Beihilfe
Beamte in Baden-Württemberg gegen Einführung einer pauschalen Beihilfe
7 Gründe, die gegen die pauschale Beihilfe sprechen.
Die Landesregierung will den Beamten zukünftig einen Zuschuss zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zahlen. Der Beamtenbund lehnt das Vorhaben ab und warnt vor den Folgen. Aus gutem Grund: Sieben Argumente sprechen gegen die Neuregelung.
Die Landesregierung in Baden-Württemberg plant auf Initiative der Grünen zum 1. Januar 2023 für Beamte die Einführung einer pauschalen Beihilfe als monatlichen Zuschuss zur Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Ein entsprechender Gesetzentwurf aus dem Finanzministerium sieht vor, dass gesetzlich versicherte Beamte zukünftig die Hälfte ihres Kassenbeitrags vom Dienstherrn erhalten sollen.
Die Urheber des Gesetzes behaupten, es solle den Beamten „mehr Wahlfreiheit“ bringen, doch es stößt bei den Beamten selbst auf Widerstand. Der Landesbeamtenbund Baden-Württemberg (BBW) – die gewerkschaftliche Interessenvertretung der mehr als 200.000 Beamtinnen und Beamte im Südwesten – lehnt das Modell der pauschalen Beihilfe ab. Das Argument der Befürworter, mit dem Gesetz die Wahlfreiheit der Beamtinnen und Beamten stärken zu wollen, bezeichnet Landesbeamtenbund-Chef Kai Rosenberger in den Stuttgarter Nachrichten als „Mogelpackung“. Die zahlreichen Nachteile, die mit der Gesetzesänderung verbunden sind, erklären die scharfe Kritik der Beamtengewerkschaft.
Pauschale Beihilfe "Ja" oder "Nein"? Jetzt bewerten
Die Landesregierung von Baden-Württemberg bietet die Gelegenheit, sich an aktuellen Gesetzentwürfen und wichtigen politischen Vorhaben zu beteiligen. So kann auch die geplante Änderung im Beihilferecht und die damit einhergehende Einführung einer pauschalen Beihilfe kommentiert und bewertet werden. Möglich ist das bis zum 7. September.
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1. Pauschale Beihilfe schränkt das Wahlrecht ein
Die geplante Neuregelung sieht vor, dass sich die Staatsbediensteten gleich zu Beginn ihrer Laufbahn unwiderruflich für eine Beihilfevariante entscheiden müssen. Wer mit der Verbeamtung die pauschale Beihilfe wählt, soll später nicht mehr in die Private Krankenversicherung wechseln können. Dadurch wird die Wahlfreiheit zwischen den beiden Systemen jedoch erheblich eingeschränkt – besonders auf Kosten der jungen Berufsanfänger. Sie müssen die Entscheidung in einer Lebensphase treffen, in der die Karriere- und Familienplanung häufig noch nicht abgeschlossen sind.
Die pauschale Beihilfe setzt als „Insellösung“ aber auch regionale Grenzen, denn sie existiert in weniger als einem Drittel der Bundesländer. Das ist ein handfester Nachteil für Beamte, die aus privaten Gründen oder wegen reizvoller Stellenangebote in andere Bundesländer ohne „pauschale Beihilfe“ umziehen wollen. Denn eine Bedingung ist, dass die Beamten ihren Anspruch auf die individuelle Beihilfe des Dienstherrn unwiderruflich aufgeben. Ohne GKV-Zuschuss müssten sie dann den gesamten Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung komplett selbst zahlen.
2. Weniger Leistungen und meist höhere Beiträge
In der Kommunikation der Landesregierung spielt die Leistungsfrage eine untergeordnete Rolle. Aus Sicht der Betroffenen ist das ein schwerwiegendes Versäumnis, denn die Pflichtversicherung in der GKV bietet im Krankheitsfall einen deutlich kleineren Leistungsumfang als die klassische Kombination aus Beihilfe und PKV: So gibt es z.B. keinen Anspruch auf ambulante Behandlung im Krankenhaus, geringere Zuschüsse bei Zahnersatz, keine Heilpraktiker-Leistungen, geringere Zahlungen für Hörgeräte, keine Wahlleistungen im Krankenhaus wie die Chefarztbehandlung oder Zweibettzimmer.
