„Objektive Betrachtung“
Interview: Silke Gorges über den Umgang mit Ängsten
Von Monika Klein
Kaiserslautern. Viele Bürger fühlen sich in der Lautrer Innenstadt nicht sicher – und das nicht erst seit den kürzlichen Ereignissen. Silke Gorges aus Otterberg leitet seit Jahren Trainings zu den Themen Selbstbehauptung, Gewaltprävention oder Zivilcourage. Als Expertin gibt sie Auskunft darüber, wie wichtig Ängste sind, aber auch, wie man das eigene Sicherheitsgefühl stärken kann.
???: Frau Gorges, wie schätzen Sie die Situation in der Innenstadt ein?
Gorges: Es gibt ein subjektives Sicherheitsgefühl, das in der Regel nicht den tatsächlichen Kriminalitätszahlen entspricht. Durch Berichte in den Medien werden Ängste erzeugt, die unser subjektives Sicherheitsgefühl beeinflussen. Diese Ängste sind oft irrational, weil sie nicht der Realität entsprechen. Da ist eine objektive Betrachtung sehr wichtig. Ich vertraue hier der Einschätzung des Polizeipräsidiums Westpfalz als Experte für die Auswertung der Kriminalitätslage.
???: Haben Sie persönlich ein ungutes Gefühl, wenn sie tagsüber oder am Abend durch die City gehen?
Gorges: Wenn Sie damit meinen, ob ich Angst habe, dann nein. Gefühle sind ja immer situationsabhängig und können variieren. Als Trainerin für Gewaltprävention habe ich meinen Gefahrenradar angeschaltet, wenn ich im öffentlichen Raum unterwegs bin. Das hat etwas mit Vorbeugung zu tun.
???: Das heißt, Sie haben das Umfeld immer im Blick?
Gorges: Genau, zumindest versuche ich es. Ich sehe und höre, was um mich herum vorgeht und handele vorausschauend.
???: Würden Sie den Besuch von Veranstaltungen, etwa ein Bummel über den Weihnachtsmarkt, vermeiden?
Gorges: Nein, dazu gibt es für mich keinen Grund. Es gab schon immer Betrunkene, Leute, die andere angepöbelt haben oder Schlägereien nach Fußballspielen. Gewaltpotenzial war schon immer da. Die Frage ist: Wie gehe ich damit um?
???: Ängste haben ihren Sinn, sie können aber auch zu einem „Gefängnis“ werden. Wie sehen Sie das?
Gorges: Ängste sind seit Urzeiten überlebensnotwendige Schutzmechanismen. Jeder Körper hat Alarmsysteme, dadurch werden die Sinne geschärft, man reagiert schneller, ist achtsamer und handlungsfähig. Ängste sind wichtig und sollten zugelassen werden. Aber man muss sich auch fragen, was einem konkret Angst macht. Es geht um eine objektive Betrachtung. Wenn ich weiß, vor was genau ich Angst habe, kann ich Schutzstrategien und Mechanismen entwickeln, die mich handlungsfähig machen und mir Sicherheit geben. Hier sind wir wieder bei dem vorausschauenden Verhalten.
???: Können Sie ein Beispiel geben?
Gorges: Im Winter lasse ich Winterreifen an meinem Auto aufziehen, ich fahre bei Schnee und Eis langsamer und angemessen oder vermeide, wenn möglich, Straßen mit Schneebruch oder großem Gefälle. Dies sind vorbeugende Schutzmaßnahmen, die mir erlauben, mich in mein Auto zu setzen und die mir helfen, dass ich sicher ankomme. Man muss sich in vielen Lebenssituationen auf bestimmte Gegebenheiten vorbereiten und das Verhalten anpassen.
???: Wie gehe ich aber mit Ängsten um?
Gorges: Wichtig ist, dass ich in der Lage bin, Situationen objektiv zu betrachten und dass ich mich nicht von Social-Media-Posts oder Menschen aus meinem Umfeld triggern und ängstigen lasse. Also nicht die schlimmsten Szenarien ausmale, sondern überlege, wo ich persönlich einer Gefahr begegnen könnte und was ich tun kann, um dies zu vermeiden oder handlungsfähig zu sein. Das gibt Sicherheit und macht Mut.
???: Wie sieht das konkret aus?
Gorges: Am besten ist es natürlich, wenn ich gar nicht erst in eine Gefahrensituation komme. Dafür überlege ich mir vorher, dass ich den beleuchteten und belebten Weg nach Hause nehme, wo ich parke oder an welcher Bushaltestelle ich aussteige. Eventuell nehme ich einen Umweg in Kauf. Ich vermeide Stellen, an denen ich mich nicht wohl fühle, achte auf mein Bauchgefühl, bin achtsam, schärfe meine Sinne und nehme meine Umgebung bewusst wahr.
???: Setzen Sie das selbst auch um?
Gorges: Ich persönlich trage zum Beispiel keine Kopfhörer und höre unterwegs nie Musik, weil ich mitbekommen möchte, was um mich herum vorgeht, um reaktionsfähig zu sein und nicht überrascht zu werden. Wenn ich ein ungutes Gefühl verspüre, habe ich mein Handy griffbereit und den Notruf auf der Startseite. Hilfreich ist auch eine starke, kleine Taschenlampe, damit man im Dunklen besser sehen oder notfalls jemanden blenden kann. Es kommt auch auf die Körpersprache an, eine aufrechte Haltung ist ganz wichtig.
???: Wenn ich dennoch in eine gefährliche Situation gerate?
Gorges: Bei persönlichem Kontakt sollte man die Person immer siezen. Das schafft Distanz, hat etwas mit Respekt zu tun und vermittelt anderen Menschen, dass da möglicherweise ein Konflikt ist. Man sollte Provokationen in Form von herablassendem Verhalten, negativen Gesten und Worten vermeiden, einen Abstand herstellen und eventuell die Straßenseite oder die Richtung wechseln. Bei Übergriffen kann man laut werden, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Es gibt Schrillalarme. Das sind kleine Geräte mit einer hohen Dezibelzahl für die Handtasche oder den Schlüsselanhänger. Sie sollten genauso griffbereit sein wie das Handy oder die Taschenlampe. Manchmal kann es auch hilfreich sein, etwas Unerwartetes zu tun, zum Beispiel eine Rückfrage zu etwas anderem zu stellen oder einen Hustenanfall bekommen. Dadurch kann man die Situation oft deeskalieren, weil das irritiert oder ablenkt.
???: Und wenn ich Beobachter bin?
Gorges: Dann sollte man andere Leute gezielt ansprechen und dazu auffordern zu helfen oder die Polizei unter der 110 anrufen. Bei Gewalthandlungen ist der Anruf bei der Polizei das Erste, was man tun muss. Ganz wichtig ist auch, dass man sich selbst nicht in Gefahr bringen darf. Mit einem notwendigen Sicherheitsabstand laut werden und zum Beispiel rufen: „Wir haben die Polizei informiert!“ Oder mit mehreren Personen hilfreich eingreifen und versuchen, zu deeskalieren und die betroffene Person aus der Situation zu holen.
Autor:Monika Klein aus Kaiserslautern |
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