Interview mit Katharina Disch und Claudia Kettering zur Vorbereitung 25. November
Frauen und Gewalt - Eine Neverending-Story?
Am 25. November ist der internationale Tag gegen Gewalt an Frauen. In den vergangenen Jahren waren eine Fahnenaktion und ein Marsch durch Kaiserslautern Teil des Programms dieses Aktions- und Gedenktags. In diesem Jahr soll neben der traditionellen Fahnenaktion auch auf anderem Wege auf dieses gesellschaftliche Problem aufmerksam gemacht werden: das Kaiserslauterer Netzwerk, das sich aktiv für das „NEIN“ zu Gewalt an Frauen einsetzt, stellt sich digital vor. Am 11. Oktober traf ich zwei Frauen aus diesem Netzwerk, um mich über Gewalt, Prävention und Sensibilisierung zu informieren.
Katharina Disch ist seit Februar 2021 neue Gleichstellungsbeauftragte bei der Stadt und neu im Netzwerk. Pfarrerin Claudia Kettering hat nach neun Jahren in der Frauenarbeit der Evangelischen Arbeitsstelle Bildung und Gesellschaft und als Teil dieses Netzwerks viel Erfahrung mit dem Thema. Beide Frauen verbindet, neben dem klaren Bekennen zum „NEIN“ zu Gewalt an Frauen, die intersektionale Betrachtung von Diskriminierung von Frauen. Denn meist wirken Diskriminierungsformen wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus, Antifeminismus, religiöse Verfolgung, Homophobie, Transphobie, Behindertenfeindlichkeit und Altersdiskriminierung nicht einzeln für sich sondern häufig zusammen. Frauen sind nicht nur nicht männlich. Manche sind nicht männlich und schwarz, andere nicht männlich und arm und wieder andere nicht männlich und muslimisch. Und dabei sind „Frauen die größte Minderheit der Welt, die eigentlich eine Mehrheit ist“. (Dieser plakative Satz meint, dass Frauen quantitativ die Mehrheit sind, aber in einer Welt, in der das Männliche die Norm ist, wie eine Minderheit behandelt oder wie andere Minderheiten diskriminiert werden.)
„Frauen sind die größte Minderheit der Welt, die eigentlich eine Mehrheit ist“
Fast alle Formen von Diskriminierung treffen Frauen in besonderer Weise, treffen sie in der Regel mehr oder härter als Männer. Beim Thema „Klassismus“ etwa: Claudia kennt Familien von alleinerziehenden Frauen, die am Ende des Monats nur Brot mit Ketchup essen. Und das rationiert - wer mehr isst, hat später nichts. Eine Lösung könnte sein, Alleinerziehende – und das sind zu über 90 % Frauen - vorteilhafter zu besteuern.
Oder beim Thema Flucht: Claudia hat sich mit dem Bündnis „Frauen für Flüchtlingsfrauen“ aktiv dafür eingesetzt, dass geflüchtete Frauen – viele mit Gewalt – und Missbrauchserfahrungen - weibliche Ansprechpartnerinnen finden, die ihnen z.B. bei Übersetzungen helfen.
Wo beginnt Gewalt?
Katharina Disch hat Sozial- und Kommunikationswissenschaften an der Uni Landau studiert und berichtet, dass Gewalt an Frauen und Mädchen auch heutzutage noch aktuelles Thema in der Arbeit als Gleichstellungsbeauftragte ist. „Und sie fängt ja nicht erst da an, wo sie in körperlichen Verletzungen sichtbar wird.“ Stalking, Mobbing, emotionale Erpressung oder Demütigungen durch den Partner sind Formen psychischer bzw. emotionaler Gewalt und hinterlassen keine sichtbaren Wunden auf Frauenkörpern, aber sie verletzen die Seele.
Und Gewalt nimmt im „immer-online-Leben“ neue und sehr subtile Formen an.
Haben mich vor zehn Jahren das Cybermobbing über soziale Medien mit einigen folgenden realen Selbstmorden Jugendlicher noch schockiert und die „Hatespeech“-Kommentare anfänglich aus der Fassung gebracht, man – also frau – gewöhnt sich daran.
Mobbing im Netz kennt inzwischen noch mehr Varianten. Doxing (Sammeln und veröffentlichen von privaten Infos oder Dokumenten über eine Person im Internet) ist ein effektives Mittel zur Einschüchterung oder Belästigung. Sexting (sexuelle Inhalte, die per Messenger-Dienste verschickt werden) kann bei beiderseitigem Einverständnis eine prickelnde Form der Intimkommunikation sein. Werden die im Vertrauen verschickten Bilder aber dann zur Erpressung der abgebildeten Person genutzt, reden wir von Sextortion, einer Straftat. Versendet eine Person unaufgefordert Nelfies (Nacktbilder) oder Dickpics (Penisbilder), handelt es sich um sexuelle Belästigung und somit auch um eine Straftat.
Erschrocken hörte ich nun von Beispielen frisch getrennter Frauen, die im trauten hochdigitalisierten „Smart Home“ der vergangenen Zweisamkeit vom Ex-Partner dank Alexa, Digitalsteuerung und Co. terrorisiert werden. Nachts plötzlich laute Musik und Flutlicht, eine spinnende HeizungsApp, nicht funktionierende digitale Türschlösser. Eine neue Form häuslicher Gewalt, die Technologie zur Kontrolle und Machtdemonstration benutzt.
Am 1. Dezember gibt es hierzu einen Fachvortrag mit dem Titel „Digitale Gewalt gegen Mädchen und Frauen – wenn das smarte Home zur Gefahr wird“ mit Francesca Schmidt (Referentin für Feministische Netzpolitik und Gründungsmitglied von netzforma e.V.- Verein für feministische Netzpolitik). Die Veranstaltung ist eine Kooperation mit der KL.digital und findet in der Kammgarn statt, kann aber auch digital verfolgt werden.
„Nein“ zu Gewalt an Frauen - Infos:
Am 25.11. wird um 17 Uhr wie in vielen Ländern an diesem Tag weltweit auf dem Rathausplatz in Kaiserslautern die Flagge von Terre des Femmes gehisst, das Aktionsbündnis wird bei der Solidaritätsveranstaltung vertreten sein. Darüber hinaus werden die aktuell produzierten Kurzvideos ab dem 25.11. auf den Kanälen der Bündnispartner*innen verlinkt und zu sehen sein: auf den Homepages, Facebookseiten und Instagram-Accounts von Evangelischer Arbeitsstelle, der Aidshilfe Kaiserslautern, der Frauenzuflucht Kaiserslautern, dem Soroptimistinnen Club und vielen weiteren Unterstützenden.
Infos unter www.evangelische-arbeitsstelle.de
Autor:Nadja Donauer aus Kaiserslautern |
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