Schönstes Fest der Pfalz
Die „Sischelbacher Kerb" - Ein Ort steht Kopf
Kaiserslautern-Siegelbach. Die "Sischelbacher Kerb" hat im Stadtteil in Kaiserslauterns Norden eine ganz besondere Bedeutung: Jedes Jahr aufs Neue geschieht am dritten Septemberwochenende Seltsames in Siegelbach. Für gewöhnlich seriöse, untadelige und ernsthafte Zeitgenossen – „Sischelbacher Feiermeis“ eben – geraten in einen Zustand, der für viele Außenstehende seltsam anmutet. Es knistert schon vorher, man zählt den Countdown und kann’s schon seit Wochen nicht abwarten, dass es endlich losgeht. Geht’s dann endlich los, hält’s die „Sischelbacher Feiermaus“ normalerweise nicht mehr auf den Bänken. Man singt, tanzt und hat gute Laune – erst recht beim absoluten Höhepunkt, dem Frühschoppen an Kerwemontag. Dort kommt man – selbstverständlich mit Hut bekleidet – noch einmal so richtig in Stimmung. Nach vier Tagen „Sischelbacher Kerb“ sind die „Feiermeis“ dann wieder seriöse, untadelige und ernsthafte Zeitgenossen. Dieses Phänomen gibt’s eben nur in der fünften Jahreszeit der Siegelbacher: „‘s is halt Kerb!“ Warum aber ist ausgerechnet hier die Vorfreude vielleicht sogar noch ein bisschen größer als anderswo?
Die Kirchweih – der Ursprung der „Kerwe“
Dieser Frage ging man schon 2015 auf den Grund. Damals gab es ein Jubiläum zu feiern: 20 Jahre Zeltkerwe in Siegelbach. Das inzwischen leider verstorbene Urgestein Gerald Eckler erzählte, was die Kerwe bereits vor Jahrzehnten so besonders machte. „Kerwe ist ja bloß ein anderes Wort für Kichweih“, begann er damals seine Erklärung zur pfälzischen Kerwetradition. Früher, als die Gemeinden nach und nach ihre eigenen Kirchen erbauten, wurden diese mit einem Fest entsprechend geweiht und eher unregelmäßig ein Jubiläum gefeiert. „Das reichte den Leuten damals nicht, man wollte ein zentrales Fest im Jahr, bei dem man mit allen Dorfbewohnern zusammenkommen konnte“, erzählte er.
Die Kerwe verunglimpfte also mehr oder weniger die ursprüngliche Kirchweih. „Man muss sich darüber Gedanken machen: Der Kerweredner auf der Leiter mimte sozusagen den Pfarrer mit seiner Predigt und die Straußbuben, die darunter standen, die Kirchengemeinde“, erläuterte Gerald Eckler 2015. Deshalb heißt der Kerweredner mancherorts auch heute noch „Kerwepfarrer“. Die Geschichten, die die Menschen damals in den Gastwirtschaften der Dörfer aufgriffen, wurden dann natürlich in der Kerwerede dargestellt.
An fast jeder Gastwirtschaft im Ort hing ein Kerwestrauß
Zeitweise hatte gar jede Dorfwirtschaft in Siegelbach ihre „Straußborsch“, Kerweredner und natürlich den mit bunten Papierbändern geknüpften (zu pfälzisch: „geknibbelten“) Kerwestrauß. „Die Wirtsleute haben das natürlich ausgenutzt und in jeder der acht Gastwirtschaften wurde Kerwe gefeiert. Als Dank gab es für die jeweiligen Straußborsch dann auch eine Spende“, sagte Eckler. Besonders der Frühschoppen in der Gastwirtschaft „Albrecht“, dort wo heute die Gaststätte „Zur Feiermaus“ ist, war für die meisten Ur-Siegelbacher legendär. Damals platzte das Gasthaus über die Kerwetage aus allen Nähten und wer montagmorgens nicht pünktlich zum Frühschoppen kam, der musste gerne auch mal vor der Tür warten.