Für den geringeren Leistungsumfang in der GKV werden die meisten Beamten dann aber einen höheren Beitrag zahlen. Für einen Durchschnittsverdiener (38.901 Euro Jahresbrutto) würden in der GKV 2022 pro Monat rund 258 Euro für den Beamten fällig, bei Einkünften an der Beitragsbemessungsgrenze sind es pro Monat sogar 384 Euro. Zum Vergleich: In den Beamtentarifen der PKV beträgt der Durchschnittsbeitrag derzeit rund 211 Euro. Im Pensionsalter können außerdem erhebliche Mehrbelastungen dazukommen. Als „freiwillig Versicherte“ müssen gesetzlich versicherte Beamte neben der Pension auch auf alle weiteren Einkünfte wie Kapitalerträge oder Mieteinkünfte den Kranken- und Pflegeversicherungsbeitrag von derzeit rund 19 Prozent abführen – bis zu einem Gesamtbeitrag von zurzeit 769 Euro im Monat.
3. Pflegeversicherung folgt Krankenversicherung
Hinzu kommen die Auswirkungen der „pauschalen Beihilfe“ auf die Pflegeversicherung. Sie werden von der Landesregierung öffentlich nicht erwähnt, spielen jedoch für den Beitragsvergleich von Staatsbediensteten eine wichtige Rolle – insbesondere bei niedrigen Einkommen. Falls sich Beamte für die GKV entscheiden, folgt daraus auch die Mitgliedschaft in der Pflegeversicherung der GKV. Sie kostet für Durchschnittsverdiener (mit Kindern) derzeit rund 99 Euro im Monat – für Beamte würden also rund 50 Euro für den hälftigen Schutz fällig. Bei Einkünften an der Bemessungsgrenze sind es derzeit 148 Euro, für Beamte also rund 74 Euro im Monat.
Die Private Pflegepflichtversicherung (PPV) ergänzend zur Beihilfe ist für junge Beamte meist deutlich günstiger, sie kostet in der Regel um die 15 Euro. Das kann eine Ersparnis von gut 400 bis über 700 Euro pro Jahr gegenüber den Pflegebeiträgen in der GKV bedeuten. Die Kinder sind auch in der PPV beitragsfrei mitversichert.
4. Pauschale Beihilfe belastet die Steuerzahler
Die Zahlen zeigen, dass die meisten Beamten bei der pauschalen Beihilfe draufzahlen. Das gilt aber auch für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler: Die „pauschale Beihilfe“ ist auf mindestens drei bis vier Jahrzehnte hinaus deutlich teurer als das geltende Recht. Der Dienstherr muss vom ersten Tag an für den Beamten den vollen GKV-Zuschuss zahlen, während der individuellen Beihilfe nur im konkreten Krankheitsfall Kosten entstehen – was in den aktiven Jahren der Beamten deutlich weniger kostet als der GKV-Arbeitgeberbeitrag.
Das Landesfinanzministerium prognostiziert die Mehrkosten für die Landeskasse bei 13 Millionen Euro im ersten Jahr 2023. Das ist jedoch nur der Anfang. Schon 2040 soll die Mehrbelastung bei 70,8 Millionen pro Jahr liegen und bis in Jahr 2060 auf 133 Millionen Euro pro Jahr anwachsen. Hinter diesen vermeintlich überschaubaren Millionensummen pro Jahr verbirgt sich eine regelrechte Kostenexplosion zu Lasten der Steuerzahler. In Summe erreichen die vom Finanzministerium prognostizierten Gesamtkosten der pauschalen Beihilfe bis zum Jahr 2060 mehr als 2,6 Milliarden Euro. Auf den Landeshaushalt für Baden-Württemberg kommt also eine gewaltige selbstgemachte Kostenwelle zu. Schon im Laufe der aktuellen Wahlperiode bis 2026 kostet die Einführung einer pauschalen Beihilfe rund 64 Millionen Euro zusätzlich – Geld, das dann für andere Aufgaben und Leistungen z.B. in der Bildung oder bei der Polizei fehlen wird.
