Hereinspaziert: Artistentradition und Schicksale im Alsenborner Bajasseum

Hereinspaziert: Das Bajasseum öffnete 1993 seine Türen, vermutlich in einem ehemaligen Feuerwehrhaus | Foto: Monika Klein
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Enkenbach-Alsenborn. Das Wandermusikantentum hatte in der Westpfalz eine große Tradition. Etwa ab der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg und darüber hinaus zogen Musiker in aller Herren Länder aus. Aber es gibt noch eine zweite Tradition und zwar die der Artisten aus dem Enkenbach-Alsenborner Ortsteil Alsenborn, die umher reisten, um den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien zu verdienen. Ihr ist ein Museum, das Bajasseum, gewidmet. Noch heute werden die Einwohner scherzhaft "Bajasse" genannt.

 Von Monika Klein

Wer von der B 48 kommend über den Kreisel nach Alsenborn fährt, der stößt nach wenigen Metern auf den sogenannten "Elefantenkreisel" – und ist damit mitten in der Artistengeschichte des Ortsteils. Die im Juni 2006 errichtete Granitskulptur mit einem Gewicht von 15 Tonnen und der gusseiserne Bauer hinter dem Pflug erinnern an ein wahres Geschehen im Jahr 1917. Damals waren alle Pferde und Ochsen für den Krieg beschlagnahmt worden und so kam der pfiffige Schreiner Schmitt auf die Idee, einen Elefanten der ortsansässigen Zirkusfamilie Moulier (Müller) vor das Ackergerät zu spannen. Allerdings mit wenig Erfolg: Statt den Pflug zu ziehen, habe der Dickhäuter Rüben aus benachbarten Äckern ausgerissen und sei durchs Getreide getrampelt und der Schreiner habe Schaden und Spott tragen müssen, schreibt Gisela Grasmück in ihrem knapp 50-seitigen Buch "Artisten in Alsenborn".  

Der Elefanten-Kreisel in der Rosenhofstraße erinnert an eine wahre Begebenheit | Foto: Monika Klein
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Grasmück, die in Frankenstein wohnt, hatte bereits 1993 eine erste Auflage des Buches veröffentlicht, nachdem sie sich im Rahmen ihrer Doktorarbeit intensiv mit den Artisten, Zirkusfamilien, Schaustellern und Variétékünstlern aus Alsenborn beschäftigt hatte. In akribischer Kleinarbeit trug sie Dokumente, Fotografien und Utensilien zusammen und führte Gespräche mit den Nachkommen, teils sogar mit den damals noch lebenden Artisten. Mit ihrem Engagement trug sie maßgeblich zum Aufbau des Bajasseums bei.

Wie bei den Wandermusikanten waren es die schiere Not und der bohrende Hunger, der die Menschen in der Mitte des 19. Jahrhunderts erfinderisch werden ließ. Eine Schlüsselfigur der Artistentradition ist Johann Justus Schramm. 1800 in Alsenborn in armen Verhältnissen geboren, wechselte er mehrfach seinen Beruf, bis er sich im Alter von 34 Jahren erstmals als "Marionettenspieler" und "Musikant" bezeichnete und mit seiner Frau Juliana das Wanderleben begann. 

Stellt die Ursprünge der Alsenborner Artistentradition dar: Stammbäume der ersten Zirkusfamilien
 | Foto: Monika Klein
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"Die Familie von Johann Justus Schramm, seine Frau, seine Kinder und deren Ehepartner waren die Begründer der Alsenborner Artistenkolonie", erläutert Grasmück. "Typisch für diese Artisten war, dass sie anders als die Wandermusikanten einen festen Wohnsitz, eine Heimat, hatten, wo sie im Winter rund fünf Monate lebten", erläutert die Kulturwissenschaftlerin. In den anderen Monaten zogen die Männer mitsamt Frauen und Kindern mit einfachen Wagen los, um ihre Darbietungen in der nahen und fernen Umgebung vorzuführen.

