#briefwechsel
Es wird scharf geschossen im Corona-Meinungskrieg

Foto: Thomas Wolter/Pixabay

Wertgeschätzte Kollegin, liebe Frau Bauer,
nichts ist es mit Solidarität - das ist sie nun, die „schöne, neue Welt“ – nach dem totalen #lockdown.  Doch im Moment erinnert sie mich eher an Orwells „Animal Farm“. Toleranz, Verständnis, Mitgefühl – Fehlanzeige. Es regieren Hass, Wut, Intoleranz und Egoismus, besonders in den so genannten sozialen Netzwerken, die sich derzeit leider allzu oft als asoziales Sammelbecken kranker und aggressiver Egomanen darstellen.
Haben wir es verkackt? Haben wir es tatsächlich geschafft, das kleine Pflänzchen der viel beschworenen „große Chance“ für unsere Gesellschaft quasi in weniger als einer Millisekunde der Erdgeschichte platt zu trampeln, bevor es sprießen konnte?
Sie finden, das klingt verbittert? Ist es auch! Denn selten habe ich, liebe Frau Bauer, auch auf den Internetseiten, die wir gemeinsam seit Jahren verwalten, so viel Hass und Hässlichkeit gelesen.
Die ganze Palette der Unmenschlichkeit – einmal rauf und wieder runter, sie wissen es selbst. Zu garstig, zu politisch unkorrekt, zu beleidigend, um des Zitierens würdig zu sein. Es bleibt ja jedem selbst überlassen, es im Internet nachzulesen.
Dass Menschen ihre Meinung haben und äußern, dass andere Menschen diese Meinung nicht unbedingt teilen – ein Phänomen, dass es auch schon vor Corona gab. Aber der Ton hat sich geändert, wird immer schärfer – und da, wo man früher noch einen zwinkernden Emoji hinzugefügt hätte, regiert heute der blanke Hass. Einen Meinungskrieg hat es ein Social Media-Experte kürzlich genannt, der sich aufgrund der Corona-Einschränkungen vor der Straße größtenteils ins Internet verlagert hat.
Ich lese und denke, schämen die sich denn nicht? Was, wenn das Bekannte lesen, Familie, Kinder? Ok, einige benutzen falsche Namen, andere aber auch nicht, stehen ganz bewusst zu den Drohungen, Anfeindungen und Unwahrheiten, die sie im Internet verbreiten. Ich schäme mich für sie alle – für den Hass, die Lügen, die Gemeinheiten mit denen sie anderen Menschen begegnen und ich schäme mich dafür, dass sie unsere Internet-Plattformen dafür nutzen, ihren unmenschlichen Müll in Umlauf zu bringen.

„Falls Freiheit überhaupt etwas bedeutet, dann bedeutet sie das Recht darauf, den Leuten das zu sagen, was sie nicht hören wollen“ schreibt Orwell in seiner „Farm der Tiere“. Ein Recht, für das es sich zu kämpfen lohnt, ein Recht, das mehr und mehr unter Beschuss steht. Ein Recht aber auch, das mit Maß und Vorsicht genossen werden muss, denn wo die Gedanken noch frei sind, sind es die Worte dann nicht mehr, wenn sie andere bedrohen, beleidigen, erniedrigen.

In diesem Sinne, liebe Frau Bauer, bleiben Sie gesund und genießen Sie die wieder möglichen Ausflüge in die Biergärten. Vergessen Sie ihre Maske nicht und waschen Sie sich immer schön die Hände. Denn auch wenn unsere „freiheitsliebenden Mitbürger“ das gerne anders sehen: Die Corona-Pandemie ist noch lange nicht vorbei, es gibt nur gerade wieder ein paar mehr freie Betten auf unseren Intensivstationen.

Den kompletten Briefwechsel gibt es hier

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Autor:

Heike Schwitalla aus Germersheim

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