Ein Stadion schreibt Geschichte(n)
100 Jahre Betze
FCK. Der Kaiserslauterer Betzenberg: Er ist Mythos, Kultstätte und geschichtsträchtiges Fußballstadion. Hier wurde gelacht, geweint, gejubelt, gezittert und gerne auch mal Gegner und Schiedsrichter eingeschüchtert. Deutschlands höchster Fußballberg ist nicht nur deutschlandweit, sondern auch international eine legendäre Spielstätte. Das Eröffnungsspiel fand heute vor hundert Jahren, am 13. Mai 1920, statt.
von Jens Vollmer
Beim ersten Spiel verlor der FV 1900 Kaiserslautern vor 3.500 Zuschauern gegen den FC Pfalz Ludwigshafen mit 0:2 auf dem nagelneuen „Sportplatz Betzenberg“. Von einem Stadion konnte damals noch keine Rede sein. Die ersten sechs Jahre spielte man auf Sand, erst 1926 wurde ein Rasen angelegt. Eine erste Holztribüne wurde von einem Orkan zerlegt. Nebenan gab es einst damals ein Hockeyfeld und Tennisplätze. In den Dreißiger Jahren wurde der Sportplatz zum Sportpark und dann zum Stadion mit einem Fassungsvermögen mit 18.000 Zuschauern.
Seit diesen zarten Anfängen hat das Betzenberg-Stadion zahlreiche weitere Ausbaustufen erfahren und noch sehr viel mehr Fußballschlachten gesehen. Vier strahlende Meistermannschaften, zwei Aufsteigerteams, aber auch Fußballhelden, die sich und den Betzenberg mit denkwürdigen Einzelspielen in die Geschichtsbücher schrieben, sind zu nennen. Allen voran das berühmte 7:4 gegen die Bayern, welche damals mit fünf späteren Weltmeistern am 20. Oktober 1973 auf dem Betzenberg untergingen.
Betze international
Das 5:0 am 17. März 1982 gegen Real Madrid, Rückspiel des UEFA-Cup-Viertelfinales, oder das 3:1 gegen Barcelona am 6. November 1991 sind ebenso denkwürdig, wobei letzteres durch das Gegentor von Bakero in letzter Minute das Weiterkommen der Katalanen im Pokal der Landessieger besiegelte und letztlich deren Motivation freisetzte, erstmalig den begehrten Pokal zu gewinnen. Die Lautrer verließen das Stadion mit steinernen Mienen und großer Enttäuschung.
Im Museum des FC Barcelona kann die entscheidende Szene als „El Miracle de Kaiserslautern“ - „Das Wunder von Kaiserslautern“ - auf einem Videotisch aufgerufen werden und noch heute betiteln spanische Sportjournalisten einen Last-Minute-Sieg in ihrer unnachahmlichen emotionalen Art mit dem mehrmaligen Ausruf „Kaiserslautern“.
Zum 25-jährigen Jubiläum besuchte eben dieser Spieler Bakero noch einmal das Kaiserslauterer Stadion und bescheinigte im FCK-Museum den Lauterern, dass die damalige Atmosphäre bis heute einzigartig geblieben sei. Der Betze brannte, Pyros soweit das Auge reichte – ein Bild das dem bekanntesten FCK-Fanforum einst seinen Namen verlieh.
Auch Pep Guardiola war als Barca-Spieler mit dabei und erinnerte sich als Trainer im Frühjahr 2009 nach einem 4:0-Sieg im Viertelfinal-Hinspiel der Champions League gegen Bayern München: „Wenn Deutsche so gedemütigt wurden, hält sie nichts mehr auf. Die sind glatt in der Lage, uns zu überrennen. Ich weiß das. Ich war in Kaiserslautern. Damit bin ich genug bedient." - welch ein Ritterschlag des zweifachen Champions-League-Gewinners für die Pfälzer.