Ab 1860 erfuhr das Wandergewerbe einen Aufschwung. Noch heute bekannte Zirkusfamilien wie Althoff und Bügler oder Traber, Schramm und Moulier (Müller) siedelten sich in Alsenborn an oder waren zu Gast, sie heirateten und gründeten selbst Familien. Der Kreis aus Künstlern, Artisten, Kunstreitern, Dompteuren, Jongleuren, Trapezartisten, Seiltänzern, Marionettenspielern, Kautschukdamen und Kraftmenschen wuchs und wuchs und auch ihre Reiserouten wurden länger. So tourte Carola Moulier als indische Elefantendompteuse "Ssahib Nadschura" bis nach Übersee. 

In der Ausstellung: historische Marionettenpuppen | Foto: Monika Klein
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Wie auch für die Wandermusikanten brachte der Erste Weltkrieg einen harten Einschnitt. Nicht nur, dass die Männer als Soldaten Dienst tun mussten, auch die Tiere wurden beschlagnahmt oder verhungerten. Kaum war der Krieg überstanden, holte die Filmleinwand die große weite Welt in die Dörfer. Der Großteil der Artisten wandte sich anderen Erwerbsfeldern zu, andere flüchteten in die USA und wieder andere blieben ihrem Wandergewerbe treu. Etwa Familie Thys, die mit einer dampfbetriebenen Lanz-Zugmaschine mit Transmission und bis zu acht Reisewagen durch die Pfalz, Nordbaden, Hessen und den Rheingau tingelte, weiß Grasmück. Angekommen zog sie die Zuschauer mit Trapezakten, Seillaufen, Tänzen, Jongliernummern, Stuhlpyramiden und Akrobatik in ihren Bann.

Dieser Familie entstammt Elisabeth Endres. 1923 geboren, lernte sie als Kleinkind den Spitzentanz und führte Kunststücke auf den Schultern ihres Vaters vor, während er übers Seil lief oder mit dem Fahrrad fuhr. Bereits als Jugendliche tourte sie durch England, trat in deutschen Variétés auf und wurde als "Wunderkind" bezeichnet. Der Zweite Weltkrieg brachte erneut einen Umbruch mit sich.  1948 heiratete Endres den US-Amerikaner Jess Tolerton und zog mit ihm in die USA. Ihr Seiltanzschirm, Kostüm und Spitzenschuhe – alles in Rosa gehalten – zeigt das Bajasseum in einer der Glasvitrinen.

Schirm, Tutu und Spitzenschuhe: In einer der Glasvitrinen sind originale Bekleidungsstücke von Elisabeth Endres zu sehen | Foto: Monika Klein
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Das Museum erzählt all diese Geschichten und viele mehr in Form von Fotografien, Dokumenten, Zeitungsausschnitten und zahlreichen originalen Exponaten. Wer sich darauf einlässt, wird in ein Zeitalter zurückversetzt, das so nah und gleichzeitig fern scheint und so eng mit der Region verwoben ist. Es erzählt vom Überlebenskampf und von Wagemut, aber auch von Schicksalsschlägen und Unglücken. Dazu gehört die Geschichte vom Friseur im Löwenkäfig. 1911 sollte der junge Friseur Peter Feierabend im Rahmen einer Gala-Vorstellung den Zirkusdirektor im Löwenkäfig rasieren. Dabei wurde er von einem der Raubtiere angegriffen und starb an den Verletzungen. Ihm ist ein Grabstein auf dem Alsenborner Friedhof gewidmet. 

Auf dem Alsenborner Friedhof: der Grabstein des Friseurs, der im Löwenkäfig getötet wurde  | Foto: Monika Klein
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Info

Bajasseum, Rosenhofstraße 87, 67677 Enkenbach-Alsenborn, Telefon 06303 9130, www.enkenbach-alsenborn.de; geöffnet ist Montag bis Sonntag 8 bis 18 Uhr; Führungen können gebucht werden; freier Eintritt.

Autor:
Monika Klein aus Kaiserslautern
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