Von der Amputation zum deutschen Meister: Grenzenloses Glück durch Fußball
Südpfalz/Mainz. „Das erste Mal seit einem Jahr konnte ich wieder auf zwei Beinen stehen, – zumindest gefühlt. Es war ein unglaubliches Gefühl“, blickt Florian Fischer strahlend zurück. Nach Monaten voller Unsicherheit brachte der Moment, in dem er seine Prothese bekam, einen Funken Normalität zurück. Heute, zwölf Jahre später, steht der 28-Jährige wieder fest auf den Beinen – und das nicht nur sprichwörtlich.
Ein regnerischer Tag in Berlin markierte einen weiteren Höhepunkt seines Lebens: Fischer und seine Mannschaft gewannen die deutsche Meisterschaft im Amputierten Fußball. Mit einem breiten Grinsen und feuchten Augen hielt er die Meisterschale in den Händen. „Ich hab geheult, mir ging es schlecht, mir ging es gut, ich war happy, – alles gleichzeitig“, erzählt Fischer. Seine Familie war extra angereist, um ihn zu unterstützen. Der Erfolg war das Resultat harter Arbeit, doch er stand auch für etwas Größeres: die Bedeutung von Gemeinschaft, Zielstrebigkeit und Freude am Spiel. „Es war einfach überwältigend, als wir es geschafft haben. Das sind die Momente, für die man lebt.“
Doch dieser Triumph ist nur einer von vielen Meilensteinen auf einem langen Weg voller Höhen und Tiefen. Mit 14 Jahren veränderte ein bösartiger Tumor in seinem Knie Fischers Leben grundlegend. „Der Tumor war schon so groß wie ein Tennisball und hatte die Arterie und Muskeln schwer beschädigt. Erst wurde versucht, das Bein mit einem künstlichen Kniegelenk zu retten, aber das hat nicht funktioniert“, erinnert er sich zurück. Nach anderthalb Jahren voller Schmerzen und Einschränkungen wurde das Bein amputiert.
Was für viele wie ein Tiefpunkt erscheint, wurde für den gebürtigen Neupotzer zum Wendepunkt. „Die Amputation war für mich wie ein ,Cut‘ – im doppelten Sinn. Ab da ging es nur noch bergauf“, sagt Fischer mit einem sanften Lächeln. Ein weiterer prägender Moment folgte, als er seine Prothese bekam: „Dieser Moment hat mir gezeigt, dass wieder Normalität möglich ist.“ Zwei Monate nach der Operation begann er die Reha, vier Monate später erhielt er die Prothese. „Ich konnte fast alles wieder machen wie vorher“, sagt er. Bald darauf kehrte er in die Schule nach Herxheim zurück und begann, sein Leben neu zu gestalten.
Leidenschaft für den Fußball
Fußball war schon immer Fischers große Leidenschaft. „Ich habe mit sechs Jahren angefangen und bis 14 gespielt. Danach musste ich aufhören, aber der Fußball hat mich nie losgelassen.“ Erst mit 20 Jahren entdeckte Fischer den Amputierten Fußball für sich. „Anfangs dachte ich: Jetzt habe ich diese geile Prothese. Warum sollte ich sie wieder ausziehen? Aber als ich es probiert habe, war ich sofort begeistert.“ Seitdem hat er kaum ein Training oder Spiel verpasst. „Es ist einfach Fußball. Ich liebe diesen Sport.“
Amputierten Fußball ist nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch der Kondition. „Das Krückenlaufen ist abartig anstrengend“, erklärt Fischer. „Du musst dir deine Kraft gut einteilen. Ein Sprint nach vorne und dann direkt wieder zurück, – das ist richtig hart.“ Fischer weiß genau, wie er seine Energie nutzt und legt dabei immer großen Ehrgeiz an den Tag. Auch außerhalb der Trainingseinheiten bleibt er aktiv: „Ich trainiere manchmal mit der zweiten Mannschaft meines Heimatvereins in Neupotz mit. Der Trainer passt das Programm auch mal an mich an, wenn ich mich eintrage.“ Mit Krücken statt Prothese hält er sich fit und genießt die Gemeinschaft. „Ganz allein auf dem Platz zu stehen, ist deprimierend. Es ist schön, mit Leuten und im Team zusammen zu sein.“
Besonders ist dabei auch Fischers Engagement für den Amputierten Fußball. Als leidenschaftlicher FCK-Fan spielt er heute in der Bundesliga für Mainz 05, zuvor für Hoffenheim, – nicht optimal für einen Vollblut-Lautrer. Dass er nicht für seinen Herzensverein spielen kann, bedauert er: „Es fehlt einfach an Angeboten. Aber wir sehen uns auch als Netzwerker, um den Amputierten Fußball voranzutreiben. Es braucht mehr Aufmerksamkeit für unseren Sport.“ In Deutschland gibt es derzeit nur fünf Mannschaften, und Fischer setzt sich aktiv dafür ein, dass es mehr werden. „Wir versuchen immer, neue Spieler zu gewinnen und den Austausch zu fördern. Der Sport ist noch so unbekannt, das wollen wir ändern.“