Betzenberg-Stadion würdigt Weltmeister
Ruhmreiche Geschichten gab es jedoch schon viel früher. Die 54er Weltmeister aus Kaiserslautern haben Deutschland nach dem Krieg neues Selbstbewusstsein vermittelt. Die pfälzische Provinz Kaiserslautern und damit auch der Betzenberg waren plötzlich in aller Munde. Zu Ehren des Spielführers Fritz Walter trägt das Stadion seit 1985 den Namen des Jahrhundertspielers. Vor der Westkurve sind die fünf WM-Helden in einem Denkmal verewigt, zudem tragen die vier Einlasstore die Namen von Fritz Walters Mannschaftskameraden Werner Liebrich (ost), Werner Kohlmeyer (Süd/Ost), Horst Eckel (West) und Ottmar Walter (Nord/Ost). Sie sind die Wegbereiter für alle nachfolgenden Erfolge und insbesondere Vorbilder für spätere Spielergenerationen wie Hans-Peter Briegel oder Stefan Kuntz.
Der Betze ist seinen Fans heilig
„Geh mer nuff uff de Betzeberg“, sang einst SWR-Moderator Peter Jochen Degen - ein Lied, das weit mehr als eine feste Tradition beschreibt, am Samstagnachmittag zum Fußball zu gehen, denn wenn der wortkarge Pfälzer seinen Kollegen fragt, ob er „aa uff de Betze geht“, meint er damit, in rotem Trikot oder Kutte selbst per Pedes schnaufend den Berg zu bezwingen, erste Schlachtenbummler-Atmosphäre einzuatmen, die Spannung vor dem Spiel zu verspüren, erste Aufregung mit einer Härting-Frikadelle und einem Schoppe Bier runterzuspülen, mit Freunden über Mannschaftsaufstellung fachzusimpeln, um danach in die unnachahmliche Atmosphäre der Westkurve einzutauchen. Die Kurve, die seit 35 Jahren eine Gerade ist und der man gerne nachsagt, der zwölfte Mann der Roten Teufel zu sein, das Zünglein an der Waage, der entscheidende Pluspunkt, um ein Spiel mit Kampfeswillen doch noch zu eigenen Gunsten zu kippen. Und wenn der Sportskamerad auf die Frage antwortet „ajoo“, lässt die Antwort zwar erst einmal nicht auf einen besonders emotionalen Typen schließen, doch er spart sich nur alle Emotionalität auf, um seine komplette Energie „uffm Betze“, seinem Wohnzimmer, im entscheidenden Moment zu entladen. Dann verschmilzt jeder einzelne Zuschauer zu einer brodelnden Masse, der Berg wird zum Vulkan, das Stadion der Roten Teufel zur Hölle für jeden Gegner - welch ein Hexenkessel!
Angst vor dem Betzenberg
Gerne zitiert werden die Bayern, die einst die Punkte per Post schicken wollten (Paul Breitner) oder denen schon auf der Autobahn ab Wachenheim das Herz in die Hose rutschte (Uli Hoeneß). Das Stadion, damals das einzige in Vereinsbesitz, war eines der wenigen mit unmittelbarer Nähe zum Spielfeld, ohne Leichtathletik-Laufbahn. Die Linienrichter waren in Regenschirm-Reichweite zu den Zuschauern, welche gerne von dieser Art der freundlichen Meinungsbeeinflussung gebraucht machten. Das Stadion war kompakt und ideal für intensive Fußballbegegnungen, am allerliebsten am Freitagabend bei Flutlicht. „Ein typisches Fußballstadion“, bescheinigte Elton John, einst Präsident des FC Watford, dem Betzenberg anerkennend. Ein großes Lob aus der Heimat des Fußballs.
„Es ist das einzige Stadion, in dem ich so etwas wie Panik verspürt habe“, erinnert sich Paul Breitner und Günter Netzer wusste: „Da war man schon in größerer Gefahr. “
Konzerte auf dem Betzenberg
Oft gab es nicht die Chance, dass Konzerte auf dem Betzenberg stattfanden. Die benachbarten Wohngebiete wären zusätzlichem Lärm ausgesetzt. 1980 kam Reggae-Legende Bob Marley auf den Betzenberg, in Youtube findet sich davon ein Bootleg (Bei Klick Youtube-Cookies), mit dabei auch Headliner Fleetwood Mac (damalige Setlist).
