Kaiserslauterer Forscher entdecken Anti-Stress-System
Stau in der Zelle
TUK. Unsere Zellen sind aus rund 10.000 bis 20.000 verschiedenen Proteinen aufgebaut – jeweils bestehend aus langen Ketten von Aminosäuren. „Um ihre Funktionen auszuüben, müssen Proteine komplizierte dreidimensionale Strukturen annehmen“, erklärt Professor Dr. Johannes Herrmann, der das Lehrgebiet Zellbiologie an der Technischen Universität Kaiserslautern (TUK) leitet. „Fehler bei dieser Faltung führen dazu, dass sie sich als Aggregate ansammeln.“ Im Laufe des Lebens reichern sich immer mehr dieser Ablagerungen an. Dies führt zum „Altern“ von Zellen.
Warum es für Zellen so schwierig ist, Proteinaggregate zu verhindern, ist in der Wissenschaft noch unklar. Licht ins Dunkle hat nun das Forscherteam um Professor Herrmann und seinen Doktoranden Felix Boos gebracht. Im Fokus ihrer aktuellen Studie standen Proteine der Mitochondrien. Diese Zellorganellen sind für die Energieproduktion verantwortlich sind. Sie bestehen aus Hunderten von verschiedenen Eiweißen, die außerhalb der Mitochondrien gebildet werden.
„Bevor die Mitochondrien diese Proteine aufnehmen, sind diese ungefaltet und ähnlich klebrig wie frisch gekochte Spaghetti“, erläutert Erstautor Felix Boos. „Sie neigen dazu, mit anderen Komponenten der Zelle zu verklumpen. Das ist eine große Gefahr und ein entscheidender Stress-Faktor für unsere Zellen. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Stress ganz entscheidend zum Altern der Zellen beiträgt.“
Mitochondrien kommen in allen unseren Zellen vor. Vor allem Zellen mit hohem Energiebedarf, wie Muskel- und Nervenzellen, hängen von der ständigen Bildung und dem korrekten Transport mitochondrialer Proteine ab. „Störungen in der Bildung der Mitochondrien und die damit einhergehende abnehmende Energieproduktion von Muskel- und Nervenzellen tragen dazu bei, dass man in zunehmendem Alter nicht mehr so leistungsfähig ist und es schwerer fällt, Neues zu lernen“, erklärt Doktorand Boos, der Biologie und Mathematik studiert hat und sich mit „quantitativer Biologie“ befasst, die diese beiden Disziplinen zusammenbringt.
Das Forscherteam hat die Reaktion von Zellen auf den Stress genau beobachtet, den diese Mitochondrien-Proteine auslösen. Dafür haben sie ein Testsystem entwickelt, in dem sie Zellen der Bäckerhefe mit Mitochondrien-Proteinen quasi auf Knopfdruck überfluten haben. „Wir haben die Transportporen gezielt verstopft, durch die Proteine in das Zellorganell wandern“, erklärt Boos den Versuchsaufbau.
Im Anschluss haben sie alle Prozesse in den Zellen analysiert, die auf Gen-Ebene stattfinden und die die Herstellung der Proteine verantworten. Die Wissenschaftler haben die Produkte jedes einzelnen der 6.000 Hefe-Gene im Schnitt fast 4.000-mal sequenziert; und das in vielen verschiedenen Zelltypen und Zeitpunkten der Stressantwort. Mithilfe hochmoderner Massenspektrometrie haben sie zusätzlich zu den genetischen Untersuchungen auch das Proteininventar der Zelle während des Stresses bestimmt. Bei dieser Technik werden die Protein-Moleküle anhand ihrer Masse identifiziert und quantifiziert. Im Prinzip werden sie gewogen. Ähnlich wie bei einem Fingerabdruck besitzt jedes Molekül einen charakteristischen Wert. „So haben wir die Reaktionen der Zelle auf die Anhäufung der Proteine sehr genau gemessen“, so Boos.
Die aufwendigen Arbeiten hat Boos mit Forscherkollegen um Dr. Vladimir Benes und Dr. Mikhail Savitski am European Molecular Biology Laboratory (EMBL) in Heidelberg durchgeführt, einer europäischen Großforschungseinrichtung für Molekularbiologie. Danach haben die Kaiserslauterer Forscher mehrere Terabyte an Daten mit bioinformatischen Verfahren ausgewertet, teilweise von Felix Boos neu entwickelt.
„Wir haben ein Anti-Stress-System in Zellen entdeckt, das sofort hochgefahren wurde, als sich die Mitochondrien-Proteine angehäuft haben“, sagt Boos zu den Ergebnissen ihrer Analyse. Dieses System verfolgt zwei Ziele: Zum einen drosselt es schnell die Produktion dieser gefährlichen Eiweiße. Zum anderen sorgt es dafür, dass die Menge an Proteasomen in der Zelle stark erhöht wird. „Dies ist eine Art molekularer Schredder, der entfaltete Proteine schnell abbauen kann“, so Herrmann weiter.
In einer Reihe von Folgeversuchen konnten die Forscher sogar entschlüsseln, wie die Zelle die Stressantwort auslöst und steuert. Zellen nutzen dafür unter anderem dasselbe System, das auch bei Überhitzung zum Einsatz kommt. „Auch hohe Temperaturen können zum Verklumpen von Proteinen führen. Im Grunde ist das genauso, wie wenn man ein Spiegelei brät“, schmunzelt Herrmann.
Die Erkenntnisse der aktuellen Studie helfen, Alterungsprozesse auf molekularer Ebene besser zu verstehen. Im Laufe des Lebens ist dieses Anti-Stress-System vermutlich immer weniger in der Lage, mitochondriale Proteine effizient abzubauen, so dass sich Ablagerungen im Zellinneren anhäufen. In Folgestudien möchten die Forscher herausfinden, in wie weit sich dieses Anti-Stress-System bei einzelnen Menschen unterscheidet. Dies könnte helfen zu verstehen, warum manche Menschen schneller altern als andere und welche Rolle welche Gene dabei spielen.
Die Studie ist in der renommierten Fachzeitschrift „Natur Cell Biology“ erschienen.ps
Autor:Jens Vollmer aus Wochenblatt Kaiserslautern |
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