maritime Utopie, in der die Naturgesetze selbst eine ungewöhnliche Pause einlegen.

In dieser friedlichen Dimension würde ein Boot lautlos über die perfekte Oberfläche gleiten, ohne jegliche Spur oder Verwirbelung zu hinterlassen. Die metaphysische Idee eines ozeanischen Nichts, frei von jeglicher Kinetik, könnte als Allegorie für eine perfekte, konfliktfreie Existenz betrachtet werden. Es ist ein stiller Raum der Kontemplation und Selbstreflexion, wo die Ruhe des Wassers die innere Gelassenheit des Betrachters widerspiegelt.

Doch was hat diese kontemplative Vorstellung eines ozeanischen Nichts mit dem Konzert im Festspielhaus Baden Baden der Bamberger Symphoniker unter der Leitung von Christoph Eschenbach zu tun, in dem María Dueñas das Violinkonzert in D-Dur, op. 61, von Ludwig van Beethoven darbot?

Das Spiel von María Dueñas, mit einer Feinheit und emotionalen Tiefe, die ihresgleichen sucht, entführt den Zuhörer in eine ähnlich transzendente Sphäre. Ihre außergewöhnliche Fähigkeit, zwischen den zartesten Nuancen und kraftvollen Ausbrüchen zu wechseln, erinnert an die Stille und die dramatischen Bewegungen eines Meeres, das von einem inneren, unsichtbaren Leben durchdrungen ist.

Dueñas' Interpretation von Beethovens Werk gleicht einem akustischen Gemälde, in dem jeder Bogenstrich eine Welle, jede Phrase eine Strömung darstellt. Ihr filigranes, emotionales Spiel lässt die Noten in einem Spektrum erklingen, das von einem kaum wahrnehmbaren Hauch des Nichts, und damit meine ich diesen gezeichneten Ozean, bis hin zu kraftvollen, leidenschaftlichen Eruptionen reicht. Diese dynamische Bandbreite und ihre meisterhafte Kontrolle über das Instrument machen sie zu einer der beeindruckendsten Solistinnen, die mir bisher begegnet sind.

Während des Konzerts verwandelte sich die musikalische Darbietung in eine Art fließende Choreografie, in der Dueñas' Violine die Rolle eines Tänzers übernahm, der durch einen ständigen Wechsel von Ruhe und Sturm führte. Ihr Spiel war eine ä Reise, die uns durch stille, spiegelglatte Wasser und plötzlich aufbrausende musikalische Wellen führte, die gleichermaßen faszinierend wie überwältigend waren.

Es ist diese besondere Fähigkeit von María Dueñas, sowohl die sanftesten Töne als auch die kraftvollsten Passagen mit solcher Präzision und emotionaler Tiefe darzustellen. Ihre Darbietung bot eine perfekte Balance, wie sie nur in der Metapher eines ozeanischen Gleichgewichts gefunden werden kann, und ließ in eine Welt eintauchen, die von einer harmonischen Koexistenz aus Ruhe und Bewegung geprägt ist.

Ihre meisterhafte Technik und emotionale Ausdruckskraft verwandelten das statische Bild eines stillen Ozeans in eine lebendige, pulsierende Klangwelt. Die Virtuosität und Leidenschaft, mit der Dueñas Beethovens Konzert interpretierte, brachten eine Dynamik hervor, die das Publikum in eine tiefere, bewegte Dimension der musikalischen Erfahrung entführte.

Nach der eindrucksvollen Darbietung präsentierte Sie als Zugabe eine eigene Komposition, "Hommage 1770 für Beethoven". Das Werk war tief in der klassischen Tradition verwurzelt und bestach durch seine fein ausgearbeiteten Strukturen, harmonischen Verläufe und Zitate , die Beethovens Stil ehrten. Zugleich flossen leichte, kaum wahrnehmbare moderne Nuancen ein, die der Komposition eine subtile Frische verliehen, ohne ihre klassische Essenz zu verfremden.

Auch Christoph Eschenbach spielte eine wesentliche Rolle in dieser musikalischen Magie. Er begleitete María Dueñas mit einer bemerkenswerten Zurückhaltung, wodurch er der Solistin den notwendigen Raum gab, sich auf ihre einzigartige Weise zu entfalten. Eschenbachs Dirigat war geprägt von einer subtilen, fast unsichtbaren Führung, die den orchestralen Hintergrund sanft pulsieren ließ, ohne die feine Balance zu stören. Seine Fähigkeit, sich vollkommen zurückzunehmen, ermöglichte es Dueñas, ihre meisterhafte Interpretation in den Vordergrund zu stellen und das Publikum in den Bann ihrer filigranen, dynamischen Darbietung zu ziehen. So wurde das Konzert zu einer symbiotischen Verschmelzung von Dirigent und Solistin, die gemeinsam eine Atmosphäre von fast greifbarer Magie erschufen.

Nach der Pause präsentierten die Bamberger Symphoniker unter der inspirierenden Leitung von Christoph Eschenbach die Erste Sinfonie von Johannes Brahms, die sich als beeindruckendes Gegenstück zur vorherigen Darbietung erwies. Eschenbach schöpfte aus dem Vollen und entlockte dem Orchester eine Interpretation, die von einer geradezu elektrisierenden Energie und einer tiefen Emotionalität durchdrungen war.

Die Sinfonie entfaltete sich als eine überwältigende Tour de Force, die von intensiver, pulsierender Kraft ebenso geprägt war wie von fein ziselierten, lyrischen Momenten. Eschenbachs Dirigat offenbarte die gesamte dynamische Bandbreite des Werkes, indem er sowohl die majestätischen, kraftvollen  Eröffnungsakkorde als auch die subtilen, beinahe ätherischen Passagen mit einer bewundernswerten Präzision und Ausdruckskraft herausarbeitete. Das Orchester agierte mit einer so lebendigen und doch präzisen Musikalität, dass jede Note, jedes Thema und jede Phrase in einer vielschichtigen und lebendigen Erzählung aufging.

Christoph Eschenbach  | Foto: Andrea Kremper
  • Christoph Eschenbach
  • Foto: Andrea Kremper
  • hochgeladen von Marko Cirkovic

Der fulminante Abschluss der Sinfonie versetzte mich in einen Zustand tiefen Nachdenkens und Erstaunens. Der überwältigende Schluss war derart kraftvoll und überzeugend, dass ich mich unweigerlich fragte, und das meine ich sehr positiv, ob dies wirklich Brahms war oder ob Eschenbach und die Bamberger Symphoniker etwas Größeres darboten.

Abschließend bleibt festzuhalten, dass die unaufgeregte und scheinbar einfache Programmgestaltung des Abends mich auf eine Weise überwältigt hat, die ich zuvor nicht für möglich gehalten hätte. Auf den ersten Blick mag das Programm unspektakulär erscheinen: ein Solostück für Violine und Orchester, gefolgt von einer nicht übermäßig großen Sinfonie nach der Pause. Doch gerade diese schlichte Zusammenstellung entfaltete in ihrer Ausführung eine unerwartete, tiefgreifende Wirkung.

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María Dueñas  | Foto: Andrea Kremper
Christoph Eschenbach  | Foto: Andrea Kremper
Autor:

Marko Cirkovic aus Durlach

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