Überplanung soll Anonymität entgegenwirken
Stadt und Bewohner wollen belebten Jakobsplatz
Frankenthal. Im Pilgerpfad leben heute Menschen mit ganz verschiedenen Ansprüchen und Lebensentwürfen. Das ist das Erbe einer pragmatischen Wohnungspolitik der Nachkriegsära. Sie spiegelt sich wider in den futuristischen Hochhäusern der Nachkriegsmoderne, in Bungalows aus den 80ern, die neben modernen Einfamilienhäusern stehen. Heute nagt an Immobilien und Plätzen der Zahn der Zeit. Umfragen zeigen, dass 90 Prozent der Bewohner eine soziale und städtebauliche Aufwertung für nötig halten. Das Quartier zwischen Mahlastraße im Westen, der B9 im Osten, der Frankenstraße im Norden und Isenach im Süden, soll in naher Zukunft städtebaulich mit Hilfe von Bundes- und Landesmitteln saniert werden. Zunächst steht in den nächsten Jahren die Aufwertung des Jakobsplatzes an. Die beiden aktuellen Planungen der Architekten werden voraussichtlich im Frühjahr den Bauausschuss passieren. Sie gehen damit in die letzte Runde des Bürgerdialogs, der Impulse für ihre Ausarbeitung gibt, bevor Stadtrat und Bauausschuss sich für eine Variante entscheiden.
„Das Gebäude, in dem der Edeka verortet ist, soll abgerissen werden. Auf seinen Grundmauern soll ein Wohngebäude entstehen, mit Supermarkt im Erdgeschoss. Am Jakobsplatz soll das Stadtgefühl verortet sein,“ erklärt Architekt Moritz Disse. „Aktuell ist der Platz nicht gerade ästhetisch. Wir bewerben uns mit Plänen, nach denen er umgestaltet werden soll“, so der Architekt. Weitere Flächen würden dabei nicht versiegelt. Vielmehr seien große Gründächer am Gebäude geplant.
Vorläufige Einigung (zwischen Bürgern, Stadt und Investor)
Wer sich als Außenstehender in den Kern des Quartiers vorwagt, erkennt sofort die strukturelle Schieflage – der Jakobsplatz, eigentlich als lebendiges Zentrum geplant, ist verwaist. Heute findet man hier nur Leerstände, obwohl jeder Dritte sich Geschäfte und Restaurants wünscht. Der Einzelhandel ist zurückhaltend, nur der Supermarkt will bleiben.
Seit 2018 läuft eine mehrstufige Bürgerbeteiligung: In die Planungen von Stadt und Investor gehen Ideen von Arbeitsgruppen, einzelnen Bürgern und Beiräten ein. Das Büro Sven Fries organisiert und moderiert den Bürgerdialog. „In Umfragen haben wir erfasst, was die Menschen im Viertel bewegt und was sie sich wünschen“, erklärt Mitarbeiterin Rebecca König-Pich, „zudem haben wir auf dem Jakobsplatz die Passanten befragt.“ Impulse hätten sie sich auch aus Seniorenbeirat, Kirchen, Bürgerinitiativen und vom Ordnungsamt geholt.
Umfragen des Büros Fries zufolge lehnen 90 Prozent der Bewohner zunächst eine weitere bauliche Verdichtung ab. Sie fürchten eine Verschärfung der Problemlagen wie Anonymisierung und Vermüllung. Die Bevölkerungsdichte im Viertel reiche an die von Manhattan heran. Das Büro Fries ließ daher ein Gutachten erstellen: Der Soziologe Martin Alberts sollte ermitteln, wie das Zentrum städtebaulich und architektonisch zu entwickeln ist, so dass die in Umfragen erfassten Bürgerinteressen vereinbar werden mit gesamtstädtischen Interessen. Also dem Ausbau von Wohnraum und Grünflächen.
Alberts argumentiert, dass die Anonymität ein Ergebnis der Verdichtung ist. „Die Bewohner von Hochhäusern überblicken nicht, wer im Haus wohnt“, heißt es im Gutachten. Loser Kontakt, der unter Nachbarn typisch sei, entstehe dort kaum aus sich selbst heraus. Dieser sei aber Basis für Respekt und nachbarschaftliche Netzwerke. Die Folge sei eine geringe Wohnidentität und eine hohe Fluktuation.
Die Bewohner sehen vor allem auch die umstrittenen Plätze als Problem. So meidet jeder vierte den Jakobsplatz als kargen Betonplatz oder weil Kleinstkriminalität dort sichtbar wird, wie der Konsum von Cannabis oder Schlägereien. Da die Plätze ungepflegt sind, wird die Verwahrlosung überschätzt. Denn Straftaten sind dort selten. Das Klischee vom sozialen Brennpunkt belegen die Polizeistatistiken nicht.
Planung im Sinne der Bewohner:
„Die Ergebnisse des Gutachtens gingen in die Platzüberplanung ein“, sagt König-Pich. So bleibt das geplante Wohnhaus unterhalb der Hochhausgrenze und trägt kaum zur weiteren Verdichtung bei. Es entsteht finanzierbarer, barrierefreier Wohnraum für junge Familien und Ältere, die schon lange hier leben. Zugleich sei die Platzüberplanung auch als Einigung mit den wirtschaftlichen Interessen des Investors ProConcept zu sehen.
Es bleiben vor allem die Älteren länger im Viertel. Wer in den 60ern und 70ern die damals modernen Hochhäuser bezog oder selbst gebaut hat, identifiziert sich mit dem Pilgerpfad. „Damals schweißte das rege Vereinsleben, ein Wochenmarkt, Gastronomie und Stadtteilfeste die Leute zusammen“, erzählt Sozialdezernent und Heimatforscher Bernd Leidig. „Doch Trends wie Anonymisierung sind hier stärker spürbar als woanders und die Gemeinschaft bröckelt.“ Zwei Drittel der Bewohner wünschen sich Feste und Quartiertreffs zurück. „Das neue Zentrum soll Räume für Begegnung schaffen“, sagt König-Pich, „derzeit wird ein offenes Café diskutiert, das von ehrenamtlichen Senioren bespielt werden könnte, da kommerzielle Betreiber Hürden zu nehmen hätten.“ Ab März soll der offene Jugendtreff im Nebengebäude auch als Seniorentreff dienen.
Um Identität für das Viertel zu stiften, soll zudem ein Quartiersmanager ein Büro im Neubau beziehen. „Als Kümmerer vor Ort, dem die Menschen ihre Sorgen erzählen können und der durch Förderung des Bürgerengagements optimale Einigungen und Ergebnisse für die weitere Stadtteilentwicklung erzielt, als Schnittstelle zwischen Bewohnern, Verwaltung und Stadtpolitik“, sagt König-Pich. Ein wichtiger Teil seiner Aufgaben ist die Stärkung der Gemeinschaft, so dass der neue Quartiermittelpunkt wieder ein Ort des gesellschaftlichen Lebens wird. jg
Autor:Stadtmagazin Frankenthaler aus Frankenthal |
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