Ein besonderer Ort
Das Schweinheimer Kirchel
Jockgrim. Täglich kommen Menschen zum Schweinheimer Kirchel, diesem kleinen, sehr schlichten Andachtsort unter sechs alten Bäumen im Oberschweinheimer Feld. Dort halten sie inne, verweilen still, beten und zünden Kerzen an. Was zieht die Menschen immer wieder an diesen bescheidenen Ort, über dem ein stiller Zauber liegt?
Seit wann gibt es dieses Kirchel? Kaum verlässliches Wissen gibt es über die Anfänge dieser Andachtsstätte. Das Dorf Schweinheim soll im 6. Jahrhundert von den Merowingern gegründet und nach dem fränkischen Anführer „Sweino“ benannt worden sein. Eine Urkunde, in der Schweinheim genannt wird, gibt es erst 500 Jahre später. Danach soll der salische König und spätere Kaiser Heinrich III. im Jahr 1051 die Königskirche in Sveninheim samt der dazugehörigen Gemarkung den Bischöfen von Speyer überlassen haben. Die salischen Herrscher festigten ihre Autorität mit Hilfe der Reichskirche. Daher stehen in den Urkunden oft Schenkungen an die Kirche. Die Salier sahen die Legitimation ihrer Herrschaft im Gottesgnadentum begründet.
Zwischen 1150 und 1250 soll in Schweinheim (wieder) eine Kirche errichtet worden sein, die bis ins 15. Jahrhundert genutzt worden sein soll. In den 1960er Jahren wurden bei Renovierungsarbeiten Grundmauern eines kleineren Kirchenraums innerhalb des heutigen Kirchels gefunden.
1000 Jahre ältere Siedlungsspuren im „Oberschweinheimer Feld“ sind aus römischer Zeit (ca. 10 v. Chr. bis ins 5. Jh. n. Chr.) nachgewiesen. Die Entfernung vom Leugenstein an der einstigen Römerstraße im heutigen Bienwald bis zum Kirchel beträgt Luftlinie 850 m. Die römische Rheintalstraße wurde mindestens bis ins Mittelalter genutzt. Sie verfiel im Laufe der Jahrhunderte, da sie nicht mehr wie im römischen Reich pflegt wurde. Heute ist die Römerstraße zwischen Wörth und Jockgrim teilweise im Bienwald noch zu erkennen.
1905 wurden bei Erdarbeiten nördlich der Eisenbahnbrücke an der Jockgrimer Bahnlinie nahe dem Schweinheimer Kirchel römische Urnengräber entdeckt. Elf Tongefäße wurde geborgen, die als „spätrömische Keramik“ der Zeit zwischen 250 – 350 datiert wurden. Haben diese Urnengräber zu einem römischen Gutshof (villa rustica) gehört? Römische Gräberfelder finden sich immer außerhalb der Siedlungen an den Ab- und Zufahrtswegen. Schon 1882 wurde nördlich dieses Fundes bei Arbeiten am Bahndamm das Bruchstück eines Terra-Sigillata-Tellers mit dem Töpferstempel CAPITOLINUS gefunden (Chronik Jockgrim, Rasimus 1992 – bezieht sich auf Sprater).
Vermutlich war das Oberschweinheimer Feld sogar schon vor römischer Zeit besiedelt. Viele keltische Grabhügel am Oberrhein (auch im Bienwald) und archäologische Funde weisen darauf hin. Kult und Religion spielten bei den Kelten eine große Rolle. Sie verehrten ihre Götter in heiligen Hainen, die als Waldstücke mit Eichen von den Römern beschrieben wurden. Auch während der Römerzeit und danach lebten die Menschen noch nach keltischen Riten. Vielleicht auch schon an diesem Platz.
Aus alten Zeiten gibt es immer Dinge, die heute wissenschaftlich fraglich sind. Dazu gehören Ley Linien, die angeblich prähistorische Kultstätten und sogenannte Kraftorte miteinander verbanden. Siehe Artikel Wobla vom Februar 2021: https://www.wochenblatt-reporter.de/stadtanzeiger-neustadt/c-lokales/kapellen-in-der-pfalz_a269253 Nach der Karte der Leylinien in Rheinland-Pfalz verläuft eine Leylinie tatsächlich am heutigen Jockgrim vorbei.
Christliche Kirchen wurden oft über den Kultplätzen der bestehenden Religionen errichtet, um die alten Götter zu verdrängen und den christlichen Glauben zu stärken. Steinerne Zeugen der anderen (heidnischen) Religionen wurden zerstört oder als Baumaterial wieder verwendet.
Menschen, die im Mittelalter auf dem Besitz des Bistums lebten und die Felder bestellten, mussten einen Teil ihrer erwirtschafteten Erträge der Äcker abgeben und/oder waren zur Fronarbeit für das Bistum verpflichtet. Dies war so bis zur französischen Revolution. In den Urkunden Hochstifts Speyer steht, dass „Sweinheim“ seit der Mitte des 12. Jh. bis 1341 ein abgabepflichtiges Dorf des Hochstifts Speyer war, danach nicht mehr. Ab 1366 steht Jockgrim in den Urkunden.
