Interview mit der Gleichstellungsbeauftragten
Warum sind Themen rund um Geschlechterzugehörigkeit für so viele Menschen ein "rotes Tuch"?
Germersheim. Rosa oder blau, Auto oder Puppe? Egal mit welchem Geschlecht geboren, spielen diese Normen für Kinder erst einmal gar keine Rolle. Vielmehr sind es die Gesellschaft und die Marketing-Industrie, die ihre und unsere Lebenswelt ein in `für Jungs´ und `für Mädchen´ einteilt - sagen Experten, sagt die Gleichstellungsbeauftragte im Landkreis Germersheim, Lisa-Marie Trog. „Es wird immer wieder suggeriert, dass Mädchen und Jungen grundlegend unterschiedliche Interessen hätten. Das ist schlichtweg falsch. Normen der Geschlechtszugehörigkeit und Regeln der Geschlechtsunterscheidung sind nicht nur angeboren! Sie werden auch erlernt!“
Damit Kinder nicht, unter Umständen ganz unbewusst, in vorgefertigte Schablonen gepresst werden, haben die drei Gleichstellungbeauftragten so genannte „Kita-Kisten Klischeefrei“ zusammengestellt, die gefüllt sind mit Spielen und Kinderbüchern zur Unterstützung einer gendersensiblen Pädagogik.
Das ist die Nachricht von vor einigen Wochen, die in den sozialen Netzwerken und bei den "Wochenblatt"-Lesern teils auf sehr emotionale, harsche, unsachliche und mitunter sogar homophobe Kritik gestoßen ist. Da stellt sich natürlich die Frage, warum die Erziehung zur Gleichberechtigung aller Geschlechter für viele Menschen so ein rotes Tuch ist. Darüber unterhalten haben wir uns mit Lisa-Marie Trog, der Gleichstellungsbeauftragten im Landkreis Germersheim.
???: Frau Trog, bitte beschreiben Sie und noch einmal kurz, was es mit der Kita-Kiste Klischeefrei auf sich hat? Wozu ist sie gut, was ist darin enthalten, was macht man damit?
Lisa-Marie Trog: "Damit Kinder klischeefrei aufwachsen und ihre Talente entfalten können, brauchen sie Bücher und Spiele, die Vielfalt widerspiegeln. Darauf wurde bei der Auswahl der Bücher besondere Rücksicht genommen. Die Kita-Kiste Klischeefrei beinhaltet Material für die Fachkräfte/Eltern und für Kinder. Die Kiste dient als Instrument, um der Geschlechterungerechtigkeit entgegenzuwirken und Erziehenden Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen. In den Kitas haben wir engagierte Partner gefunden, um Rollenklischees aufzubrechen und weg zu kommen von Kategorisierungen wie männliches oder weibliches Spielzeug oder Verhalten, männliche oder weibliche Interessen und Charaktereigenschaften. Natürlich ist Geschlechtlichkeit Bestandteil eines jeden Menschen. Vor allem im Kindergartenalltag findet ein wesentlicher Entwicklungsschritt zur Identitätsbildung statt. Je nachdem, wie mit den Themen Geschlechterrollen und Geschlechtsidentität umgegangen wird, werden Kinder in ihrem Bewusstsein hinsichtlich Gleichstellung und Gleichberechtigung geprägt."
???: Die Reaktionen auf die Kiste waren in den Sozialen Netzwerken zum Teil heftig ablehnend. Können Sie das verstehen?
Lisa-Marie Trog: "Zumindest bin ich nicht überrascht. Das Thema Gleichstellung/Gleichberechtigung stößt häufig auf reflexartige Abwehrreaktionen. Schade ist, dass häufig in einem Ton kommentiert wird, der wirklich unwürdig ist. Das ist schade, denn für ein konstruktives Gespräch gibt es so kaum eine Chance. Wie so oft, wenn es um Veränderung geht, fühlen sich manche Menschen in ihrer Person angegriffen oder befürchten, dass sie Privilegien verlieren. Für viele ist es leider nach wie vor schwer vorstellbar, dass Gerechtigkeit in unserer Gesellschaft auch Chancengleichheit für Mann und Frau bedeutet. Vor allem im beruflichen Kontext fallen Geschlechtsunterschiede auf. Frauen werden oft als „zickig“ beschrieben, wenn sie sich im Beruf vehement für ein Thema einsetzen, wohingegen es bei Männern als Führungsstärke wahrgenommen wird.
