Pfalzbibliothek Kaiserslautern
Lesung von Martina Berscheid
Kaiserslautern. Am Samstag, 28. Nov., Lesung von Martina Berscheid in der Pfalzbibliothek. Die Veranstaltung platzte faktisch aus den Nähten. Berscheid, wohnhaft in Homburg, 1973 in Kaiserslautern geboren, stellte ihren neuesten Roman "Die Klassenkameradin" vor. Offenbar waren zahlreiche ehemalige Klassenkameradinnen erschienen, welche sie unter Belustigung beschwichtigen musste, die Protagonistin sei ihr zwar sehr ans Herz gewachsen, aber fiktiv.
Zunächst schildert die Autorin den erdrückend tristen Alltag einer scheinbar bieder-kleinbürgerlichen Frau in einem saarländischen Ort namens Kiesbach, wobei das oftmals miese Wetter symbiotisch seinen Beitrag liefert - einmal "blickte (sie) aus dem Fenster zum Himmel, der dunkelviolett gefärbt war wie ein Körper voller Hämatome". Eva fühlt sich dementsprechend frustriert, sie arbeitet in einer Kneipe, ihr letztendlich unattraktiver Mann kontrolliert sie, die Tochter ausgezogen, der Vater dement. Nur mit ihrem Hobby, der Rockmusik, gelingen ihr kleine Fluchten. Sie lernt auf einem Klassentreffen die früher unscheinbare Agnes, jetzt verwandelt in die mondäne Agnès, kennen. Die beiden verstehen sich auf Anhieb und werden sich von da an öfters treffen. Es folgt eine Barszene mit einem extravaganten Tanz, beatträchtiger Musik, Cocktails – ein erster Akt der Befreiung, ihr Herz klopft lautstark, einer der schönsten Momente in Evas Leben. Agnès selbst durchströmt ein warmes Gefühl, ja eine Art Heimatbegrifflichkeit... "sie roch Schweiß und Leben. Alkohol und Illusionen, die man sich gerne macht in dieser Nacht. Die einen über Wasser, vielleicht sogar am Leben hielten".
In einer weiteren Passage bittet Agnès ihre neugewonnene Freundin, auf deren Wohnung aufzupassen. Sie kann nicht widerstehen und wechselt ihre 08/15-Kleidung in ein mächtig aufpoliertes Outfit aus ihrem begehbaren Kleiderschrank. Sie will ein gutes Stück weit sein wie sie. Der Postbote klingelt und im Nu registriert Eva den Unterschied. Kleider machen Leute. Der Bote bittet zugleich um eine Date.
Was sagt die Wohnung über den Charakter aus? Bei Agnès ist er reine Zurschaustellung von Luxus ganz im Gegensatz zu Evas Möbeln aus dem Discounter. Relativ viel, meint Berscheid, käme man bei ihr zu Besuch, könnte man folgern, dass sie eine Affinität zu Büchern, Tieren und Rosen besäße und recht ordentlich sei.
Martina Berscheid ist das Thema Beziehungen wichtig, die Bedeutung von Entscheidungen und ihre Konsequenzen. Was ist, wenn man die Rolle wechselt? Die Figuren werden tief ausgeleuchtet, wirken keineswegs eindimensional. "Glück und Unglück liegen dicht beieinander", sagt die Autorin, die ihre Texte oft mit originellen, aber passenden Metaphern ausschmückt: "...es schien, als hätten sich die Minuten in der Kneipe mit Langsamkeit vollgesogen", auch darin enthalten retrospektive Gefühle und tief empfundene Emotionen, was die Hörer kurzweilig mitnahm.
Berscheid gelingt ein treffender mit (beißender) Ironie versetzter Blick auf unterschiedliche Gesellschaftsschichten und deren Verhältnis zueinander. Christian Baron schreibt da weitergehend von Klassen, von einer (Vor-)Prägung durch Elternhaus und Bildungsstrukturen. Berscheids Charakter Agnès verspürt instinktiv die Blockade von Eva und gleichzeitig das Rebellische in ihr, was den Beginn eines Spannungsbogens darstellt. Von Hemingway stammt der Satz: "Der Mensch ist nicht zum Scheitern erschaffen".
Die Autorin war Mitglied der Mitternachtsschreiber, einer ehemaligen Lauterer Autorengruppe, zu der z. B. auch Renate Demuth gehörte.
Claudia Germann, Leiterin der Pfalzbibliothek, zeigte sich sehr zufrieden mit dem hohen Zuspruch, stellte einen positiven Trend der letzten Monate in Bezug auf Lesungen in ihrem Hause fest.
Info: Die Klassenkameradin, Roman. Edition Schaumberg 2023, ISBN 978-3-910306-06-6, 385 Seiten
Biografisches: Wikipedia | Martina Berscheid
Autor:Peter Herzer aus Kaiserslautern |
Kommentare
Sie möchten kommentieren?
Sie möchten zur Diskussion beitragen? Melden Sie sich an, um Kommentare zu verfassen.