"Alte Werft" in Germersheim wird Wohnbaugebiet "Am Hafen"
Bürgerinitiative "Kein Gefahrstofflager" für sicheres Wohnen am Neubaugebiet Am Hafen

Für den neuen Bebauungsplan Nr. 62 "Am Hafen" wurden in den letzten Wochen die Unterlagen im Rahmen der Bürgeranhörung offengelegt. Dabei zeigte sich, dass das vom Investor in Auftrag gegebene Gutachten zur Ermittlung des Sicherheitsabstandes von dem Gefahrstofflager der DP-World zur Grenze des neuen Baugebietes in 680 m "schöngerechnet" wurde und so ein einzuhaltender Abstand von nur 650 m ermittelt wurde. Also 30 m vor dem Beginn der geplanten Bebauung endet.

Da die Abweichungen der Berechnung massiv von dem Vorgaben den entsprechenden Richtlinie abweicht, haben wir uns als Bürgerinitiative entschlossen eine Einwendung gegen den Bebauungsplan an die Stadtverwaltung einzureichen. Die Einwendung hat folgenden Wortlaut:

Sehr geehrte Damen und Herren,

nach Sichtung der im Rahmen der Bürgerbeteiligung im städtischen Internet-Auftritt offengelegten Unterlagen zum vorgenannten Bebauungsplan lege ich hiermit nachfolgende Einwendungen als Privatperson ein.
Anzumerken ist hierbei, dass ich dies auch als Vorstandsmitglied der Bürgerinitiative (BI) „Kein Gefahrstofflager“ gemäß einstimmigem BI-Vorstandsbeschluss vom 27.02.2019 vornehme. Da die BI aber (noch) ein Nicht-Eingetragener-Verein ist und somit keine juristische Person darstellt, hat sie weder ein Klage- noch ein Einspruchsrecht.
Aus diesem Grunde nehme ich diese Einwendung als Privatperson und stellvertretend für den BI-Vorstand vor, zumal wir der Meinung sind, dass das Gutachten nach § 29a BlmSchG zur Ermittlung des angemessenen Sicherheitsabstandes gemäß § 50 BlmSchG in der vorliegenden Form nicht haltbar ist und wir gegen die Rechtswirksamkeit des Gutachtens vorgehen, damit die im Gutachten getroffenen Annahmen zur Berechnung des angemessenen Sicherheitsabstandes bezüglich des Gefahrstofflager der DP-World nicht auf die Gefahrstofflager im US-Depot übertragen werden können.

Wir legen Wert auf die Feststellung, dass es nicht unser Ziel ist, das neue Baugebiet „Am Hafen“ in Frage zu stellen oder gar verhindern zu wollen. Ganz im Gegenteil: Uns ist bewusst, dass Wohnraum in Germersheim dringend benötigt wird.
Die Sicherheit der Menschen hat aber für uns oberste Priorität. Wir streben deshalb in dieser Fragestellung eine rechtlich und wissenschaftlich fundierte Klärung an, die nicht auf einem fragwürdigen Parteiengutachten basiert.

Bevor die Einwendungen begründet werden, sollen folgende Aussagen aus dem Gutachten gemäß § 29a BlmSchG –nebst unseren Kommentierungen- herausgestellt werden:

1.Gemäß den Vorbemerkungen des Gutachtens, Seite 9, ist die Umsetzung der Europäischen Richtlinie 2012/18/EU in deutsches Recht nach § 50 BlmSchG zum 04. Juli 2012 rechtswirksam geworden. Die Betriebsgenehmigung von DP World wurde mit Datum vom 09.07.2001 und der Änderungsgenehmigung vom 26.09.2007 erteilt.

2.Der Gutachter erklärt auf Seite 10, „dass das Gefahrstofflager der DP World in die Abstandsklasse IV fällt“ und „ein Achtungsabstand von 2.190 m zu berücksichtigen ist“. Es darf deshalb vermutet werden, dass nach der heute geltenden Rechtslage das Gefahrstofflager der DP World nicht mehr genehmigungsfähig wäre; zumindest nicht als Lager der höchsten Gefahrstoffklasse.