Im Übrigen stößt die Kiste bei den Kitas auf positive Resonanz und wird schon gut nachgefragt."
???: Ein Vorwurf war beispielsweise, man wolle ganz bewusst die „Grenzen zwischen den Geschlechtern aufweichen, weil `trans und solche Sachen` ja jetzt modern sind“ – was entgegnen Sie auf solche Kommentare?
Lisa-Marie Trog: "Das ist eine Interpretation. Sie ist falsch und das steht auch nirgendwo. In erster Linie, geht es uns darum dass Mädchen und Jungen die gleichen Chancen haben sollen und nicht aufgrund ihres Geschlechts Nachteile erfahren. Kern der Debatte ist nicht Geschlechtergleichheit oder eine Umkehr der Geschlechter, sondern Geschlechtersensibilität. Das bedeutetet wiederum nicht, dass Mädchen nicht mehr mit Puppen spielen sollen oder Jungs nicht mehr mit Autos oder dass dies nicht umgekehrt schon gelebt wird. Die Kinder sollen die Möglichkeit haben ihre Persönlichkeit frei zu entfalten, jenseits von Rollenklischees."
???: Warum gehören Kitas zum Aufgabenbereich einer Gleichstellungsbeauftragten? Muss man „damit“ wirklich schon so jung anfangen?
Lisa-Marie Trog: "Es gibt einen gesetzlichen Auftrag zur Herstellung von Chancengleichheit. In Artikel 3 des Grundgesetztes heißt es: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt. Der Staat fördert die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Damit ist es eine gesellschaftliche Aufgabe – und auch Aufgabe der Verwaltung und der Gleichstellungsbeauftragten – die rosa-blauen Strukturen aufzubrechen. Um diesen Strukturen entgegenzuwirken, müssen wir schon die Jüngsten in unserer Gesellschaft berücksichtigen und präventiv handeln.
Wir treten dafür ein, dass Kindern ein breites Spektrum an Möglichkeiten geboten wird und sie frei von klassischen Rollenbildern in ihren Fähigkeiten und Talenten gestärkt werden. Mit der „Kita Kiste Klischeefrei“ erhalten die Erzieherinnen und Erzieher, Eltern und Interessierte ein „Werkzeug“, mit der sie Mädchen und Jungen in ihrer individuellen Geschlechterentwicklung fördern können."
???: Muss man heutzutage immer noch betonen dass jeder, egal welches Geschlecht, jeden Beruf ergreifen, jede Farbe tragen und jede gesellschaftliche Rolle wahrnehmen kann? Wird so etwas (noch) nicht ganz natürlich in den Familien gelebt/gelehrt?
Lisa-Marie Trog: "Ja es muss immer wieder betont werden, denn bewusst oder unbewusst verfallen wir immer wieder in Verhaltensweisen, die einer Chancengleichheit entgegenstehen. Insbesondere Kinder werden zum Beispiel durch die Industrie manipuliert, indem Spielsachen ausschließlich für Jungen oder ausschließlich für Mädchen hergestellt und angeboten werden. Damit beginnt ja auch die Unterscheidung in Berufen – klassischer Männer- oder Frauenberuf, Männer besetzten weit mehr Führungspositionen und so weiter.
Gerade Frauen mit Kindern haben es in Führungspositionen schwer. Viele Unternehmen oder Verwaltungen sträuben sich zum Beispiel Modelle wie „Führen in Teilzeit“ anzubieten. Natürlich gibt es auch viele Positiv-Beispiele in Sachen Geschlechtergerechtigkeit. Von einer Gleichberechtigung sind wir aber noch weit entfernt. Studien belegen immer und immer wieder, dass Frauen überwiegend neben der Berufstätigkeit für die Fürsorgearbeit verantwortlich sind. Männer arbeiten immer noch häufiger in Vollzeit als Frauen. Wenn sich hier was ändern soll, müssen auch die Rahmenbedingungen auf Bundesebene dafür geschaffen werden. Es hängt nicht immer an den tradierten Rollenbildern, sondern auch an grundsätzlichen Möglichkeiten wie Elterngeld, Kinderbetreuung und so weiter."
Autor:Heike Schwitalla aus Germersheim | |
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