Was aber bedeutete „Kerwe“ noch für ihn? „Die Kinder können das mittlerweile vielleicht nicht mehr nachvollziehen, aber gerade für uns als Kinder war die Kerwe etwas ganz Besonderes: Da gab es Dinge, die man übers Jahr nicht bekam – Zuckerstangen, Schaumküsse und andere Süßigkeiten hat es ja sonst nicht gegeben.“
Mit den Gastwirtschaften stirbt beinahe auch die Tradition
In Siegelbach war es dann mit der Zeit so wie vielerorts: Mit den Schließungen der verschiedenen Gastwirtschaften erlag beinahe auch die Kerwetradition. Besonders, nachdem auch „‘s Albrechte“ geschlossen war – dort, wo sonst immer legendäre Kerwen gefeiert wurden. Es gab auf dem Dorfplatz zwar einen Kerwebetrieb mit „Reitschul“, Süßigkeitsständen oder Schießbuden, aber einen Kerwetanz oder Frühschoppen gab es Anfang der 1990er Jahre plötzlich nicht mehr. „1994 kamen dann etliche junge Menschen mit schwarzen Fahnen zur Kerweeröffnung und wir redeten darüber, wie es weitergehen soll“, erzählt der ehemalige Ortsvorsteher Manfred Henrich. Er hatte ein offenes Ohr für die Anliegen der jungen Menschen, sagte aber, dass man nicht nur meckern darf, sondern auch machen muss.
Sie folgten seinem Rat und haben „gemacht“. Binnen weniger Tage stellten sie eine kleine Kerwe mit Zelt und Musik auf die Beine – der Keim des „Vereins zur Förderung der Kerwe, Kultur und Jugend in Siegelbach (KKJ)“. „Das war natürlich eine tolle Sache. Viele bedauerten, dass es nichts mehr gab, aber diese Leute nahmen es tatsächlich selbst in die Hand“, lobt er die damaligen Organisatoren. Denn die Kerwe sei wichtig als zentrales Fest im Ort mit großer Identifikation und emotionaler Bedeutung für die Siegelbacher. „Eine wichtige Rolle spielen natürlich auch die Straußbuben, die ihren Kerwestrauß sonntags präsentieren“, findet Manfred Henrich. Die Kerwe sei entsprechend schon immer ein zentrales Ereignis im Ort gewesen, denn früher gab es auch weniger Feste.
Die „märchenhafte Auferstehung“ der „Sischelbacher Kerb“
Rückblende ins Jahr 1995: Es stellt sich heraus, dass es auch in diesem Jahr außer einigen Ständen auf dem Dorfplatz keine größere Kerwe geben wird. Also stecken im Sommer viele junge Siegelbacher die Köpfe zusammen und überlegen, wie die Kerwe wiederbelebt werden könnte. Ein Jahr zuvor sind sie noch mit schwarzen Fahnen zur Kerweeröffnung gezogen. Jetzt ist es also an der Zeit zu „machen“. Es werden Aufgaben verteilt: Ein Zelt muss her, Musik darf nicht fehlen, Getränke natürlich auch nicht. Nach und nach laufen alle Fäden zusammen zu einem großen Strang. Der grobe Plan steht. Wohlgemerkt: Es gab damals keine Sponsoren, die jungen Leute spendeten ihr eigenes Geld in der Hoffnung, dass die Rechnung am Ende eine „schwarze Null“ ergibt und lediglich die Kosten gedeckt sind. Es folgte aber, womit niemand gerechnet hatte: Die „märchenhafte Auferstehung“ der „Sischelbacher Kerb“.
Eine Erfolgsgeschichte
Die erste Auflage der Zeltkerwe war ein voller Erfolg, ein sagenhafter Gewinn von 8.000 D-Mark stand zu Buche. Dieser Gewinn wurde an den Protestantischen Kindergarten gespendet. Dass dies aber möglich war, musste ein Verein gegründet werden: Jetzt schlug sie also, die Geburtsstunde des KKJ Siegelbach! Der Verein wurde gut einen Monat nach dieser Kerwe gegründet und ist seitdem stetig gewachsen und fest verwurzelt im Siegelbacher Ortsgeschehen. Inzwischen veranstaltet der KKJ alle zwei Jahre seine Theaterreihe „KKJ goes Broadway“, richtet verschiedene Veranstaltungen selbst aus oder hilft bei Veranstaltungen des Vereinsrings mit. Ein besonderer Meilenstein des KKJ: Der Spielplatz „am Geiersberg“ wurde in Eigenregie geplant, finanziert und gebaut. Dieser Spielplatz wurde dann im Sommer 1998 an die Stadt übergeben und 1999 um eine Rutschbahn erweitert. Nur wenige Jahre später gingen die Vereinsmitglieder hier erneut ans Werk und bauten im Jahr 2004 den Wasserspielplatz. Wieder in eigener Planung, Finanzierung und Umsetzung. Inzwischen gibt es dort auch ein neues Klettergerüst, das vom KKJ vor zwei Jahren gestiftet wurde. Kurzum: Das durch zahlreiche Veranstaltungen (und eben auch die Kerwe) erwirtschaftete Geld fließt zurück in gemeinnützige Projekte im und für den Ort.