3.Weiterhin führt der Gutachter auf Seite 12 und 13 aus: “Wird nicht der …ermittelte angemessene Abstand von 650 m zugrunde gelegt, sondern der Achtungsabstand entsprechend dem Leitfaden KAS-18 …von 2.190 m, dann liegen bereits heute relevante Schutzobjekte im Stadtgebiet von Germersheim innerhalb des Achtungsabstandes.“
„Bei Zugrundelegung des Achtungsabstandes von 2.190 m steht jedes Bauprojekt innerhalb des Achtungsabstandes unter dem Vorbehalt der Abwägung zwischen der Zulässigkeit der Bebauung und der Forderung des § 50 BlmSchG bezügl. der räumlichen Entflechtung zwischen Schutzobjekten und Betriebsbereichen im Sinne der Störfall-Verordnung.“
Im Umkehrschluss bedeutet dies, das eine nicht rechtskonforme Baugenehmigung für alle die Bauobjekte innerhalb des Achtungsabstandes vorliegt, deren Baugenehmigung nach dem 04. Juli 2012 erteilt wurde und für die kein Gutachten bezüglich § 50 BlmSchG vorliegt, mit welchem die rechtskonforme Ermittlung eines geringeren angemessenen Sicherheitsabstandes belegt werden kann.

4.Wie nachfolgend aufgezeigt wird, weicht das vom Investor A-RT Rheinpark GmbH & Co. KG in Auftrag gegebene Gutachten bei mehreren Berechnungsannahmen stark von den Empfehlungen des Leitfadens KAS-18 ab. Andere von uns gesichtete Gutachten halten sich hingegen strikt an diese Empfehlungen und verwenden in ihren Berechnungen z.B. auch die wichtige Größe zur Mindestleckage.

5.Die Berechnungen des Gutachters, der -bei einer Baugebietsentfernung von 680 m- einen angemessenen Sicherheitsabstand von 650 m ermittelte, wurden nicht offen-gelegt und sind somit nicht nachvollziehbar und prüffähig.

6.In den ursprünglichen Genehmigungsunterlagen für das Gefahrstofflager der DP World wurde bereits ein angemessener Sicherheitsabstand von 1.000 m genannt.

Zu den Berechnungen des Gutachtens gemäß § 29a BlmSchG werden konkret folgende Einwendungen erhoben:
•Explosions- und Brandszenario
Obwohl die Betrachtung dieser Szenarien im Leitfaden KAS-18 vorgeschrieben ist, hat der Gutachter diese Szenarien in seiner Berechnung nicht berücksichtigt.
Es wurden nur Leckagen betrachtet.

•Gebindegrößen
In der Berechnung des Gutachters werden nur für zwei Stoffe Gebindegrößen von
1 cbm und 65 kg erwähnt und somit berücksichtigt, nicht aber die viel größeren
ISO-Tanks mit einem Volumen von 10.000 oder 20.000 Liter, die der Gutachter bei seiner Außenbesichtigung des Werkgeländes offensichtlich nicht gesehen hat.

•Leckgrößen
Im Leitfaden KAS-18 wird zur Ermittlung des Massenstroms in der Regel von einer Leckgröße von 490 qmm (DN 25) ausgegangen. Es wird empfohlen, eine Leckfläche von 80 qmm (DN 10) nicht zu unterschreiten. Der Gutachter hat aber bei einer Teilbetrachtung eines Ventilabrisses eine Leckgröße von DN 7 (ca. 38 qmm) angenommen und somit bei Acrolein den Massenstrom gegenüber DN 20 auf ein Fünftel reduziert. In keinem anderen der von uns gesichteten entsprechenden Gutachten konnten wir eine Abweichung von dieser Empfehlung, die den Charakter einer Vorgabe hat, feststellen.

•Bodenrauigkeit
Die Bodenrauigkeit wird im Gutachten, Seite 16, als „sehr raues Terrain“ angesetzt, was ein Ausbreitungsverhalten von Schadstoffen behindert bzw. reduziert. Gemäß Leitfaden KAS-18 ist von einem rauen, bebauten Gelände als mittlere Rauhigkeitsgröße auszugehen.

•Windgeschwindigkeit
Gemäß Leitfaden KAS-18 ist bei der Berechnung von einer mittleren Ausbreitungssituation und einer Windgeschwindigkeit von 3 m/s auszugehen.
Im Gutachten, Seite 33, wird aber eine davon abweichende mittlere Geschwindigkeit von 2,7 m/s ermittelt. Diese Annahme ist zweifelhaft, da sie nicht auf den aktuellen örtlichen Begebenheiten beruht, sondern sich auf eine zeitlich nicht näher bestimmte Betrachtung des Standortes Ludwigshafen bezieht.
Da die Berechnung für uns nicht einsehbar ist, ist unklar, welche Windgeschwindigkeit für die Berechnung letztlich herangezogen wurde.
Analog dem Vorgehen anderer Städte, z.B. Offenbach, schlagen wir der Stadtverwaltung vor, ihrerseits die Erstellung eines diesbezüglichen neutralen und gerichts-verwertbaren Gutachtens zu beauftragen, um die Verträglichkeit der das Stadtgebiet Germersheim tangierenden Störfall-Betriebsbereiche der Gefahrstofflager von DP World, dem US-Depot und weiterer Einrichtungen unter dem Gesichtspunkt des
§ 50 BlmSchG und der Seveso-Richtlinie (Artikel 12) zu ermitteln. Damit hätte die Stadtverwaltung eine fundierte Grundlage für zukünftige städtische Planungen.