Zum 100-jährigen Vereinsjubiläum gab sich Eros Ramazzotti am 31. Mai 2000 die Ehre, Opener war die Teenie-Band "Echt".
Das Stadionfest 2016 bereicherte Mark Forster mit einem kurzen Konzert, ein für dieses Jahr geplantes großes Open Air musste auf Grund der Coronakrise verschoben werden. Ob mit einem neuen Lärmgutachten und spezieller Beschallungstechnik weitere Konzerte stattfinden können, wird sich wohl erst nach dem Nachhol-Termin des Forster-Konzertes herausstellen.
Das Stadion als schwarzes Loch für Finanzen
So sehr wie die FCK-Fans ihr Stadion lieben, so sehr bedrückt sie heutzutage auch die aktuelle Finanzsituation rund um die seit 1985 in Fritz-Walter-Stadion umbenannte WM-Arena von 2006. Zwar feierten die Pfälzer mit ihren Gästen bei den Vorrundenspielen Australien - Japan, USA - Italien, Paraguay - Trinidad & Tobago und Spanien - Saudi-Arabien sowie bei dem Achtelfinale Italien - Australien rauschende WM-Feste, doch der Umbau zur Weltmeisterschafts-Spielstätte verschlang Abermillionen.
Skandale, drohende Insolvenzen und aus heutiger Sicht immer wieder fragwürdige Rettungskonstrukte belasten schon das zweite Jahrzehnt den Verein. Einen Kredit von 65 Millionen Euro musste die Stadt aufnehmen. Sie war unverhofft in die Rolle des Vermieters geschlüpft, um den überschuldeten FCK zu retten. Nicht nur die missglückte Stadionausbau-Politik, sondern auch jede Menge Großmannsucht - man wollte „auf Augenhöhe mit den Bayern“ verbunden mit einer über viele Jahre schlechten Personalpolitik sorgten dafür, dass der Verein immer mehr in Schieflage geriet.
Der Betze, das eigene Stadion, war einst Segen, heute eher Fluch, aber trotzdem geliebt, weil man hier eben so viele in ganz Fußballdeutschland einmalige Geschichten miterleben durfte. Die ersten Blockfahnen, die ersten Pyros, das Lied „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“ - alles Dinge, die in diesem ehrwürdigen Stadion in Deutschland Premiere feierten - der Underdog als Trendsetter der Fanszene.
50.754 Zuschauer lautet der Besucherrekord, natürlich gegen die Münchner Bayern im Weltmeisterschaftsjahr 2006. Zahlen aus einer anderen Welt, von denen der Drittligist heute nur noch träumen kann.
Jetzt möchte der ehemalige Fifa-Schiedsrichter und jetzige FCK-Aufsichtsratsprecher Dr. Markus Merk – aufgewachsen auf dem Betzenberg, direkt neben dem Stadion - eine Möglichkeit finden, das Stadion wieder in Vereinsbesitz zu bekommen. Ein sehr schwieriger Weg, den er für Fritz Walter, die Weltmeister, seinen Vater - dem FCK-Ehrenmitglied Rudi Merk, die Kaiserslauterer Steuerzahler und all die leidenschaftlichen FCK-Fans gehen möchte. Es sei ihm zu wünschen, dass es ihm trotz Coronakrise und weiterer Geldsorgen des Traditionsvereins der Coup zusammen mit Investoren und Sponsoren gelingen möge.
Wochenblatt-Aktion „100 Jahre Betzenberg“
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Drohnenflug über das Fritz-Walter-Stadion in Youtube:
Der SWR zu "100 Jahre Betzenberg":
Virtuelle Tour durchs Stadion des FCK mit Florian Dick
Autor:Jens Vollmer aus Wochenblatt Kaiserslautern |
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