Durch den Amputierten Fußball hat Fischer nicht nur seine Leidenschaft neu entfacht, sondern auch Freundschaften fürs Leben geschlossen. „Stefan, einer meiner besten Freunde, habe ich durch den Fußball kennengelernt. Ich war sogar sein Trauzeuge. Es geht bei uns nicht nur um Sport, sondern um echte Verbindungen.“
Erfolge und Zukunftspläne
Der 28-Jährige feierte bereits große Erfolge: Mit Hoffenheim wurde er einmal deutscher Meister und dieses Jahr gewann er mit Mainz 05 die Meisterschaft im Amputierten Fußball. "So gewinnen die Mainzer auch mal eine deutsche Meisterschaft", betont Fischer lachend. Auch für die deutsche Nationalmannschaft war er mehrfach im Einsatz und nahm an drei Europameisterschaften teil – ein persönlicher Erfolg, der seine Leidenschaft für den Sport widerspiegelt. „Unser Ziel ist es, uns langfristig an die Top-Nationen heranzuarbeiten. Dieses Jahr haben wir es ins Viertelfinale der EM geschafft. Das war ein riesiger Schritt.“
Auch persönlich hat der 28-Jährige ambitionierte Pläne. 2025 darf er mit Mainz in der Champions League gegen die sieben Meister der besten Nationen antreten, 2026 steht die WM an. „Ich will noch zehn bis 15 Jahre spielen. Es gibt Spieler, die mit Mitte 40 noch auf Topniveau sind. Das motiviert mich.“
Dankbarkeit und Lebensfreude
Trotz aller Herausforderungen sieht Fischer das Positive in seiner Situation. „Manchmal frage ich mich, was gewesen wäre, wenn ich gesund geblieben wäre. Wie weit hätte ich es im Fußball geschafft? Aber andererseits habe ich durch den Amputierten Fußball so viel erlebt, das hätte ich sonst nie gehabt.“ Seine Prothese sieht er mittlerweile als Teil seines Lebens. „Mit kurzer Hose im Sommer – ja, die Leute gaffen, aber irgendwie finde ich das cool. Sie gehört zu mir.“ Auch im Alltag zeigt er seinen Humor: „Am Ende ist es doch so: Ich kann alles machen, worauf ich Lust habe. Und wenn ich mal zwei Bier in der Hand habe und mich durch eine Menge schlängeln muss, finde ich schon einen Weg.“
Für Florian Fischer bedeutet Glück, die Dinge zu tun, die ihm Freude bereiten und die Unterstützung seiner Familie und Freunde zu haben. „Ich bin dankbar, dass ich all das erleben darf. Und ich bin gespannt, was die Zukunft noch bringt.“
Über den Amputierten Fußball in Deutschland
Amputierten Fußball ist eine Variante des Fußballs für Spieler mit Amputationen. Gespielt wird auf einem kleineren Spielfeld, 40 x 20 Meter, in Teams aus vier Feldspielern und einem Torwart. Die Feldspieler haben eine Amputation an den unteren Extremitäten, sie nutzen Krücken, während Torhüter eine Amputation an den oberen Extremitäten haben. Alle Spieler müssen etwaige Prothesen im Spiel ablegen. Es gibt kein Abseits, und das Berühren des Balls mit den Krücken wird als Handspiel gewertet.
In Deutschland gibt es derzeit fünf Mannschaften: Neben dem 1. FSV Mainz 05 haben der Hamburger SV, Fortuna Düsseldorf, Anpfiff Hoffenheim und Tennis Borussia Berlin ein Team. Durch die deutsche Meisterschaft haben sich die Mainzer rund um Florian Fischer für die Champions League 2025 qualifiziert. Hier treten die acht Meister der acht besten Nationen an einem Turnierwochenende Ende Mai gegeneinander an. Die deutsche Nationalmannschaft erreichte bei der EM 2024 in Frankreich den siebten Platz und qualifizierte sich damit für die WM 2026 in Costa Rica. Die Türkei, Polen und England gehören zu den Top-Nationen im Amputierten Fußball.
Amputierten Fußball ist bisher keine paralympische Disziplin. Durch Erfolge wie die deutsche Meisterschaft steigt die Aufmerksamkeit bei Mainz 05. Wer Interesse hat, mit Sponsoring zu unterstützen oder selbst mitzuspielen, kann sich über die Webseite des Vereins oder des deutschen Amputierten Fußballs oder direkt bei Ansprechpartnern wie Christian Heintz, per E-Mail an c.heintz@amputierten-fussball.de, informieren.
Autor:Katharina Wirth aus Herxheim |
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