Es ist zwar nicht der Schwerpunkt dieser Einwendung, aber auch das Schalltechnische Gutachten gibt Anlass zu weiteren Einwendungen. Im Einzelnen:
•Die Berechnungen der Schallpegel von den angrenzenden Gewerbe- und Industriegebieten und deren Schallemissionen basieren auf theoretischen Lärmkontingenten, die unter Annahmen und rechnerischer Anwendung von Schallschutzmaßnahmen ermittelt wurden.
Messergebnisse zu den tatsächlichen Schallemissionen, vor allem zu den nächtlichen Spitzenpegeln, liegen nicht vor, weshalb unsererseits auch aus immissions-schutzrechtlicher Sicht Bedenken erhoben werden.
Derartige immissionsschutzrechtliche Bedenken hat auch bereits die Kreisverwaltung Germersheim in ihrer Stellungnahme vom 13.05.2008, Seite 3, zur Änderung des Flächennutzungsplans erhoben.

•Neu entstehender Verkehrslärm im Neubaugebiet
Die Schallemissionen des neu entstehenden Verkehrs durch die Kraftfahrzeugbewegungen des Anlieger- und Durchgangsverkehrs von acht fünfstöckigen Wohngebäuden mit bis zu 300 Wohnungen und je einem siebenstöckigen Verwaltungs- und Hotelgebäude wurden im Gutachten nicht adäquat berücksichtigt.

•Gesamtbetrachtung aller Schallimmissionen im Neubaugebiet
Das Worst-Case-Szenario „Gleichzeitiges Auftreten aller Schallimmissionen“, also der bereits vorhandenen Schallemissionen der B35-Brücke, der Eisenbahnbrücke, des Schiffsverkehrs und der angrenzenden Gewerbe- und Industriegebiete sowie, nach Fertigstellung des Baugebietes, der zusätzlich Schallimmissionen des dann vorhandenen Anlieger- und Durchgangsverkehrs wurde im Gutachten nicht ermittelt.

Zu guter Letzt möchten wir eine Anregung an die Verwaltung formulieren:
Nach den Plänen des Investors ist im länglichen Baugebiet „Am Hafen“ südlich zunächst ein Verwaltungsgebäude, danach acht Wohngebäude und nördlich, an der B35 gelegen, eine Hotelgebäude vorgesehen.
Unabhängig vom Ergebnis der Überprüfung zum angemessenen Sicherheitsabstand und einer eventuell damit einhergehenden Verkleinerung des Baugebietes, wäre es unseres Erachtens für die Bewohner verträglicher, wenn am südlichen Ende des Baugebietes, also ziemlich genau zwischen der B35-Brücke und der Eisenbahnbrücke und somit an der Stelle mit den geringsten Schallimmissionen und dem größten Abstand zum Gefahrstofflager der DP World, zunächst die Wohngebäude mit großen familiengerechten Wohnungen errichtet werden, da hier die Familien mit den dort aufwachsenden Kindern am wenigsten gefährdet platziert sind; danach erst die Wohngebäude mit den Kleinraumwohnungen für Singles, dahinter das Hotelgebäude mit Übernachtungsgästen und erst dann das Verwaltungsgebäude als Nicht-Wohngebäude nahe der B35-Brücke.

Wir würden es begrüßen, wenn die Verwaltung diesbezügliche Auflagen in geeigneter Weise in die vertraglichen Vereinbarungen einbringen würde, unabhängig davon ob sich ggf. die Größe des Baugebietes noch verändert. Auch die maximal zulässige Anzahl der genehmigungsfähigen Wohneinheiten sollte hinsichtlich der Entwicklung des Baugebietes unseres Erachtens überprüft werden.

Aus den vorgenannten Gründen beantragen wir daher den Bebauungsplan Nr. 62 „Am Hafen“ in der vorliegenden Form nicht zu genehmigen.

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Autor:

Gerald Seibel aus Germersheim

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