Im 14. Jahrhundert wurde Europa von Klimaveränderungen und Seuchen heimgesucht. Schwere Vulkanausbrüche in Indonesien führten ab 1313 zu einer Abkühlung des Klimas auf der Nordhalbkugel, Hochwasser mit Zerstörung von Infrastruktur und Ernteausfälle waren die Folge. Die Menschen hungerten. Kurz danach verursachte ein Virus die Rinderpest, das Rinder und andere Nutztiere tötete.
1347 brachten Schiffe die Pest in die Häfen des Mittelmeers. Auf den Verkehrswegen reiste das Bakterium Yersinia pestis durch Süd- und Westeuropa und erreichte 1349 Mitteleuropa. Hier in der Rheinebene verbreitete es sich über den Schiffsverkehr auf dem Rhein und entlang der meist noch römischen Fernstraßen. In Mainz starb fast jeder dritte Einwohner an der Pest. Die bestehende Ordnung und die Verwaltung brachen zusammen, niemand mehr führte Buch über Todesfälle. Heute schätzt man, dass ein Drittel der Bevölkerung im Laufe des 14. Jahrhunderts gestorben ist. Dörfer verschwanden.
Für die These, dass Schweinheimer zu dieser Zeit nach Jockgrim „übersiedelt“ wären, gibt es keine Nachweise. Bauern lebten in Friedenszeiten selten in einer Befestigung kilometerweit von ihren Feldern (ihrer Arbeit) entfernt. In mittelalterlichen Städten lebten Händler und Handwerker in ihren Läden und Werkstätten. 1366 gab es noch keine Stadtmauer, mit deren Bau wurde 1390 begonnen.
In den sechziger Jahren des 15. Jahrhunderts entstanden im Bienwaldraum neue Kirchengebäude, darunter wohl auch die erste Kirche im heutigen Hinterstädtel Jockgrim.
Über 400 Jahre nach der letzten Erwähnung von Schweinheim ist in der Chronik von Jockgrim ein Pfarrbericht von 1747 erwähnt, nach dem das Schweinheimer Kirchlein ohne Einkünfte und Güter war und aus gutem Willen der Gemeinde erhalten wurde. Am Ende der Franzosenzeit (1814) wurde das verwüstete Kirchel instandgesetzt. Rasimus beschrieb in der Chronik Renovierungen des Kirchels im 19. Jahrhundert, finanziert und teilweise durchgeführt durch die Bevölkerung mit Zuschüssen der Kirche. Auch Pfarrer Alfons Gebhart berichtet in seinem Buch (2011) über die Jockgrimer Geschichte von den Geschehnissen rund um das Kirchel seit dem 18. Jahrhundert. Er berichtet, dass bis 1786 Verstorbene an der Kapelle bestattet wurde. Wo am Kirchel soll dieser Friedhof gewesen sein? Rund um das kleine Grundstück wird (und wurde) auf den Äckern Landwirtschaft betrieben. Auch auf dem ehemaligen Friedhof? Ein Grundstück sei 1909 neben dem Kirchel dazugekauft und mit Linden bepflanzt worden.
Die letzte große Renovierung im 19. Jahrhundert war 1879 ein neuer Dachstuhl. Seit diesem Jahr wird das Kirchel von Mitgliedern der Familie Gebhart betreut (s. Foto Gedenkkreuz am Kirchel).
Im 20. Jahrhundert wurde das Kirchel weiter instandgehalten. 1969 war die letzte große Renovierung. Jockgrimer Handwerker haben seitdem immer mal wieder den Kirchenraum vom Ruß tausender Opferkerzen befreit und frisch gestrichen. Diese Handwerker gibt es leider nicht mehr. Auch heute finden sich immer wieder Menschen zusammen, die das Kirchel in Ordnung halten: Bänke reparieren, Pflanzen pflegen, den Kirchenraum und die Lourdesgrotte schmücken.
Im Kirchel wurde ein schwarzes Schutzbild der Mutter Gottes verehrt, das 1971 gestohlen und seitdem nie mehr gesehen wurde. Sehr lange schon wird jährlich wird am 2. Juli zum Fest Mariä Heimsuchung eine Wallfahrt zum Kirchel begangen.
2001 ließ Pfarrer Alfons Gebhart zu seinem goldenen Priesterjubiläum auf dem Weg zum Kirchel einen Kreuzweg errichten und 2011 mit Zypressen bepflanzen. Die Zypressen wachsen schlank in den Himmel und verbreiten mediterranes Flair.
Seit Jahrhunderten kommen Menschen an diesen Platz und halten Zwiesprache mit ihrem Gott. Beteten die Kelten hier schon zu ihren Göttern? Und die Römer zu den griechisch-römischen Göttern? Christen beten hier seit rund 1400 Jahren zu ihrem dreifaltigen Gott, der Gottesmutter Maria und den Heiligen. Unzählige Gebete und Fürbitten dürften die Menschen hier ihren Göttern und Heiligen vorgetragen haben. Wieviele Hoffnungen und Wünsche wurden beim Entzünden der Kerzen an diesem unvergleichlichen Ort gen Himmel geschickt?
Autor:Andrea Abt aus Jockgrim |
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