Die Vereinsgründung des KKJ bleibt keine Eintagsfliege
Peter Albrecht, langjähriger 1. Vorsitzender des KKJ, war 1995 dabei, als die Kerwe wiederbelebt wurde. Er fasst zusammen, welche Bedeutung die „Sischelbacher Kerb“ in seinen Augen hat: „Für mich ist sie sozusagen die ‚Ursuppe‘ oder der Keim des KKJ, aus dem so viel entstanden ist“, sagt er. „Wir haben den Spielplatz ‚Am Geiersberg‘ gebaut, spielen Theater, veranstalten KKJ-Unplugged im Park und den Dixieland Frühschoppen und wir haben wirklich keine Nachwuchsprobleme.“ Die Vereinsgründung aufgrund der Kerwe blieb keine Eintagsfliege.
Christine Sann ist heute noch 2. Vorsitzende des Vereins und hat deshalb einen besonderen Bezug zur Kerwe: „Es ist das Fest im Ort. Alle, die hier noch Wurzeln haben, kommen dafür in die alte Heimat zurück. Und den Termin kennt jeder hier im Ort.“
Hand in Hand die Tradition erhalten
Schon ein Jahr nach der Vereinsgründung gaben sich KKJ und Sportclub Siegelbach die Hand und richteten die Kerwe gemeinsam im großen Festzelt auf dem Kerweplatz aus. Die Rollen sind seitdem klar verteilt: Der SCS ist für das große Zelt mit Getränkeverkauf zuständig, der KKJ für die Bar direkt daneben. Die Kosten der Bands, die samstags und montags auftreten, teilen sich die Vereine auf. Das Miteinander funktioniert seitdem reibungslos und gemeinsam wird die Kerwetradition in Siegelbach erhalten.
„Die Kerwe ist für uns einfach etwas Besonderes“, sagt der aktuelle 1. Vorsitzende des KKJ, Lars Jacob. Er ist selbst als „Straußborsch“ zum Verein gestoßen, spielt seither regelmäßig bei „KKJ goes Broadway“ mit und kam über den Ausschuss schließlich zum Vorstandsamt. „Diese ‚Laufbahn‘ nehmen bei uns viele, die über die Straußjugend mit dem KKJ in Kontakt kamen“, erzählt er. Viele der heutigen Mitglieder im Ausschuss haben genau diesen Weg genommen, andere wiederum sind Gründungsmitglieder – ein guter Altersdurchschnitt. „Die Kerwe ist hier in Siegelbach eine Tradition für Alt und Jung. Obwohl der Stadtteil sehr gewachsen ist, bewahren wir hierdurch immer noch den dörflichen Charakter und spätestens zur Kerwe kommen alle wieder zusammen. Das ist eine schöne Sache“, findet der Vorsitzende.
Kerwemontag ist der höchste Feiertag
Auch wenn von Freitag bis Sonntag schon Hochbetrieb auf dem Kerweplatz und im Zelt herrscht, hat sich eine Sache in all den Jahren nicht verändert: Der Frühschoppen an Kerwemontag ist der absolute Höhepunkt der „Sischelbacher Kerb“. Wenn um Punkt 11 Uhr das Lied der „Treuen Bergvagabunden“ ertönt – noch so eine Tradition, bei der niemand weiß, woher sie eigentlich kommt – hält es hier niemanden mehr auf den Bänken. Ab dann steht das Zelt Kopf. Und wenn gegen 15 Uhr auch noch die „Rehbraunen Augen“ erklingen und aus hunderten Kehlen mitgesungen wird, ist die Stimmung am Höhepunkt angelangt. Auch dieses Lied ist eine jahrelange Kerwetradition in Siegelbach: Bis vor einigen Jahren wurde das Dorf-Original Erich Müller auf die Bühne geholt und sang es, zur Freude aller im Zelt, gemeinsam mit der Band. Auch er ist inzwischen leider verstorben, doch egal wer auf der Bühne steht: Diese beiden Lieder sind Pflicht!
Jung und Alt feiern gemeinsam
Der sorgfältige Beobachter stellt also schnell fest, dass viele Siegelbacher das Jahr in drei Etappen einteilen, von denen die mittlere leider die kürzeste ist. Es gibt „Vor de Kerb“, „Noh de Kerb“ und schließlich „An de Kerb“. Und dabei geht es eigentlich „nur“ um ein Fest im Dorf. Aber es ist eben mehr. Es bringt jung und alt zusammen. Hier feiern alle gemeinsam auf der besten, tollsten und fantastischsten Kerwe im Umkreis. Und geht’s darum nicht eigentlich hauptsächlich?
Autor:Tim Altschuck aus Kaiserslautern |
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