5. Wettbewerbsnachteil im Kampf gegen den Fachkräftemangel
Angesichts der Herausforderungen des demografischen Wandels könnte das „Hamburger Modell“ den öffentlichen Dienst gleich doppelt treffen: Neben den zusätzlichen Kosten für den Landeshaushalt ist auch Baden-Württemberg mit einem verschärften Fachkräftemangel konfrontiert. Für die Länder wird es zusehends schwieriger, im Wettbewerb mit anderen gut zahlenden Branchen qualifiziertes Personal für den Landesdienst zu gewinnen.
Das zeigt sich insbesondere beim fehlenden Nachwuchs an Lehrerinnen und Lehrern. Einige Bundesländer (wie aktuell das Land Berlin) haben deshalb eine Kehrtwende beschlossen und führen im Schuldienst den einst abgeschafften Beamtenstatus wieder ein – um mit dessen attraktiven Vorteilen im Wettkampf um den Nachwuchs überhaupt noch eine Chance zu haben.
Zur spezifischen Attraktivität des Beamtenstatus‘ aus Sicht der Fachkräfte gehört aber originär auch die besonders gute und günstige Versorgung als Privatpatient im Krankheitsfall, sodass die o.a. aufgelisteten Nachteile einer GKV-Versicherung im Vergleich zur klassischen Kombination von Beihilfe und PKV dem Ziel einer gesteigerten Attraktivität entgegenstehen.
6. „Hamburger Modell“ als Schritt in Richtung Bürgerversicherung
Angesichts der vielen Nachteile stellt sich die Frage, warum die grün-geführte Landesregierung ihre Pläne gegen den Willen der Beamten durchsetzen will. Dahinter steckt offensichtlich ein politisches Ziel: Die zum 1. August 2018 im Land Hamburg eingeführte „pauschale Beihilfe“ ist als sogenanntes „Hamburger Modell“ bisher von vier weiteren Bundesländern übernommen worden (Berlin, Brandenburg, Bremen und Thüringen): allesamt mit rot-roten, rot-rot-grünen und rot-grünen Regierungskoalitionen. Die pauschale Beihilfe soll Beamte zu einem Wechsel in die GKV motivieren. Die Sorge des Beamtenbundes, dass das „Hamburger Modell“ einer Bürgerversicherung den Weg ebnet, kommt deshalb nicht von ungefähr. Die Bürgerversicherung wird vor allem von SPD, Grünen und dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) vorangetrieben – alle drei setzen sich für die Einführung der pauschalen Beihilfe ein.
7. Erhebliches verfassungsrechtliches Risiko
Dieses „Hamburger Modell“ würde für Baden-Württemberg aber nicht nur zusätzliche Milliardenlasten für die Steuerzahler sowie überwiegend Nachteile für die Staatsdiener mit sich bringen. Hinzu kommt ein erhebliches verfassungsrechtliches Risiko für das Land.
Die renommierte Anwaltskanzlei Redeker-Sellner-Dahs, bundesweit anerkannt für ihre verfassungsrechtliche Kompetenz, hat im Auftrag des PKV-Verbands die juristischen Probleme einer pauschalen Beihilfe untersucht. Ihr Gutachten kommt zu dem Schluss, dass die pauschale Beihilfe im Hinblick auf den Art 33 Abs. 5 GG (Grundsätze des Berufsbeamtentums) auf „gravierende verfassungsrechtliche Bedenken“ stößt. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf die Pflicht des Dienstherrn zur Fürsorge für die Beamten nicht auf Dritte delegiert werden, deren Leistungsumfang der Dienstherr nicht bestimmen kann. Dies ist jedoch bei der GKV der Fall. Für verfassungsrechtlich fragwürdig halten die Gutachter auch den Zwang zu einer unwiderruflichen Entscheidung für die GKV, die der Beamte nicht mehr rückgängig machen kann.
Newsletter Meldung 12. August 2022 - PKV
Autor:Seniorenverband öD BW Regionalverband Karlsruhe aus Karlsruhe |
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